Kleine Hilfen

Neue Studie zu menschlicher Kooperation über Kulturen hinweg ergab, dass alltägliche Hilfsbereitschaft umfangreich und universell ist

Unter welchen Umständen helfen wir anderen Menschen? Wann schauen wir eher weg? Und gibt es kulturelle Unterschiede in der Hilfsbereitschaft, oder ist diese Geste eine zutiefst menschliche und universell über alle Grenzen hinweg gleich? Eine neue Studie, die in Nature Scientific Reports veröffentlicht wurde, legt nahe, dass sich die Menschen verschiedener Kulturen im Grunde ähnlicher sind, als man vielleicht erwartet. Von den Städten Englands, Italiens, Polens und Russlands bis hin zu den Dörfern der ländlichen Gebiete Ecuadors, Ghanas, Laos' und der australischen Ureinwohner:innen neigen die Menschen in alltäglichen Situationen überall dazu, anderen zu helfen, wenn sie Hilfe brauchen. Laut der Studie signalisiert durchschnittlich alle 2 Minuten und 17 Sekunden jemand, dass er/sie Hilfe braucht (z. B. um ein Utensil weiterzureichen). Und über alle Kulturen hinweg werden diese kleinen Bitten siebenmal häufiger erfüllt als abgelehnt. Und wenn Menschen doch einmal 'nein' sagen, erklären sie auch, warum. Und diese menschliche Tendenz geht über andere kulturelle Unterschiede hinaus.

Frühere anthropologische und wirtschaftliche Forschungen betonten noch eher die Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Kulturen, beispielsweise wenn sie die Verteilungsnormen der Waljäger der Lamalera in Indonesien beschrieben, wenn sie einen großen Fang aufteilen, oder hervorhoben dass die Hadza in Tansania ihre Nahrung eher teilen, weil sie befürchten, dass es zu negativem Klatsch führen könnte, wenn sie es nicht tun.

Sind unsere Entscheidungen über das Teilen und Helfen aber wirklich so sehr von der Kultur geprägt, in der wir aufgewachsen sind? Oder sind Menschen nicht von Natur aus gleichermaßen großzügig und hilfsbereit? Die neue globale Studie kommt zu dem Ergebnis, dass besondere Anlässe zwar eine kulturelle Vielfalt hervorrufen können, dass aber, wenn wir auf die Mikroebene der sozialen Interaktion zoomen, die kulturellen Unterschiede größtenteils verschwinden.

Hilfe, die nichts kostet

Kleine Bitten um Hilfe (z.B. um Weitergabe eines Bestecks) kommen im Alltag weltweit sehr häufig vor. Solche Anfragen sind "kostengünstige" Entscheidungen über die gemeinsame Nutzung von Gegenständen des täglichen Bedarfs oder die Unterstützung anderer bei Aufgaben im Haus oder im Dorf. Sie treten weitaus häufiger auf als das Teilen der Beute einer erfolgreichen Waljagd oder der Beitrag zum Bau einer Dorfstraße, also Handlungen, die stark von der Kultur beeinflusst werden.

Wie oft solche "kleinen Bitten" ausgesprochen werden, hängt von der Art der Tätigkeit ab, der die Menschen nachgehen. Am häufigsten wird zum Beispiel bei aufgabenorientierten Tätigkeiten, wie Kochen, um Hilfe gebeten (durchschnittlich eine Bitte pro 1 Minute und 42 Sekunden). Und solche Hilfsanfragen werden im Durchschnitt siebenmal häufiger erfüllt als sie abgelehnt werden. Dieses Ergebnis sei kulturübergreifend und unabhängig davon, ob es sich um eine Interaktion zwischen Familienangehörigen oder Nicht-Familienangehörigen handele, so die Forscher:innen. Das Ergebnis war für sie überraschend, denn die gängigen Theorien gehen davon aus, dass die Verwandtschaft zwischen Individuen sowohl die Häufigkeit als auch das Ausmaß der Ressourcenteilung/Kooperation erhöht.

Für ihre Forschung analysierten die Studienkoordinatoren Giovanni Rossi (UCLA) und Nick Enfield (Universität Sydney) mehr als eintausend Anfrageereignisse in häuslichen und informellen Situationen auf fünf Kontinenten. Sie werteten Videoaufnahmen des täglichen Lebens aus von mehr als 350 Personen - Familie, Freunde, Nachbarn -, die acht verschiedene Sprachen und Kulturen repräsentieren: Cha'palaa (Nordecuador), Lao (Laos), Murrinhpatha (Nordaustralien), Siwu (Ostghana), Englisch (Großbritannien/USA), Italienisch (Italien), Polnisch (Polen) und Russisch (Russland). Sie sammelten und verglichen Audio- und Videoaufnahmen aus erster Hand. Dabei beschränkten sie sich auf möglichst informelle Interaktionen im häuslichen oder dörflichen Umfeld unter Menschen, die sich gut kennen: Familie, Freunde, Nachbarn, da diese ihrer Ansicht nach die grundlegendste und wichtigste Sphäre des sozialen Lebens darstellen und eine solide Grundlage für den Vergleich zwischen den Kulturen bieten.

Hilfe wird um ein Vielfaches öfter geleistet als verweigert

Dabei fiel ihnen auf, dass Menschen manchmal kleine Hilfsbitten auch ablehnen oder ignorieren, aber sehr viel seltener als sie sie erfüllen. Die durchschnittliche Ablehnungs- und Ignorierungsrate lag bei 11 %, wogegen durchschnittlich in 79 % der Fälle geholfen wurde. Wenn Menschen Hilfe anbieten, geschieht dies meist ohne Erklärung, aber wenn sie sie ablehnen, geben sie normalerweise einen ausdrücklichen Grund an (74 % der Fälle). Das deutet laut den Forscher:innen darauf hin, dass die Menschen zwar "bedingt", d. h. nur mit Begründung, Hilfe ablehnen, aber "bedingungslos", d. h. ohne Angabe von Gründen, Hilfe gewähren.
Und interessant ist auch: Wenn Menschen Hilfe ablehnen, vermeiden sie es oft, schlichtweg nur "Nein" zu sagen. Stattdessen nennen sie nur einen Grund für die Ablehnung. In mehr als einem Drittel der Ablehnungen wird nie "Nein" gesagt. Die Mehrheit der Ablehnungen (63 %) besteht darin, einfach einen Grund für die nicht erteilte Hilfe anzugeben.

Die Wissenschaftler:innen betonen, dass sie KEINE Anfragen unter Fremden untersucht haben, sondern ihr Interesse speziell der Zusammenarbeit zwischen sozialen Familienmitgliedern mit engen und dauerhaften Beziehungen galt. Während Begegnungen zwischen Fremden in großen, industrialisierten Gesellschaften üblich seien, sei es in vielen Gemeinschaften auf der ganzen Welt selten, dass man mit jemandem interagiert, ohne zu wissen, wer er ist oder wie er mit einem verwandt ist.
Auch haben sie KEINE großen Bitten untersucht (z. B. knappe Ressourcen zu teilen, eine große Geldsumme zu leihen usw.). Frühere Forschungen zu ökonomischen Spielen hätten sich oft auf Entscheidungen konzentriert, bei denen viel auf dem Spiel steht. Dabei fiel tatsächlich eine bemerkenswerte kulturelle Vielfalt auf. Solche Entscheidungen werden laut den Studienautor:innen aber relativ selten getroffen und sind anfälliger für den Einfluss lokaler Normen, Werte und des sozioökonomischen Umfelds. Kleine, kostengünstige Anfragen seien dagegen allgegenwärtig und oft durch ähnliche Bedürfnisse und praktische Dinge motiviert, die das alltägliche Leben in Gemeinschaften auf der ganzen Welt durchdringen: "Überall brauchen Menschen andere, um Gegenstände weiterzugeben, bei der Zubereitung von Essen zu helfen, schwere Gegenstände zu bewegen usw." Und was noch dazu kommt: die Erfüllung großer Hilfs-Anfragen wird oft aufgeschoben, während kleine Anfragen in der Regel sofort, in den nächsten Sekunden oder Minuten, erfüllt werden. Auf diese Weise konnten sie diese Ereignisse von Anfang bis Ende auf Video festhalten und analysieren.

Quelle:

Wie findest du die News?

Autorin / Autor: Redaktion / Pressemitteilung