Interview mit #Deutschrapmetoo

Karla hat das Team von #Deutschrapmetoo interviewt und mit ihnen über den Umgang mit sexualisierter Gewalt gesprochen. Die Initiative bietet Betroffenen von sexualisierter Gewalt unter anderem eine Plattform, auf der sie ihre Erfahrungen teilen und sich mit anderen Betroffenen vernetzen können. Die Erfahrungen werden aus rechtlichen Gründen anonymisiert veröffentlicht, die Beschuldigten also nicht öffentlich benannt.

Hallo liebes #Deutschrapmetoo Team. Seit Juni diesen Jahres seid ihr auf Instagram aktiv. Wie kam es dazu?

Wir haben schon länger einen Twitter-Account. Dort haben wir im Februar diesen Jahres Betroffene (von sexualisierter Gewalt, Anm. der Redaktion) aufgerufen, sich mit ihren Geschichten bei uns zu melden. Bei dem Aufruf haben wir uns, aufgrund unser eigenen Betroffenheit, auf die Deutschrap-Szene fokussiert. Aus Kapazitätsgründen haben wir unsere Aktivität zu dem Zeitpunkt darauf beschränkt, die Daten zu sammeln und Leute, die den gleichen Namen genannt haben, miteinander zu vernetzen. Im Juni hat sich das geändert, da war der Druck und unsere Motivation so hoch, dass wir gesagt haben: „Wir müssen jetzt was machen.“

Es gibt ja immer wieder Fälle von sexuellen Übergriffen wie der, der im Juni so medial präsent war. Wir wollten, dass ein wirklich langfristiger, nachhaltiger Diskurs entsteht, den wir mitgestalten, und den wir auch vor allem erstmal anstoßen wollten. Wir müssen über (sexuelle) Übergriffe sprechen. Und darüber, dass es eben nicht nur um Einzelpersonen und -fälle geht, sondern auch um Strukturen, die Übergriffe begünstigen. So haben wir uns entschieden, das Ganze etwas größer aufzuziehen und Instagram war in unseren Augen die geeignete Plattform für dieses Vorhaben.

Was ist euer persönlicher Bezug zur Rap-Szene? Hört ihr selbst Rapmusik oder macht sogar welche?

Wir machen selbst keine Rapmusik, aber hören gerne Deutschrap und sind selbst Betroffene von sexualisierten Übergriffen aus der Deutschrap-Szene.

Warum habt ihr euch dafür entschieden, einen Fokus auf die Rap-Szene zu legen? Es gibt ja auch #MeToo?

Das kommt aus unserer eigenen Betroffenheit heraus, die eben mit dieser Szene zusammenhängt. Wir glauben aber, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt.
Außerdem sollte man bedenken, dass es in Deutschland in dem Sinne keine aktive MeToo-Bewegung gab. Klar, einige Leute haben unter verschiedenen Metoo-Hashtags ihre Erfahrungen geteilt, aber daraus ist kein konkretes Hilfsangebot entstanden. Es haben sich keine Angebote und Initiativen entwickelt, es gab nicht wirklich Konsequenzen oder einen langfristigen Wandel in betroffenen Strukturen. Der Diskurs ist dann auch schnell in eine kritisierende Richtung abgedriftet und es wurden Stimmen laut, die gesagt haben: „Oh Gott, #metoo, was darf man jetzt überhaupt noch? Jetzt ist alles schon sexualisierte Gewalt.“ Für Betroffene ist aus unser Perspektive nicht wirklich etwas passiert.

Wir glauben, dass eine nachhaltige Veränderung nur funktioniert, wenn man diese Probleme Stück für Stück aufarbeitet. Dass wir uns einer bestimmten Branche widmen, ist Teil dieses kleinschrittigen Prozesses. Aber wir merken auch, dass diese helfenden Strukturen überall fehlen. Uns schreiben täglich Leute: „Kann man euch auch schreiben, wenn der Übergriff in einer anderen Szene vorgefallen ist?“ Oder wenn die Menschen, von denen die Übergriffe ausgehen, gar keine berühmten Leute sind. Viele Betroffene suchen ein niedrigschwelliges Angebot zum Austausch. Und das gibt es so breit gefächert in der Form gar nicht. Das macht uns einerseits traurig, andererseits sind wir froh, dass wir zumindest mit #deutschrapmetoo jetzt etwas bewegen können.

Welche Aufgaben verfolgt ihr konkret und wie definiert ihr das Ziel eurer Initiative?

Betroffene können uns schreiben, wenn sie uns ihre Erfahrungen und Erlebnisse mitteilen möchten. Wir sind dann mit ihnen in Kontakt und vermitteln ihnen auf Wunsch psychologische und juristische Beratung. Die meisten Frauen, die sich bei uns melden, wollen aber tatsächlich nur die anonymisierte Veröffentlichung und damit die Sichtbarmachung der Übergriffe, die ihnen widerfahren sind und eine Vernetzung mit anderen Menschen, die von Übergriffen durch die gleiche Person betroffen sind.

Unser Ziel ist zum einen die Sichtbarmachung der Betroffenen-Perspektive, weil wir die in der Debatte rund um dieses Thema vermissen. Dabei ist es wichtig, zu merken, dass man mit seinen Erfahrungen nicht alleine ist, und dass so etwas strukturell leider vielen Menschen passiert. Und dass man daran nie selbst schuld sein kann. Natürlich kann so eine Erfahrung trotzdem traumatisierend sein und ein Austausch darüber kann den ganzen Schmerz und das ganze Leid nicht einfach wegnehmen. Aber trotzdem kann es helfen und im Prozess der Heilung auch gut sein, sich auszutauschen.

Zum anderen wollen wir eine prinzipielle Veränderung der Strukturen, z.B. in der Musik-Branche, die sich so verändern muss, dass sexualisierte Gewalt nicht mehr einfach so ausgeübt werden kann. Und letzten Endes ist unser Ziel, dass es insgesamt weniger Betroffene sexueller Gewalt gibt.

Was für Reaktionen bekommt ihr in sozialen Medien auf eure Arbeit?

Wir erleben sehr viel Verständnis und Dankbarkeit.
Natürlich gibt es auch ein paar Leute, die das, was wir machen, nicht so gut finden und sagen: „Mein Gott, was wollen denn diese Feministinnen da wieder?“ Das sind meist Männer, die sich eventuell von unser Arbeit angegriffen fühlen. Wir haben aber mit solchen Reaktionen schon gerechnet und zum Glück auch ein ziemlich dickes Fell.
Teilweise werden wir allerdings auch bedroht und Menschen versuchen, unsere Identitäten aufzudecken. Im Endeffekt versuchen wir aber, uns auch davon abzugrenzen und unsere Arbeit zu machen. Weil es einfach wichtig ist.

Wie geht ihr damit um, wenn ihr übergriffige Nachrichten zugeschickt bekommt? Zeigt ihr die dann an? Auch übergriffiges Verhalten im Internet ist ja schließlich strafbar.

Bisher ignorieren wir eigentlich alle Nachrichten, die wir bekommen, außer es handelt sich wirklich um krasse Nachrichten, in denen uns explizit (sexualisierte) Gewalt angedroht wird. Solche Nachrichten melden wir in der Regel oder machen Screenhots davon. Bisher haben wir keine Anzeige rausgegeben, da die über Klarnamen laufen würden und damit unsere Identitäten bekannt werden würden.

Ihr veröffentlicht die Anschuldigungen von Betroffenen zwar anonymisiert, aber ihr kennt ja die Namen der Beschuldigten. Wie geht ihr damit um? Könnt ihr die Anschuldigungen von der Musik trennen oder hat das Auswirkungen für euch?

Für uns hat das die Folge, dass wir uns bestimmte Künstler_innen nicht mehr anhören. Wir würden niemals die Musik von Leuten feiern, von denen wir wissen, dass sie sexualisierte Gewalt ausüben oder ausgeübt haben. Da haben wir überhaupt keinen Bock drauf. Es gibt aber genug Künstler_innen, auf die das nicht zutrifft. Vor allem gibt es so viele tolle Rapperinnen, die man diesbezüglich uneingeschränkt hören kann. Daher schränkt es uns nicht wirklich ein, dass wir die Musik dieser Rapper nicht mehr hören.

Habt ihr ein paar Empfehlungen, wessen Musik man ohne Bedenken hören kann?

Sokee ist auf jeden Fall immer eine gute Adresse. Als letztes hat sie ein Kinderalbum rausgebracht und spezialisiert sich jetzt auch insgesamt eher auf Musik für jüngere Hörer_innen. Ansonsten gefällt uns Ebow auch sehr gut. Diese beiden Rapperinnen können wir mit einem guten Gewissen auch einem jüngeren Publikum empfehlen. Ansonsten gibt es natürlich in der gesamten deutschen HipHop Musik viele explizite Stücke, die nicht unbedingt für alle Altersklassen geeignet sind.

Was würdet ihr tun, wenn ihr die Rap-Szene von heute auf morgen ändern könntet?

Wir würden dafür sorgen, dass mehr Frauen und andere marginalisierte, diskriminierte Gruppen bzw. Leute die unterrepräsentiert sind wie z.B. People of Color oder Leute aus der LGBTQIA+– Szene auf der Bühne stehen. Damit alle Gruppen und Individuen, aus denen sich eine Gesellschaft zusammensetzt, repräsentiert werden. Und wir wünschen uns, dass der Fokus stärker auf der Frage liegt, wer Lust hat, zu rappen und das gut macht. Also es sollte nicht darum gehen, wer kommerziell am erfolgreichsten ist.

Außerdem hätten wir auch gerne in der ganzen Veranstaltungsbranche mehr Frauen. Schon allein um für möglicherweise Betroffene, in erster Linie für FINTA*-Personen, ein sicheres Umfeld und eine Atmosphäre zu schaffen, in der niemand Angst haben muss. Das könnte heißen, dass es mehr Safe Spaces, mehr Ansprechpartner_innen und mehr Awareness- Konzepte gibt.

Solche Konzepte nur auf die Rap-Szene zu spezialisieren, finden wir allerdings schwierig. Alles, was wir in der Rap-Szene durchsetzen wollen, gilt auch für die komplette Gesellschaft. Es ist nicht so, dass wir sagen: „Sexuelle Übergriffe und Sexismus betreffen nur die Rap-Szene.“

Was würdet ihr Betroffenen empfehlen?

Es hilft auf jeden Fall, sich selbst immer wieder zu sagen, dass man selbst nichts für einen (sexuellen) Übergriff kann und sich vor Augen zu führen, dass diese, von anderen ausgeübte, Gewalt nicht in Ordnung ist. Und dabei braucht man in der Regel Hilfe, weil es nicht so einfach ist, dass alleine zu verstehen und für sich umzusetzen.

Darum ist es wichtig, dass man psychologische und juristische Beratung erhält und weiß, welche Möglichkeiten man in so einer Situation hat. Also welche Schritte Sinn ergeben, wer helfen kann, wie man sich mit anderen austauschen kann und wer einem in so einem Moment zuhört. Es kann auch helfen, mit einer Person, der man vertraut, über die eigenen Erfahrungen zu sprechen. Teilweise ist es aber sinnvoll, sich an eine professionell dafür ausgebildete Person oder eine Beratungsstelle zu wenden. Die Kontaktaufnahme ist relativ niederschwellig: Meist können Betroffene einfach eine Mail schicken oder eine Telefonhotline anrufen. Solche Angebote können sehr hilfreich sein, wenn sie so aufgebaut sind, dass sie den Betroffenen ein gutes Gefühl geben und Menschen sich daher vorstellen können, sie zu nutzen.

Natürlich ist uns klar, dass es immer ein schwerer Schritt ist, sich zu öffnen. Aber diese Erfahrungen mit sich herumzuschleppen, ohne darüber zu sprechen, ist auf Dauer nicht gut. Außerdem glauben wir, dass es hilfreich ist, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und zu vernetzen. Das ist ja im Endeffekt auch das, was wir anbieten.

Sexistische Texte sind das eine, sexualisierte Übergriffe das andere. Gibt es da einen Zusammenhang? Oder fällt das in euren Augen alles unter Kunstfreiheit?

Wir glauben nicht, dass man da irgendwas trennen kann oder sollte. Denn wofür soll man eine_n Künstler_in bewerten, wenn nicht für die Kunst, die diese Person erschafft und mit der sie in der Öffentlichkeit steht? Gleichzeitig ist für uns klar, dass Sexismus und sexualisierte Gewalt oder Frauenfeindlichkeit niemals zur Kunstfreiheit gehören dürfen und kein Stilmittel sein können.

Wir sind zwar nicht der Meinung, dass es in der Rap-Branche mehr sexuelle Übergriffe oder mehr sexualisierte Gewalt gibt als in anderen Bereichen (der Musikbranche), aber es ist natürlich so, dass sexualisierte Texte im (Deutsch-)Rap sehr präsent sind und diese wiederum eine bestimmte Atmosphäre schaffen. Jede Zeile, in der Frauenverachtung propagiert wird, in der Frauenfeindlichkeit, Vergewaltigungsfantasien oder Sexismus reproduziert werden, trägt zu dieser Atmosphäre bei. Und das hat immer einen Einfluss auf die Leute, die sich diese Musik anhören - egal ob jung oder alt. Wobei junge Leute vielleicht tendenziell stärker von den Botschaften in der Musik beeinflussbar sind. Das sollte Rapper_innen bewusst sein und sie sollten sich fragen, welche Atmosphäre sie mit ihrer Musik schaffen möchten und was sie mit ihren Songs aussagen möchten.

Im Endeffekt treffen die Musiker_innen bewusste Entscheidungen darüber, in welche Richtung sich ihre Musik und die darin gemachten Aussagen bewegen. Daher sollte man diese Botschaften nicht von den Musiker_innen trennen. Trotzdem ist es nicht ganz unwichtig, dass Sexismus sich einfach sehr, sehr gut verkauft. Das ist im HipHop so, das ist in der Werbebranche so, das ist eigentlich überall so. Daher muss sich auch unser aller Bewusstsein dafür und unser Umgang damit ändern.

Wer ist denn bei euch aktiv, bzw. wie kann man bei euch aktiv werden oder euch unterstützen?

Wir sind im Kernteam zu zweit, haben aber eine Pressesprecherin und ein Netzwerk aus Jurist_innen, Psycholog_innen. Da wir versuchen, mit unseren Posts auch zu sensibilisieren und Aufklärung betreiben, holen wir uns bei Bedarf gerne Expert_innen dazu. Unterstützen kann man uns, indem man sich mit der Thematik befasst, für übergriffiges Verhalten sensibilisiert und auch das eigene Verhalten reflektiert.
Und wer mag und die Möglichkeiten dazu hat, kann uns auch finanziell unterstützen.

Habt ihr noch eine Botschaft an Menschen, die sich für Rap-Musik interessieren und sich mit dem Thema sexualisierte Übergriffe (in der HipHop-Szene) auseinandersetzen wollen?

Beschäftigt euch mit den Strukturen, in denen wir leben! Und versucht, euch diese in Erinnerung zu rufen, wenn ihr euch Musik (z.B. Rap-Musik) anhört. Also auch zu hinterfragen: „Was sagt die Person da überhaupt und wie finde ich das? Und wie fühle ich mich damit?“

Natürlich soll niemand den Spaß an der Musik verlieren, die er oder sie gerne hört! Zum Glück gibts ja auch total viele Musiker_innen verschiedenster Genres, deren Texte ohne Sexismus auskommen, die man sich richtig gut anhören kann und durch die man sich vielleicht sogar empowert fühlt!

Außerdem würden wir empfehlen, sich früh mit dem Thema Konsens auseinanderzusetzen. Also zu überlegen, wo die eigenen Grenzen liegen und wann ein anderer Mensch diese überschreitet. Und sich zu überlegen „Wie kommuniziere ich meine Grenzen, wie machen das andere Leute? Und wie respektiere ich auch die Grenzen von Anderen?“ Gerade für jüngere Menschen ist das in unseren Augen extrem wichtig.
Und eigentlich ist es ja auch gar nicht so schwer.

Vielen Dank für eure Zeit und das Interview!

Autorin / Autor: DRMT, Karla Groth - Stand: 15. September 2021