Müdigkeit braucht guten Rat

Studie: Unter Schlafmangel sind wir empfänglicher für Ratschläge

Wenn Politiker_innen wichtige Entscheidungen treffen müssen, tun sie dies oft nach nächtelangen Verhandlungen - im Zustand akuten Schlafmangels. Nicht selten ziehen sie bei der Urteilsbildung und Entscheidungsfindung Berater_innen heran und verlassen sich dann mehr oder weniger auf deren Rat. Doch wie beeinflusst der Schlafmangel die Nutzung von Ratschlägen? Sind die Entscheidungen noch tragbar und wer hat sie letztendlich getroffen? Ergebnisse der psychologischen Schlafforschung zeigen, dass Menschen, die Schlafmangel ausgesetzt sind, allgemein empfänglicher für die Einflussnahme anderer Personen werden. Jan Häusser, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Gießen wollte dies genauer wissen und führte dazu die erste empirische Studie durch, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde. An der Studie hatten 96 Versuchspersonen teilgenommen, die in zwei Gruppen eingeteilt wurden. In der Experimentalgruppe mit Schlafentzug blieben die Versuchspersonen im Labor unter Aufsicht die ganze Nacht wach, während die Versuchspersonen der Kontrollgruppe nach einer Nacht mit normalem Schlaf morgens ausgeruht ins Labor kamen. Kontrolliert wurde die Nachtruhe über ein Gerät, das Aktivitäts- und Bewegungsmuster aufzeichnet und eine zuverlässige Messung von Schlafdauer und Schlafqualität erlaubt.

Am nächsten Morgen sollten die Teilnehmer_innen dann am Computer die Entfernung zwischen verschiedenen europäischen Hauptstädten schätzen (zum Beispiel Helsinki – Dublin). Nach ihrer ersten Schätzung wurde ihnen jeweils der Ratschlag eines vermeintlichen Beraters am Computer präsentiert. Es gab zwei Berater, die abwechselnd Ratschläge erteilten. Den Versuchspersonen wurde erklärt, dass die „Berater“ zwei frühere Versuchspersonen einer anderen Studie seien. Der eine Berater habe in der Aufgabe sehr gut, der andere im Mittelfeld  abgeschnitten. Die Versuchspersonen konnten ihre Entscheidung danach revidieren und eine zweite Schätzung abgeben, falls sie das wollten.

Dabei stellte sich heraus, dass die Gruppe, die unter Schlafentzug litt, die Ratschläge stärker nutzte als die ausgeruhten Personen und sie sich beim zweiten Schätzversuch deutlicher auf die Angaben des Ratgebers zubewegten als die Ausgeschlafenen. Die müden Versuchspersonen schnitten auch bei ihrer ersten Einschätzung etwas schlechter ab als die ausgeruhten. Im zweiten Durchgang zeigte sich kein Unterschied mehr zwischen den Gruppen, allerdings nur, wenn diejenigen mit Schlafmangel dem Rat eines hochqualifizierten Beraters gefolgt waren.

„Menschen, die Schlafmangel ausgesetzt sind, sind sich dieser Tatsache meist bewusst und schätzen ihre verminderten kognitiven Kapazitäten auch adäquat ein“, erklärt Jan Häusser. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Nutzung guter Ratschläge helfen kann, derartige Defizite zu kompensieren. Unausgeschlafene Menschen sollten sich ihre Ratgeber allerdings gut aussuchen: inkompetente Ratgeber, oder solche, die eine starke eigene Agenda verfolgen, könnten bei müden Menschen einen stärkeren Einfluss auf die Urteilsbildung bekommen.“

Bleibt zu hoffen, dass unsere Zukunft nicht vor lauter Müdigkeit von schlechten Berater_innen in die Hand genommen wird und uns ein böses Erwachen erspart bleibt!

Quelle:

Autorin / Autor: Rdaktion/ Pressemitteilung - Stand: 29. Juni 2016