Neidisch auf einen Toaster

Von Lisa Schwardt, 24 Jahre

Neustart. Alle Systeme online. 27. August 2313, 5 Uhr morgens.
Ich öffne meine Augen. Es ist stockfinster. Die Linsen in meinen Augen sind nicht mit Nachtsicht ausgestattet, also kann ich nichts sehen. Heute bin ich extra früh aufgewacht. Nicht aufgewacht, ich schlafe nicht. Ich lange zu meiner rechten und betätige den Lichtschalter. Die Glühbirne in der kleinen Gerätekammer flackert. Ich hätte sie schon vor Tagen austauschen sollen. Ich sitze auf dem Boden und warte, zusammen mit den anderen Geräten, darauf benutzt zu werden. Nach 107 Minuten und 38 Sekunden hämmert jemand gegen die Tür der Gerätekammer.
„Komm, mach Frühstück!“, höre ich die Frau meines Besitzers rufen, „und mach das Licht aus, du brauchst kein Licht.“
Ich schalte das Licht aus, drücke die Türklinke nach unten und betrete den Flur. Die Kinder meines Besitzers rennen an mir vorbei ins Badezimmer. Zwillinge, 10 Jahre alt, ich kenne die beiden schon ihr ganzes Leben. Die Küche befindet sich links. Ich fange an das Frühstück vorzubereiten. Die Frau meines Besitzers lässt sich auf einen der Stühle am Esstisch fallen und zündet sich eine Zigarette an.
„Ma'am“, ich war programmiert sie Ma'am zu nennen, „ihr Mann hat mir aufgetragen, ihnen zu sagen, dass sie hier nicht rauchen sollen.“ Ich verbeuge mich leicht, so steht es in meinem Programm.
„Ja, ja, Blechdose“, erwidert sie und verlässt die Küche.
Ich bin keine Blechdose, keine Dose.
Das Frühstück ist fertig und ich serviere es auf dem Küchentisch und stelle mich erneut in die Gerätekammer. Es ist so dunkel. Doch die Frau meines Besitzers hat recht. Ich brauche kein Licht. Der alte Toaster, der noch in der Gerätekammer steht, braucht auch kein Licht.
Ich warte im Dunkeln. Nach 403 Minuten und 35 Sekunden, öffnet sich die Tür. Abrupt stehe ich auf und verbeuge mich. Die Frau meines Besitzers steht vor mir und hält mir ihr Holo-Tablet vors Gesicht. Ich scanne die holographische Einkaufsliste in nur wenigen Sekunden und speichere sie ab. Anschließend verbeuge ich mich erneut.
„Beeile dich“, sagt sie.
„Ja, Ma'am.“
Ohne mir weitere Beachtung zu schenken verschwindet sie im Wohnzimmer. Die Stimmen des Fernsehers dringen durch die dünnen Wände. Ich gehe zur Haustür und betrete das Treppenhaus. Das elektronische Schloss verschließt die Tür hinter mir. Das Treppenhaus besitzt einen Aufzug, doch der Aufzug ist für Menschen. Wir dürfen ihn nicht benutzen. Ich laufe die Treppen hinunter und verlasse das Wohnhaus. Das 42-stöckige Haus ist von einem hohen Zaun umrahmt. Ich gehe durch das Tor an dem Pförtnerhaus vorbei, das zu jeder Zeit von demselben Pförtner besetzt ist. Er ist wie ich. Nicht ganz so wie ich. Neues Modell. Als ich an ihm vorbeikomme, lächelt er mich an. Er ist programmiert jeden anzulächeln. Die Haltestelle zur Straßenbahn befindet sich gegenüber vom Haus. Der Supermarkt liegt fünf Haltestellen weit weg. Ich stelle mich in die für uns markierte Zone und warte. Neben mir stehen viele andere... Blechdosen? Doch wir reden nicht miteinander. Nach 459 Sekunden biegt die Straßenbahn um die Ecke und hält an. Nachdem alle Menschen im inneren Platz gefunden haben, dürfen wir die Straßenbahn betreten. Ich stelle mich neben ein Fenster und warte auf meine Haltestelle. Die überfüllte Innenstadt musternd, verlasse ich die Straßenbahn und gehe zum Supermarkt.
Ich gehe durch die Laserscanner beim Eingang des Supermarktes. Die Laserscanner wurden vor drei Monaten und 3 Tagen extra für uns angebracht. So viele Menschen sind gestorben, als Bomben in 18 Supermärkten explodierten. So viele von uns auch. Nein. Wir sterben nicht. Wir leben nicht. Im Fernseher wurde es als Programmfehler beschrieben. Alte Modelle wie ich haben viele Programmfehler.
Mein Blick fällt auf ein Paket frischer Orangen. Die Zwillinge lieben Orangen, doch Orangen standen nicht auf der Einkaufsliste. Ich packe die Orangen in meinen Korb. Ein weiter Programmfehler. Deshalb werden wir alten Modelle langsam ersetzt.
Ich packe alle Lebensmittel, die auf der Einkaufsliste standen in den Korb. Anschließend gehe ich zur Kasse. An den Kassen für Menschen sitzen wir als Kassierer. An den Kassen für uns sitzen Menschen. Der Kassierer scannt meine ID und kontrolliert meinen Korb.
„Orangen stehen nicht auf der für dich gesendeten Liste“, sagte der Kassierer.
Ich verbeuge mich und antworte: „Die Frau meines Besitzers hat mir aufgetragen Orangen mitzubringen, nachdem sie mir die Einkaufsliste gezeigt hat.“
Ein weiterer Programmfehler. Der Kassierer nickte und tippte etwas in sein Tablet. Ich verlasse den Supermarkt. Die Frau meines Besitzers wird sehen, dass ich Orangen geholt habe. Der Supermarkt hat ihr bestimmt schon eine Nachricht geschickt, aber ich bin ein sehr altes Model. Programmfehler sind normal.
Anstatt die Straßenbahn zu nehmen laufe ich zurück zur Wohnung. Der Weg zurück führt an einem See vorbei. Für einige Minuten stehe ich still und starre aufs Wasser. Die untergehende Sonne versinkt langsam am Horizont. Ich gehe weiter, zum Wohnhaus, durchs Tor, am lächelnden Pförtner vorbei. Ich steige die Treppen zur Wohnung hinauf. Nachdem ich die Wohnung betrete, gehe ich in die Küche und verstaue die Einkäufe. Die Frau meines Besitzers kommt in die Küche.
„Du solltest keine Orangen kaufen“, schnauzt sie.
„Programmfehler, Ma'am“, antworte ich und verbeuge mich.
„Zum Glück sind wir dich heute los“, den Köpf schüttelnd begibt sie sich zurück ins Wohnzimmer.
Für einige Momente stehe ich einfach nur da, dann gehe ich in die Gerätekammer. Ich sitze still auf dem Boden. Ja, heute werde ich ersetzt. Heute sterbe ich. Nein ich kann nicht sterben. Ich lebe nicht. Ich kann nicht sterben. Ich werde ersetzt wie der alte Toaster. Nein, nicht wie der Toaster, der Toaster steht noch hier. Ich werde zerstört.
Ich warte. Nach 68 Minuten und 13 Sekunden klingelt es an der Tür.
Ich höre wie die Frau meines Besitzers mit den Menschen an der Tür redet. Sie sind hier, um mich abzuholen und das neue Modell zu liefern.
Die Tür zur Gerätekammer öffnet sich. Die Frau meines Besitzers steht vor mir, neben ihr stehen zwei Männer.
„Schalt dich aus“, sagte sie zu mir.
„Ja, Ma'am“, ich verbeuge mich.
Ich zögere ich für einen Moment, ein weiterer Programmfehler, doch dann schalte ich mich aus.

Autorin / Autor: Lisa Schwardt