Be Loud – Be Proud – Be Beautiful!

Gianni Jovanovic ist Jurymitglied des Kreativ- und Schreibwettbewerbs #IchDuWirVonHier und Vorbild der Kampagne IchDuWirNRW vom Integrationsministerium NRW. Wir befragten ihn zu seinem politischen Engagement.

Bild: Stefanie Päffgen

Gianni Jovanovic (42) ist der Sohn einer Roma-Familie. Schon als Kind erlebte er Diskriminierung und Ausgrenzung. Als Teenager wurde er von seinen Eltern verheiratet. Wenig später wurde er zweimal Vater. Mit Mitte 20 outete er sich in seiner Familie als homosexuell. Inzwischen ist er seit vielen Jahren glücklich mit einem Mann verheiratet und hat guten Kontakt zu seinen Kindern und Enkelkindern. Gianni lässt sich nicht in Schubladen stecken. Er ist Unternehmer mit Hochschulabschluss, Aktivist und Performer.

Lest, was Gianni zu Respekt und Veränderung zu sagen hat und lasst euch ermutigen!

Wie bist du eigentlich dazu gekommen dich politisch zu engagieren?
Ich würde sagen das politische Engagement ist eher zu mir gekommen 😉 Ich habe in meinem Leben, bezogen auf meine Homosexualität und meine ethnische Herkunft als Rom ganz viele Repressalien und Ressentiments durch meine Familie und die Gesellschaft erlebt. Das hat einen enormen Leidensdruck in mir entwickelt. Weil ich bereits selbst Kinder hatte, war es mir wichtig zu sagen: Du musst wirklich was in deiner Familie verändern. So etwas wie bei mir mit der Verheiratung darf nicht noch einmal passieren. Deshalb war es mir wirklich wichtig, dass ich erst einmal in meiner Familie politische Aspekte sozusagen etabliere. Erst danach ist mein Engagement quasi kollektiv geworden, weil ich verstanden habe, okay in meiner Familie, die ja wirklich sehr schwierig war - da schaff ich das, dann muss es ja für die Gesellschaft auch funktionieren. Und dann ging die Öffentlichkeitsarbeit los.

Wie meinst du, kann man andere Menschen dazu bringen sich auch politisch zu engagieren? Braucht es dazu vielleicht Vorbilder?
Ja, die Kampagne „IchDuWirNRW“ vom Integrationsministerium NRW ist ein gutes Beispiel dafür. Da werden Menschen vorgestellt, die beispielsweise entweder einen Migrationshintergrund haben oder hier geboren sind und eine internationale Familiengeschichte haben. Ich bin eines der Vorbilder der Kampagne. Wir zeigen unser Gesicht, indem wir einfach über unsere Herausforderung im alltäglichen Leben sprechen und über das, was uns bewegt. Ich kann mittlerweile bestimmte Gedanken und Gefühle auszusprechen, die vielleicht manch einer, der noch nicht so sensibilisiert ist, oder der dazu noch keine Sprache entwickelt hat, einfach noch nicht aussprechen kann.

Ein Beispiel: Alltäglich Rassismus zu erleben - das kann man manchmal einfach gar nicht richtig mit Worten beschreiben. Deshalb ist es wichtig, dass es Menschen in einer Vorbildfunktion gibt, die darüber auch sprechen, um anderen Menschen Brücken zu bauen und ihnen den Zugang zu erleichtern. Damit die Menschen das Gefühl bekommen: „Hey wir sind nicht allein, da ist noch jemand, der fühlt das gleiche wie ich!“ Das schafft Zugehörigkeit und man hat dann das Gefühl – man ist nicht ganz allein auf dieser Welt.

Du hast dir viel vorgenommen und bekämpfst mehrere Diskriminierungsformen gleichzeitig – die Diskriminierung von queeren Personen und die Diskriminierung von Sinti und Roma. Warum ist dir das wichtig?
Die sogenannte Intersektionalität, also die Überkreuzung von Mehrfachdiskriminierungen, spielt auch in meinem Leben eine ganz entscheidende Rolle. Ich bin ein schwuler Mann, ich bin Rom, ich bin Einzelkind, ich bin auf einer Sonderschule eingeschult worden, obwohl ich da gar nicht hingehörte, meine Eltern waren ökonomisch ganz unten und vieles andere mehr. Das sind alles Faktoren, die dich prägen und die kannst du dir nicht einfach aus der Haut rausschneiden. Ich kann nicht sagen: „Ich bin nicht schwul“ und „Ich bin nicht Rom“, wenn es nicht so ist! Die Problematik dabei ist, dass ich in meiner Rom-Community Probleme dadurch habe, dass ich schwul bin und in der Mehrheitsgesellschaft habe ich Probleme damit, dass ich Rom bin. Das ist total nervig. Ich kann weder das eine noch das andere aus mir rausfiltern, nur um konform und „normal“ zu sein. Ich strebe das zwar auch gar nicht an, aber ich kann und will auch die normative Erwartungshaltung gegenüber meiner Person nicht erfüllen. Ich möchte keine offene Projektionsfläche für die Vorstellungen und Erwartungshaltungen der Menschen sein, dagegen steht mein starker Charakter und mein Selbstwertgefühl. Ich bin ich! mit allen meinen Facetten und ich bin selbstbewusst und stark.

Welche Werte sind dir denn persönlich wichtig?
Werte sind mir besonders wichtig, wenn es um all die schwierigen Themen geht, wie Intersektionalität, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Nationalsozialismus, Frauenfeindlichkeit und Sexismus.
Alle Menschen, auch die vermeintlichen Minderheiten, müssen sichtbar sein, müssen gesehen werden. Wir müssen uns einig sein, dass der Wert „sichtbar zu sein“, dass der Wert respektvoll und achtsam zu sein sehr wichtig ist. Wir müssen mit Respekt und Achtung in jedes Gespräch gehen, das ist wirklich wichtig. Alle Menschen, die am Endes des Tages dieses Interview gelesen haben, müssen nicht derselben Meinung sein, sie müssen aber das Gefühl haben, dass dieses Gespräch von Respekt und Achtung überstrahlt ist. Das ist das Entscheidende. Das heißt, wir müssen auf unsere Sprache achten, das ist ein ganz großer Wert in dem Zusammenhang. Wir haben mit Deutsch eine der präzisesten Sprachen überhaupt auf der Welt und deshalb ist es ganz entscheidend, dass wir unsere Sprache aus der Präzision heraus auch noch mit Emotion füllen. Das ist das, was uns in der deutschen Sprache oft fehlt, die Emotion und die Empathie. Da müssen wir hin, wir müssen gucken, dass wir wirklich andere Kommunikationsparadigmen entwickeln, die einen friedlichen Diskurs ermöglichen, damit wir über diese schwierigen Thematiken wie beispielsweise Rassismus wirklich reden können.

Was ist für dich Respekt?
Wenn du achtsam mit meiner Lebensrealität umgehst, das ist für mich Respekt. Wenn du mir zuhörst, wenn es um bestimmte Themen geht, wo ich die Expertise habe. Respekt ist aber auch, wenn du die Deutungshoheit über meine Gefühle und meine Gedanken, meine Sprache da lässt, wo sie hingehört, also bei mir. Das ist für mich ein Wert, das brauche ich. Das brauchen wir!

Kannst du bitte erklären was du damit meinst: Der deutschen Sprache fehlt die Emotion?
Also ich fang mal ganz von vorne an. Deutschland ist kein freundliches Land. Es sind die Menschen, die das Land ausmachen, das siehst du in allen Bereichen, wenn beispielsweise Menschen, die unseren Schutz brauchen, jeden Tag diskriminiert und ausgegrenzt werden. Das fängt bei den Kindern an. Wir sind kein kinderfreundliches Land. Es gibt hier Restaurants und Hotels, wo keine Kinder erwünscht sind. Es gibt Partys, wo keine Kinder erwünscht sind. Es gibt Hochzeitsveranstaltungen: Aber bitte ohne Kinder. Ich frage mich: „Hey Leute, was ist los mit euch?“ Wo ist eure Empathie, eure Emotion? Diese kleinen Menschen müssen doch mit uns in Interaktion bleiben in allen Bereichen; irgendwann werden sie erwachsen und machen das gleiche….
Oder nehmen wir das Thema Pflege oder den Umgang mit den alten Menschen überhaupt in diesem Land. Wir haben das Glück, dass sehr viele Menschen ihre Eltern zu Hause pflegen, aber wenn man an die denkt, die gerade jetzt in einem Heim waren oder sind, stimmt einen das traurig - der Umgang der Institutionen mit den alten Menschen ist nicht freundlich. Die Politik und die Arbeitswelt ist gegenüber Frauen nicht freundlich. Darüber müssen wir nachdenken, was ist bei uns das Problem? Warum sind wir in vielen Bereichen so unterkühlt? Was ist da passiert, was haben wir von Generation zu Generation mitgenommen und kultiviert und gar nicht gecheckt? Der Auftrag an uns alle lautet, schaut eure eigenen Strukturen und Familien an. Was ist da abgelaufen? Beendet das, was nicht gut war. Ich habe zum Beispiel das beendet, was mein Vater und meine Mutter und meine Großeltern machen mussten, weil sie unter anderen Umständen gelebt haben. Aber wir leben heute nicht mehr unter diesen Bedingungen. Wir haben heute alle sehr viele Privilegien. Und es ist wichtig, dass wir die Privilegien sharen, teilen mit denen, die nicht die Möglichkeiten haben. Solange Frauen immer noch nicht das gleiche Geld verdienen wie die Männer in der Arbeitswelt, solange Frauen in der Traditionsrolle als Beschützerin, als Ernährerin, als Bewahrerin, als Mutter, als Liebhaberin oder als Sexobjekt dargestellt werden, brauchen wir starke Frauen und Quoten, die es genau andersrum machen und das andere sichtbar machen. Es geht nicht darum, die von der Gesellschaft zugeschriebene Rolle zu erfüllen, es geht darum, die eigene Rolle, die eigene Lebensexpertise sichtbar zu machen. Das ist das Entscheidende, das wir die eigene Souveränität in der Gesellschaft feiern für jeden!  Wenn wir das geschafft haben und jede und jeden in seiner Wertigkeit annehmen, dann können wir viel stärker, ökonomischer, politischer und sozialer miteinander umgehen. Das ist der Schlüssel. Natürlich brauchen wir politische Strategien, Masterpläne und Umsetzungspläne, aber dafür ist die Politik zuständig. Wir als Zivilgesellschaft müssen an solchen Narrativen mitarbeiten, damit es in der Gesellschaft kultiviert werden kann. Wir als Zivilgesellschaft sind diejenigen, die das in die Tradition und ins Leben bringen.

Und deshalb forderst du die Jugendlichen als Jurymitglied auf: Be Loud – Be Proud -Be Beautiful!
Wir alle müssen laut sein, wenn es um Intersektionalität, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Frauenfeindlichkeit, Kinderfeindlichkeit etc. geht. Wir müssen all diese Menschen, die diskriminiert werden, emporheben, weil wir die Privilegien haben. So stelle ich mir eine gerechtere Welt vor. Das ist der Schlüssel, um in bestimmten Bereichen die Strukturen aufzubrechen. Unsere Empörung muss laut sein, muss von allen geäußert werden und richtet sich an alle. Wenn du davon hörst, dass jemand diskriminiert wird, mach den Mund auf! Gerade in deinen eigenen Spaces ist das wichtig.
Also zum Beispiel, wenn jemand rassistische Sprüche macht, etwa auf der Geburtstagsfeier vom Opa, der gerade 70 geworden ist und bei der nur „weiße“ Menschen im Raum sind, also Menschen die nicht direkt von der rassistischen Aussage betroffen sind, dann müsst ihr trotzdem über dieses Thema diskutieren und den Rassismus benennen. Das ist nicht immer nur die Aufgabe derjenigen, die davon betroffen sind, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darauf zu achten, dass so etwas nicht passiert. Das ist entscheidend:  Ich für dich, Du für mich, wir alle füreinander! Das klingt total pathetisch – ich weiß 😉. Aber wir brauchen dieses Bild, damit wir nicht zu früh aufgeben.

Was erhoffst du dir von den Beiträgen des Wettbewerbs #IchDuWirVonHier?
Ich hoffe einfach, dass die Teilnehmer_innen ihr Inneres nach außen kehren und ihre Kreativität zeigen. Ich hoffe, dass sie dadurch vielleicht auch bestimmte Dinge verarbeiten können, und dass sie ihre eigene Sprache und ihren eigenen Umgang, ihre eigene Perspektive, die sie zu diesen Themen haben, sichtbar machen. Wichtig ist, dass im Diskurs verschiedene Perspektiven zum Tragen kommen. Meine Perspektive ist nicht die der Status-quo-Expertise. Es gibt ganz viele Menschen, die auch ganz viele unterschiedlichen Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass wir auch gerade junge Menschen wirklich in die Mitte unserer Gesellschaft holen, weil nicht erst seit FridaysForFuture -wissen wir, dass wir kluge junge Menschen haben – und das war schon immer so. Wir müssen uns diesen allgemeinen Adultismus in unserer Gesellschaft, also den uneingeschränkten Respekt vor den Älteren und die Haltung „der Ältere hat immer recht“ genauer anschauen und herausfinden, was das eigentlich mit unserem Miteinander macht. Das ist ganz wesentlich für die Kommunikation und auch die Interaktion. Deshalb ist es wichtig, dass gerade junge Menschen die Möglichkeit haben zu sagen: „Hey, das ist unser Standpunkt. Wir sehen das so, so geht es uns emotional, und das sind unsere Vorschläge zu dem, was wir brauchen. Es reicht!“ Wir müssen jungen Menschen zuhören, die sind nicht dumm, die sind klüger als manche Politiker_innen, die im Bundestag sitzen.

Vielen Dank für das interessante Interview und viel Erfolg für all deine Aktivitäten!

Autorin / Autor: Ulrike Schmidt, Gianni Jovanovic; Bild: Bild: Stefanie Päffgen - Stand: 21. Juni 2021