"Ein stiller Hilfeschrei"

DAK-Sonderuntersuchung: 2022 waren ein Drittel mehr Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren mit einer Angststörung in Kliniken als im Vor-Corona-Jahr 2019

Corona ist endlich vorbei - es wieder Zeit, an die schönen Dinge zu denken, ausgelassen zu sein, sich mit Freund:innen zu treffen, was Tolles zu unternehmen.. Oder ist da doch etwas nicht ganz so in Ordnung, wie viele denken? Schaut man sich an, wieviele Jugendliche im vergangenen Jahr wegen psychischer Erkrankungen in stationärer Behandlung waren, kann man schnell einen Schreck bekommen. Besonders Mädchen scheint der Nach-Corona-Blues heimzusuchen, wie der Kinder- und Jugendreport der Krankenkasse DAK herausfand. So wurden 2022 ein Drittel mehr Teenagerinnen zwischen 15 und 17 Jahren mit einer Angststörung in Kliniken versorgt als im Vor-Corona-Jahr 2019. Das war ein neuer Höchststand. Und auch die Behandlungszahlen bei Essstörungen und Depressionen nahmen in diesem Alter deutlich zu. Mediziner:innen sehen wachsende Zukunftsängste bei jungen Menschen und warnen vor einer „Mental-Health-Pandemie“ durch Seelenleiden.

Für die aktuelle DAK-Sonderanalyse im Rahmen des Kinder- und Jugendreports untersuchten Wissenschaftler:innen von Vandage und der Universität Bielefeld Abrechnungsdaten von rund 786.000 Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Analysiert wurden Krankenhausdaten aus den Jahren 2018 bis 2022.

„Die massive Zunahme von schweren Ängsten und Depressionen bei Mädchen ist ein stiller Hilfeschrei, der uns wachrütteln muss“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Die anhaltenden Krisen hinterlassen tiefe Spuren in den Seelen vieler junger Menschen, wobei die aktuellen Krankenhausdaten nur die Spitze des Eisbergs sind. Wir müssen offen über die Entwicklung sprechen und den Betroffenen und ihren Familien Unterstützung und Hilfe anbieten.“ Zwar habe die Politik bereits wichtige Impulse gesetzt, aber die sogenannten „Mental Health Coaches“ an Schulen seien nur ein erster Schritt. „Wir brauchen sehr kurzfristig eine breite Präventionsoffensive in Schulen, Vereinen und Verbänden, um die psychische Gesundheit von Mädchen und Jungen zu stärken“, fordert Storm.

Den deutlichen Anstieg der Klinikbehandlungen bei 15 bis 17-Jährigen gab es offenbar 2021 und 2022. Im vergangenen Jahr kamen bundesweit rund 6.900 Mädchen in dem Alter mit einer Angststörung ins Krankenhaus - 35 Prozent mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019. Bei Klinikaufenthalten wegen Essstörungen stiegen die Zahlen sogar um die Hälfte an und bei Depressionen nahmen die Behandlungszahlen um gut ein Viertel zu gegenüber 2019.

Gründe für Zukunftsängste

Doch was sind genau die Gründe dafür? „Die Pandemiesituation hat nachhaltig negative Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit junger Menschen, die sich in Zukunftsangst manifestiert“, so Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Allerdings sehen die Expert:innen auch, dass mehrere Faktoren zusammen wirken: der Ukrainekrieg, die Angst um die wirtschaftliche Zukunft und um unseren Planeten Erde. "Es ist Aufgabe der Politik, junge Menschen durch verantwortliches Handeln wieder zukunftssicherer zu machen.“, so Fischbach.

Und warum sind Mädchen so viel häufiger betroffen? „Mädchen neigen eher zu internalisierenden psychischen Störungen als Jungen. Sie ziehen sich beispielsweise mit Depressionen und Ängsten eher in sich zurück. Bei Jungen sind externalisierende Störungen häufiger zu beobachten. Jungen zeigen tendenziell häufiger ein Verhalten, das nach außen gerichtet ist, also zum Beispiel aggressive Verhaltensmuster. Dass dies durch die Pandemiesituation nochmals verstärkt worden ist, ist unbestritten,“ erklärt BVKJ-Präsident Fischbach. Und weil Depressionen, Angst- und Essstörungen häufiger in Kliniken behandelt werden, sind die Zahlen messbarer als bei Jungen, die mit Verhaltens- und emotionalen Störungen eher ambulant versorgt werden.

Um genauer herauszufinden, wie es den Jungs geht, müsse man erst die Analyse der ambulanten Daten abwarten, um zu schauen, ob auch hier steigende Behandlungszahlen zu finden sind und bei welchen Erkrankungen. Es könnte sein, dass "Jungen eventuell durch das Raster fallen und uns verloren gehen", befürchtet er.

Entwarnung für Gesamtzahl der Jugendlichen?

Der Anstieg der Behandlungen betrifft aber nur die 15 bis 17-Jährigen, insgesamt wurden 2022 sogar 15 Prozent weniger Kinder und Jugendliche mit psychischen oder Verhaltensstörungen in Kliniken behandelt als vor der Corona-Pandemie. Bei Grundschul- und Schulkindern waren es sogar 23 Prozent weniger. Allerdings müssten auch diese Zahlen mit Vorsicht genossen werden, denn in deutschen Kliniken standen wegen der Pandemie weniger Kapazitäten wie Betten und Personal zur Verfügung.

Die Sonderauswertung zeigt bei Klinikbehandlungen von Jugendlichen, also Mädchen und Jungen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, immer noch ein hohes Niveau im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie. Werden aber die Jahre 2022 und 2021 betrachtet, sind unterschiedliche Trends auffallend: Während die Behandlungen von Angststörungen 2022 im Vergleich zu 2021 insgesamt weiter zugenommen haben (plus 11 %), blieben sie bei Essstörungen nahezu konstant und sanken bei Depressionen (minus 7 %).
„Die Ergebnisse des Kinder- und Jugendreports zeigen sich im Klinikalltag. Auch wenn sinkende Trends bei einigen Erkrankungen zu erkennen sind: Es gibt keine Entwarnung“, sagt Prof. Correll. „Die sozio-psycho-emotionalen Störungen liegen immer noch auf hohem Niveau“, ergänzt Dr. Fischbach. „Das ist absolut beunruhigend.“

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 2. Juni 2023