Sonsung224

Von Lena Krämer, 13 Jahre

„Ich bin weg, Schatz. Die Arbeit ruft“ rief Danny Baker. Den Fuß schon über der Türschwelle, wurde er von zarten Händen aufgehalten. „Du hast dein Essenspaket vergessen, Danny.“ Lächelnd drehte er sich zu seiner Verlobten Amy um. Ihre Augen strahlten ihn belustigt an und sie drückte leicht seine Schultern. Dann zauberte sie ein Essenspaket hervor und packte es in seine Aktentasche. „Danke Liebling, ich muss jetzt wirklich los“, er gab ihr einen flüchtigen Kuss und setzte seinen Weg zur Garage fort.
Danny stieg in seinen nagelneuen SDF100 und atmete tief den Geruch von frischem Leder ein.

„Guten Tag, Mr.Baker. Wie war Ihr Frühstück? Mrs. William hat sich große Mühe gegeben“, Lauras weiche Computerstimme war im ganzen Auto in bester Qualität zu hören. Noch ein Grund dieses Auto zu lieben.
„Das Frühstück war super, danke Laura. Leite bitte den Weg zur Arbeit ein.“ Er lehnte sich zurück, während das Auto für ihn fuhr.
Als er ausstieg und das Auto sich verriegelt hatte, fuhr er mit dem Speed-Fahrstuhl in die 365-te Etage und betrat sein Büro.
„Guten Tag, Sir. Ich habe Ihnen bereits ihren Lieblingskaffee gemacht.“ Der nervöse Roboter-Assistent hielt Danny einen Kaffeebecher entgegen, stellte sich dann hinter ihn und wartete auf Befehle.
Diese CX3-Einheit war die nervöseste, die Danny bislang gesehen hatte.
Programmierer gaben Robotern, je nach Bestellung, einen eigenen Charakter. Manchmal etwas komplexer, manchmal sehr einfach. Es gab Roboter in allen Formen. Aus Metall oder Plastik, mit menschlichen Eigenschaften oder ohne, sie konnten sprechen oder waren stumm.
Es gab sogar Roboter, die absolut menschlich aussahen.
Andere konnten schmecken, sehen, riechen und spüren. Die künstliche Haut dieser Roboter war denen eines Menschen zum Verwechseln ähnlich.
Er selbst hatte nur einmal einen solch menschlichen Roboter gesehen und das war ihm schon unheimlich genug gewesen. Über Gefühle verfügten sie bislang nicht.

Danny schüttelte sich und wandte sich seinem Computer zu. Er hatte einen Auftrag erhalten und machte sich sogleich an die Arbeit. Danny programmierte einen absolut komplexen Roboter und die CX3-Einheit sah ihm über die Schulter.
Nach einiger Zeit, drehte er sich genervt um. „CX3 halt ein bisschen Abstand bitte, ja?“, bat er höflich. Der Roboter wich zurück und entschuldigte sich eifrig. Wäre er besser programmiert gewesen, wäre der Roboter wahrscheinlich rot geworden.
Als sein Arbeitstag beendet war, ließ Danny sich nach Hause fahren.
Bruno, der Hausroboter, teilte ihm mit, dass Amy erst spät nach Hause kommen würde. Daher beschloss Danny, ein romantisches Dinner für sie vorzubereiten.
Er war kein guter Koch, aber er wusste, dass es Amy nur darum ging, dass er es versucht hatte.
Danny schnitt Salat, briet Fleisch, schenkte Wein in zwei elegante Gläser und zündete Kerzen an.

Als Amy nach Hause zurückkam, war er gerade mit dem Dinner fertig geworden.
Sie freute sich sehr und entschuldigte sich, dass sie erst so spät nach Hause gekommen war.
„Schon gut Amy. Ich bin ohnehin eben erst fertig geworden“, beruhigte er sie lächelnd und forderte sie auf, sich zu setzen. „Woran habt ihr denn heute gearbeitet?“, fragt er interessiert.
Amy war Wissenschaftlerin und hätte er als Programmierer nichts getaugt, wäre Danny auch liebend gerne Wissenschaftler geworden.
„Oh, wir haben an unserem Langzeitprojekt gearbeitet und das Verhalten eines sehr interessanten Roboters verfolgt“, sie lächelte ihr verträumtes Wissenschaftlerinnen-Lächeln.

Er nahm ein Messer und zerteilte grob ein Stück Fleisch. Ungeschickt schnitt er sich dabei tief in den Daumen. „Mist!“ fluchte er und drückte ein Taschentuch auf die blutende Wunde.
Als sie das Blut weitestgehend aus der Tischdecke geschrubbt hatten, sah er seine Verlobte reuevoll an. „Tut mir leid, das kann auch nur mir passieren.“ Amy lächelte bloß und winkte ab. „Es war ein wunderbares Essen, Danny“, beruhigte sie ihn. Er zog sie an sich und küsste sie. Ihre Berührungen und die Sanftheit, mit der sie ihn küsste, waren ihm so vertraut und er wusste, dass er nie eine Frau so geliebt hatte, wie sie.
Das Kribbeln in seinem Bauch war da, so wie es am ersten Tag ihrer Liebe da gewesen war. Jede ihrer Berührungen brannte sich in seine Haut ein, wie ein Tattoo, sodass er sie nie wieder vergessen würde.

„Happy Birthday!“, war das Erste was Amy ihm an diesem Morgen ins Ohr flüsterte. „Alles Gute zum fünfundzwanzigsten Geburtstag“, sie küsste ihn lächelnd, während sie ihm auf einem Tablet Rührei, Speck und Kaffee hinstellte.
Als sie gegessen und getrunken hatten, kündigte Amy ihm eine Überraschung an. Danny hatte sie selten so aufgeregt gesehen und dabei war es sein Geburtstag, nicht ihrer.
Im Auto schwieg sie zeitweise, dann wiederum begann sie zu reden wie ein Wasserfall. Das ging abwechselnd so weiter. Als er es nicht mehr aushielt, griff er ungeduldig nach ihrem Arm.

„Was ist los mit dir, Amy? Was für eine Überraschung planst du für mich, dass du so aufgeregt bist?“, fragte er. Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Ach weißt du, ich warte schon sehr lange auf diesen Tag“, erwiderte sie nur. Er verstand zwar kein Wort, lächelte aber trotzdem zurück. Danny hatte die Befürchtung, dass sein Lächeln etwas zu mitleidig ausgesehen hatte, aber wenn das so war, ließ sie es sich nicht anmerken.
Amy parkte vor dem Zentrum für Wissenschaft, Technik und Robotik und stieg aus. „Was machen wir hier, Amy?“
Verwirrt, aber auch nicht minder fasziniert von dem Gebäude, zog er die Augenbrauen zusammen. Amy wiederrum antwortete ihm nicht, sondern griff lediglich nach seinem Arm und zog ihn in das Gebäude. Ihr Griff um seine Schulter wurde spürbar fester, als sie sich den Sicherheitspulten näherten. „Tommy, ich bin es. Das ist Danny, du hast von ihm gehört?“, fragte Amy, ganz in ihrem Wissenschaftlerinnen-Ton. Tommy war ein großer, schlaksiger, junger Mann. Mit seinen zerzausten Haaren und der riesigen Brille, die seine Augen optisch stark vergrößerten, war er genau das, was Danny sich unter einem Wissenschaftler vorstellte.


Sie passierten den wild nickenden Tommy und die Sicherheitspulte. Dann schleifte Amy ihn in einen Fahrstuhl. „Amy und Sonsung224, ins Labor bitte.“
Danny war mittlerweile vollkommen verwirrt. Sonsung224? Und warum verbrachten sie seinen Geburtstag in Amys Büro? Und noch viel wichtiger, warum war sie heute so abweisend zu ihm? Hatte er etwas falsch gemacht? All das fragte er Amy.
Sie wartete, bis sich die Türen geschlossen hatten und drehte sich dann zu ihm um. „Mach dir keine Sorgen über all das hier“, sie machte eine allumfassende Handbewegung.
„Du wirst es früh genug verstehen. Du musst nur wissen, dass ich sehr stolz auf dich bin.“
Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss, der ihn wohl beruhigen sollte. Das tat er allerdings nicht.
Die Fahrstuhltüren öffneten sich und Amy schleifte ihn erneut durch die Gänge hinter sich her. Er traute sich nicht, sie darauf hinzuweisen, dass sie ihm wehtat und ließ es einfach wortlos geschehen. Jeder der an ihnen vorbeikam glotze sie an, als wären sie ein buntes Straußenpaar.

Als Amy augenscheinlich an ihrem Ziel angekommen war, hielt sie an und gab einen Code in das Tastenfeld einer großen, eisernen Tür ein. Dann betrat sie den Raum und ließ die Tür hinter sich zufallen.
Hier unten war alles aus demselben bedrückenden Metall, wie die Tür und die Wände. Weiße Lampen sorgten für eine furchtbare Krankenhaus-Atmosphäre. In der Mitte des Raumes stand eine große Liege und darum herum waren viele Computer und weitere unheimliche Geräte aufgebaut. Schrauben, Nadeln, Messer, Mini-Roboter und weiß Gott was noch türmten sich
um die Liege. Ihn beschlich das ungute Gefühl, dass er derjenige war, der auf dieser Liege Platz nehmen sollte. Hinter der Liege standen eine Handvoll Wissenschaftler.

„Sons… Danny!“, rief ein Wissenschaftler, als würden sie sich seit Jahren kennen und winkte ihn zu sich. Verwirrt und im Angesicht der Kulisse auch etwas ängstlich, wich Danny einen Schritt zurück. „Schon gut, Danny. Er wird dir nichts tun“, Amy lächelte ihm aufmunternd zu. Zögerlich trat er auf den alten Wissenschaftler zu und musterte ihn gründlich, bevor er ihm die Hand schüttelte. Der Alte sah dem nerdigen Jungen vom Sicherheitspult sehr ähnlich, mit dem einzigen Unterschied, dass er eben alt war.
„Hallo, ich bin Professor Tiberius. Aber bitte nenn mich nur Professor, ja?“, der alte Mann lächelte freundlich und Danny glaubte auch einen Funken Stolz in seinen Augen zu sehen. Was war denn heute nur los? „Entschuldigung, wenn ich unhöflich klinge, aber was mache ich hier?“, er sah zu Amy, in der Hoffnung sie würde ihm seine Frage beantworten. Amy jedoch sah nur kurz zu ihm hoch und fuhr dann fort, sich einen Kittel überzuschmeißen. Doch in dem kurzen Moment, in dem sich ihre Blicke trafen, meinte er einen entschuldigenden Ausdruck zu sehen. Langsam wurde er misstrauisch.

Statt Amy, beantwortete der Professor seine Frage. „Ich möchte ehrlich zu dir sein. Wir haben schon sehr lange auf diesen Tag gewartet. Du bist nicht, wer du zu sein glaubst, Danny.“ Der Professor sah ihn ernst an. Mit einer knappen Handbewegung forderte Danny ihn auf weiterzusprechen. Es wurde ihm langsam wirklich zu seltsam hier. „Du bist kein Mensch, Danny, sondern ein Roboter. Ein Unikat. Sonsung224“, der Professor sah ihn mit einer Mischung aus Stolz und Schuldgefühl an. Aber Danny war nicht beleidigt, er war einfach nur sicher, dass es sich hierbei entweder um einen schlechten Scherz handeln musste oder der Professor den Verstand verloren hatte.
Er schüttelte den Kopf. So ein Irrer! „Amy, was soll der ganze Unsinn hier“, fuhr er sie an. Dann sah er ihr in die Augen und wusste es. Sie glaubte dem Professor!
„Du glaubst diesem Irren doch wohl nicht!“, rief er kopfschüttelnd. Amy umrundete ihn und stellte sich neben den Professor. „Er kann es dir beweisen, Danny“, hauchte sie mit tränenerstickter Stimme. Was war denn auf einmal hier los?
Das war ja schlimmer als in einem schlechten Horrorfilm.



„Du bist ein selbstlernendes Meisterstück. Du bist anderen Robotern gar nicht so unähnlich, aber mit einigen entscheidenden Unterschieden. Dein Speicherplatz ist viel größer und du bist viel komplexer programmiert. Du hast nicht nur das Design eines Menschen, wir haben es auch geschafft, dich mit einem Blutkreislauf zu versehen. Echte Knochen hast du leider nicht“, der Professor sah ihn bedauernd an.
Danny wurde schwindelig und er setzte sich auf das Fußende der Liege. Einer der Computer begann zu piepsen. Die Wissenschaftler ignorierten das Gepiepse, bei Danny löste es jedoch pochende Kopfschmerzen aus.
„Das wirklich Besondere an dir, lässt sich schwer erklären.“ Der Professor überlegte kurz. „Wir haben eine Reihe glücklicher Erlebnisse hochgeladen und in deinem Kopf gespeichert. Du hast daraus gelernt, wie du dich verhalten musst, wenn du glücklich bist. Darüber hinaus, haben wir es geschafft echte Gefühle in dir auszulösen. Du kannst also praktisch genauso fühlen wie ein Mensch. Wärst du nicht aus Metall und Algorithmen, wärst du genau, wie wir Menschen.“

Kopfschüttelnd sah Danny zu dem Professor auf. „Ich glaube Ihnen nicht“ meinte er nüchtern. Allmählich begann die Situation ihn zu überfordern.
Der Professor nickte, packte blitzschnell Dannys Arm und schnitt ihm tief ins Fleisch.
Erschrocken schrie dieser auf und hielt sich den blutenden Arm. Der Schnitt war tief und tat höllisch weh. Dafür war er sich jetzt ganz sicher, dass der Professor war verrückt. Vielleicht war sogar Amy verrückt. Sie hatte zusammengezuckt, als er geschrien hatte, aber nun betrachtete sie ihn halb interessiert, halb entsetzt.
„Tut es weh?“, fragte der Professor interessiert. „Ja!“, rief er empört. Natürlich hatte das wehgetan. Der verrückte Professor nickte und tippte auf seinem Computer herum. „Das wird es gleich nicht mehr“, murmelte er vor sich hin.
Von einer Sekunde auf die andere war der Schmerz verschwunden. Überrascht riss Danny die Augen auf. Das konnte doch gar nicht möglich sein! Nein, Danny war absolut davon überzeugt, dass sich eine logische Erklärung dafür finden ließ. Eine menschliche.

Er kniff sich fest in den Arm. Da war ein Gefühl, aber kein Schmerz. Mit Tränen in den Augen sah er auf. „Das ist überhaupt nicht möglich“ krächzte er mit belegter Stimme. Der Professor nickte. „Leider doch, Danny.“ Entsetzt sah er zu Amy. Eine Träne lief ihr über die Wange, doch als sie seinen Blick auffing, nickte sie. „Der Professor und ich haben dich vor fünf Jahren programmiert. Wir haben Erinnerungen in dir platziert, die es nie gab. Wir haben deine Hobbys, deine Ängste und deine Geheimnisse hochgeladen. Wir haben...“, sie stockte kurz uns schluckte. „Wir haben dich so programmiert, dass du dich in mich verliebst und so konnte ich täglich dein Verhalten studieren.“ Der Professor nickte und strich ihr beruhigend über den Arm, als wäre es ihr Leben, das man gerade zerstört hatte.
Danny hatte nicht bemerkt, dass er während Amys Erklärung zu weinen angefangen hatte. Er wusste nicht mehr was richtig und was falsch war. Er wusste nur, dass er noch nie so hintergangen worden war. Er war ein Experiment gewesen.

„Aber ich habe einen Sonnenbrand bekommen, ich habe Narben, ich bin im Urlaub in Kroatien fast ertrunken. Ich habe geatmet, getrunken, gefühlt und gerochen. Ich habe geliebt“, er sah zu Amy.
„Wie kann das alles nicht echt gewesen sein?“, fragte er fassungslos. Der Professor nickte verständnisvoll. „Es war nie echt, aber es hat sich echt angefühlt, weil wir unsere Arbeit gut gemacht haben.“
Der Alte tippte auf dem Computer herum und wie ferngesteuert legt Danny sich auf die Liege. Er wusste, dass nicht er es gewesen war, der seinen Muskeln diesen Befehl gegeben hatte.
Mit voller Wucht wurde ihm wieder klar, dass er in einem dunklen Keller war und er fragte sich, was diese Wissenschaftler nun eigentlich mit ihm vorhatten. Seine Kehle wurde staubtrocken und er spürte eine neue, nagende Angst in ihm aufkeimen.
„Warum jetzt?“, war alles was er schlussendlich herausbekam. „Oh…“, der alte Wissenschaftler sah ihn nervös an. „Dein Speicher hat nur Platz für fünf Jahre. Wir müssen dich also vorübergehend abschalten.“

Amy schluchzte leise. Danny wollte aufspringen und davonrennen, doch kein Muskel rührte sich in ihm. Er war nicht mehr Herr seines Körpers. Wenn er das denn je gewesen war. So konnte er nur daliegen, hilflos und mit immer stärker anschwellender Furcht. „Amy! Bitte!“, flehte er ängstlich. Er spürte wie der Professor sich an seinem Hinterkopf zu schaffen machte. Er wusste nicht was er tat und wollte es auch lieber nicht wissen. „Amy! Bitte! Du liebst mich! Das weiß ich. Und ich liebe dich! Das kann nicht das Ende sein. Lass nicht zu, dass sie das mit mir machen!“, bat er jämmerlich schluchzend. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie so eine Angst gehabt. „Amy, wir sind bereit“, hörte er den Alten hinter sich sagen. Amy nickte und wandte ihm dann ihr tränenüberströmtes Gesicht zu.
Das konnte nicht das Ende sein. Nicht so. „Es tut mir leid, Danny“, hauchte sie und drückte ihren Mund fest auf den seinen.

Autorin / Autor: Lena Krämer