Sorry, Mitgefühl gerade nicht möglich

Studie untersuchte, wie Infekte unsere Empathie beeinflussen

Ihr kennt es bestimt aus eigener Erfahrung: Ist man erkältet oder liegt mit einer anderen Infektion flach, hält sich das Mitgefühl mit anderen in Grenzen, obwohl man ansonsten vielleicht eigentlich ein ganz empathischer Mensch ist. Nun hat eine Studie der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Duisburg-Essen gezeigt, dass es dafür einen biologischen Grund in unserem Körper gibt. Die Forschenden untersuchten das sogenannte Sickness Behavior, einen Prozess, bei dem der Körper seine biologischen Prioritäten im Rahmen eines akuten Infekts neu ordnet. Er wurde bisher hauptsächlich in Zusammenhang mit sozialem Rückzug und sozialer Entfremdung erforscht. Aber wie beeinflusst Krankheit unser Einfühlungsvermögen, unsere Empathie? Die aktuelle Studie wirft ein neues Licht auf die Zusammenhänge zwischen Infekten mit Entzündungen im Körper und der Fähigkeit, den Schmerz anderer mitzufühlen.

Sickness Behavior

Die Forschenden aus Bochum und Essen verabreichten für ihre Experimente 52 freiwilligen weiblichen Testpersonen eine niedrige Dosis von bakteriellem Endotoxin (kurz LPS für Lipopolysaccharid) oder – als Placebo – eine Injektion von Kochsalzlösung. LPS kann verschiedene Facetten des Sickness Behavior auslösen. Im Anschluss wurden die Frauen gebeten, verschiedene soziale Interaktionen zu bewerten. Dazu wurden ihnen Bilder von Frauen gezeigt, die entweder körperlichen oder psychischen Schmerzen ausgesetzt oder in einer emotional neutralen Interaktion mit einem männlichen Gegenüber zu sehen waren.

„Die Ergebnisse haben uns überrascht“, schildert Erstautorin Vera Flasbeck vom LWL-Universitätsklinikum Bochum. „Während das Mitgefühl für körperlichen Schmerz bei der LPS- und der Placebo-Gruppe weitgehend gleich war, zeigte sich hingegen für psychischen Schmerz bei den Probandinnen unter LPS-Einwirkung eine signifikant verringerte Empathie.“ Akute Entzündungen führten in der Studie somit dazu, dass Menschen weniger Mitgefühl hatten für den psychischen Schmerz anderer.

Krankheitsgefühl und gesellschaftspolitische Relevanz

„Wir vermuten, dass die verringerte Empathie dazu dient, im Krankheitsfall Energie im Hinblick auf soziales Engagement zu sparen“, erläutert Prof. Dr. Martin Brüne vom LWL-Universitätsklinikum Bochum, der die Studie zusammen mit den Professoren Manfred Schedlowski und Harald Engler vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen leitete.

„Die Erkenntnisse der Studie deuten darauf hin, dass Entzündungen – wie beispielsweise bei körperlichen Infekten – sowohl unsere körperliche Gesundheit als auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen.“ Das Thema sei gerade vor dem Hintergrund der abgelaufenen Pandemie von allgemeinem Interesse, ergänzt Schedlowski und ordnet ein: „Die Ergebnisse haben unter Umständen gesellschaftspolitische Relevanz. Wie wirkt sich ein allgemeines Krankheitsgefühl beispielsweise auf die Entscheidungsfindung aus, etwa auch in Bezug auf politische Entscheidungen?“

Bisherige Studien haben allerdings gezeigt, dass Individuen mit ansteckenden Krankheiten von Mitgliedern der sozialen Gruppe gemieden, manchmal aber auch umsorgt werden. „Dieses Verhalten zeigt sich vermutlich in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad“, so Brüne. „Interessant wäre zu untersuchen, wie Bindung und Vertrautheit die Empathie für Schmerzen beeinflussen.“

Das Team aus Bochum und Essen, das im Rahmen der Universitätsallianz Ruhr kooperiert, veröffentlichte seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Brain, Behavior, and Immunity“.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 16. Mai 2024