Lebensmittelpunkt Straße

Das Deutsche Jugendinstitut befragte 300 obdach- und wohnungslose Jugendliche

Bild: Luise Weber

Es ist kaum zu glauben, dass in einem reichen Land wie Deutschland Menschen obdachlos sind und ihr Leben auf der Straße verbringen. Noch erschütternder ist, wenn die Obdachlosigkeit auch Jugendliche betrifft. Wie es dazu kommt, wie die Jungen und Mädchen in eine solche Situation geraten und wie es ihnen dabei geht untersuchte nun eine Studie des Deutschen Jugendinstituts, für die rund 300 Jugendliche in Berlin, Hamburg und Köln befragt wurden. 

„Genaue Daten dazu, wie viele Jugendliche in Deutschland auf der Straße leben, existieren nicht, da der vielfach verwendete Begriff ‚Straßenkinder‘ nicht einheitlich definiert und die Zielgruppe schwer erreichbar, oft sogar gänzlich unsichtbar, ist“, berichtet Carolin Hoch, die das Projekt „Straßenjugendliche in Deutschland – eine Erhebung zum Ausmaß des Problems“ betreut. Weil das "Eintrittsalter" zum Leben auf der Straße in Deutschland bei durchschnittlich 16 Jahren liegt, verwendet die Soziologin in ihrer Studie statt "Straßenkinder" den Begriff „Straßenjugendliche“ und meint damit sowohl Minderjährige als auch junge Volljährige von bis zu 25 Jahren, die entweder obdach - oder wohnungslos sind.

Rund 40 Prozent von ihnen sind Mädchen. Häufig fliehen die Jugendlichen wegen großer Probleme in ihrer Familie, die sich enweder auf Beziehungsebene abspielen oder auch auf finanzieller. Dennoch haben die meisten weiterhin Kontakt zum Elternhaus. Ihr erster Anlaufpunkt sind dann oft Freund_innen, bei denen sie unterkommen können. Die meisten sogenannten Straßenkarrieren beginnen, wenn die Jugendlichen bereits 16 Jahre alt sind. „Nur einige der Befragten gaben an, den ersten Kontakt mit der Straße schon vor dem 15. Lebensjahr gehabt zu haben“, so Hoch. Ein Großteil der Jugendlichen war allerdings bereits volljährig, als sie zum ersten Mal wohnungslos wurden. Da die Unterstützung des Jugendamts meist endet, wenn die Jugendlichen 18 werden, steigt das Risiko, gänzlich und unbemerkt aus sozialen Hilfestrukturen herausfallen.

Bezogen auf den Befragungszeitraum von zwei Jahren, befanden sich die interviewten Jugendlichen durchschnittlich ein Jahr in der Wohnungslosigkeit, allerdings gaben die älteren an, auch länger auf der Straße gelebt zu haben. Ein Viertel der befragten Jugendlichen war obdachlos, das heißt sie lebten und schliefen tatsächlich auf der Straße. Die meisten hatten jedoch bei Freund_innen Unterschlupf gefunden.

Wer "nur" wohnungslos ist, nutzt vor allem Beratungsangebote und hat mit zunehmendem Alter Kontakt zum Jobcenter. Obdachlose Jugendliche, deren Situation sich deutlich dramatischer gestaltet, sind auf die Überlebenshilfen wie zum Beispiel Suppenküchen, Notunterkünfte etc. angewiesen. Straßenjugendliche sind in der Regel von akuter Armut bedroht. Besonders Jüngere sind auf Betteln und die Unterstützung durch Privatpersonen angewiesen, während die Jugendlichen mit zunehmendem Alter auch mehr staatliche Unterstützung erhalten. Was das Bildungsniveau betrift, so haben 42 Prozent der befragten Jugendlichen einen Hauptschlussabschluss und etwa jeweils 30 Prozent entweder keinen Schulabschluss oder einen Realschulabschluss.

Trotz ihrer prekären Situation blicken die befragten Mädchen und Jungen optimistisch in die Zukunft: 76 Prozent glauben, dass sich ihre Wohnsituation in den nächsten zwölf Monaten deutlich verbessern wird.

Für die quantitative Studie wurden rund 300 Jugendliche, die aktuell auf der Straße leben, und ehemalige Straßenjugendliche in persönlichen Interviews befragt. Da es außerordentlich schwierig ist, direkten Kontakt zu obdachlosen Straßenjugendlichen zu bekommen, wurden die Jugendlichen zumeist über typische Anlaufstellen für junge Menschen ohne festen Wohnsitz angesprochen. Dadurch könnten die Ergebnisse verzerrt sein, warnen die Autor_innen der Studie, da „unsichtbare“ Betroffene, die keine Hilfen in Anspruch nehmen, nicht in die Erhebung eingebunden werden konnten.

An die Befragung der Straßenjugendlichen schließt sich eine Befragung von Fachkräften kommunaler und freier Träger an, über die eine detailliertere Erfassung der Anzahl betroffener Jugendlicher erfolgen soll. Der Abschlussbericht erscheint im Frühjahr 2017.

Die Studie im Wortlaut

Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 31. Januar 2017