Pronomen im digitalen Raum

"iPhone von Martin", „Schnuckelputz“ „Gollum“: in Online-Meetings springen einem die seltsamsten Namen entgegen. Aber warum steht bei manchen Menschen eigentlich (sie/ihr), (er/he) oder (they) hinter dem Namen?

Wir lernen von klein auf, dass eine Person, die auf den Namen Sarah hört, eine Frau ist. Und wenn du über eine Frau redest, benutzt du vermutlich das Pronomen "sie". Das ist in vielen Fällen richtig: Wenn du Martin (er) und Sarah (sie) einander vorstellst, würdest du vielleicht sagen: "Das ist Sarah, sie ist seit der Kindheit meine Freundin. Und das ist Martin, ich kenne ihn aus dem Tischtennisverein."

Es kann aber auch sein, dass Sarah andere Pronomen benutzt, also nicht mit "sie" angesprochen werden möchte - auch wenn Sarah Sarah heißt und "weiblich gelesen" wird, also für dich auf den ersten Blick aussieht wie eine Frau. Denn Pronomen geben Auskunft über die Geschlechtsidentität einer Person und die muss nicht unbedingt mit ihrem Aussehen/ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmen.

Welche Pronomen gibt es denn eigentlich?

Ein großer Teil der Menschen benutzt wahlweise die Pronomen "sie" oder "er" und definiert sich damit als Frau oder Mann. Die Einteilung in Mann und Frau wird "binär" genannt, entspricht also der Annahme, dass es zwei (vele sagen auch: nur zwei) Geschlechter gibt, die einander gegenüber stehen. Diese Einteilung gilt unter Wissenschaftler_innen als umstritten.

Unser Geschlecht wird uns meist bei unser Geburt aufgrund von äußeren Geschlechtsmerkmalen (also der Vulva oder dem Penis) zugeschrieben. Dabei spielen noch viele weitere Faktoren eine Rolle dafür, wie sich unser Körper entwickelt. Zum Beispiel unser Hormonhaushalt. Und ob ein Mensch mit Vulva auch Eierstöcke hat, sieht man von außen gar nicht. Es gibt auch Menschen, bei denen diese Merkmale nicht eindeutig sind, in dem Fall spricht man von inter Menschen.

Und selbst wenn eine Person Eierstöcke und eine Vulva hat, heißt das nicht automatisch, dass ihre Geschlechtsidentität weiblich ist.

Trans, Cis und nicht-binär

Wenn ein Kind mit Vulva auf die Welt kommt, bekommt es vermutlich einen Mädchennamen. Es wird wie ein Mädchen ange- und erzogen und immer wieder als Mädchen angesprochen und bekommt das Pronomen "sie" und damit eine weibliche Geschlechtsidentität zugesprochen.

Es kann vorkommen, dass ein Kind, ein_e Jugendliche_r oder auch Erwachsene_r feststellt, dass diese zugeschriebene Geschlechtsidentität nicht passt und er*sie trans ist.
Sarah könnte beispielsweise feststellen, dass das körperliche Geschlecht (weiblich) nicht mit der eigenen Geschlechtsidentität (männlich) übereinstimmt. In dem Fall würde Sarah vielleicht anfangen, sich mit einem anderen Namen und männlichen Pronomen ansprechen zu lassen, etwa Martin (er). In manchen Gruppen würde Martin sich vielleicht als trans Mann outen, also erzählen, dass er bei Geburt eine andere Geschlechtsidentität zugeschrieben bekommen hat.

Es kann aber auch sein, dass Sarah sich gar nicht in dem binären Geschlechtersystem wiederfinden kann, also weder "männlich" noch "weiblich" ist, sondern "nicht-binär" (oder zu englisch non-binary). In dem Fall bevorzugt Sarah andere Pronomen, etwa "they". Dann kannst du Sarah so vorstellen: "Sarah ist großartig. They ist super im Zuhören." Die Verwnedung des englische Pronomen "they" irritiert im ersten Moment Viele, da wir "they" sonst meist für eine ganze Gruppe Menschen benutzen (sie). Gleichzeitig wird der Begriff im Englischen auch genutzt, wenn das Geschlecht der Person, über die gesprochen wird, noch nicht klar ist und ist in der englischsprachigen, queeren Community weit verbreitet. Ein ähnlich beliebtes deutsches Equivalent gibt es nicht. Möglich wären Pronomen wie "sier" oder "xier". Am besten fragst du Freund_innen, die sich als nicht-binär outen einfach, wie du sie richtig ansprechen sollst. :-)
Vielleicht wollen sie auch gar kein Pronomen verwenden. In dem Fall könntest du sagen: "Das ist Sarah, Sarah und ich sind schon seit der Schule befreundet."

Es gibt übrigens auch ein Adjektiv für Menschen, deren zugeschriebene Geschlechtsidentität bei ihrer Geburt mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmen: cis. Das ist lateinisch und bedeutet soviel wie "diesseits".

Die Hürden der digitalen Kommunikation

Bei Gesprächen in der Pause könnte Sarah nach einer Weile die Pronomen sagen, mit denen Sarah angesprochen werden möchte. Oder Sarah erzählt Freund_innen davon, die dann andere korrigieren, wenn ein falsches Pronomen für Sarah verwendet wird (man kann hier auch sagen: wenn Sarah "misgendert" wird).

Im digitalen Raum ist das anders: Was man in das Computer-Mikrofon sagt, bekommen direkt alle mit. Darum nutzen viele Menschen den subtileren Weg und geben in ihrem Profil neben dem eigenen Namen auch die richtigen Pronomen an. Sie zeigen so, wie sie angesprochen werden möchten. Das ist besonders wichtig für Menschen, deren körperliches Geschlecht nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt.

Allies und was heißt das für dich?

Da es natürlich auffällt, wenn bei Instagram nur einzelne Profile ihre Pronomen hinterlegen, oder sich bei Zoom die meisten Leute ohne Pronomen anmelden, ist mit der Angabe manchmal eine Art Outing verbunden. Und das zieht leider oftmals eine Reihe transfeindlicher Kommentare, Abwertungen oder Diskriminierungen nach sich.

Aus Solidarität und um die Angabe der eigenen Pronomen zu normalisieren, geben daher auch immer mehr cis geschlechtliche Personen ihre Pronomen im digitalen Raum an. Sie versuchen, Verbündete oder Unterstützer_innen, auch Allies genannt, für trans oder nicht-binäre Personen zu sein. Die Rechnung ist einfach - je mehr Menschen sich mit den eigenen Pronomen vorstellen, desto weniger fällt die Vorstellung auf.

Wenn du nicht möchtest, musst du deine Pronomen natürlich nirgends angeben, ganz egal ob du cis oder trans, nicht-binär, männlich, weiblich oder genderfluide bist. Allerdings solltest du die Pronomen anderer Menschen nicht ignorieren, vor allem, wenn sie dir mitgeteilt werden. Jemanden bewusst zu misgendern kann sehr verletzend sein. Wenn du dir unsicher bist, wie du eine Person ansprechen sollst, kannst du ruhig nachfragen. Oder du machst am Anfang eine Vorstellungsrunde mit Namen und Pronomen.
Klar, gerade wenn langjährige Freund_innen sich outen, kommst du am Anfang vielleicht mal mit den Pronomen durcheinander, aber je länger du es versuchst, desto einfacher wird es - versprochen.

Autorin / Autor: Karla Groth - Stand: 2. August 2022