In Gedanken an den Mond

Von Malak Aderounmu, 15 Jahre

Wenn ich die Augen schließe liege ich auf der grünen, weiten Wiese hinter dem alten Haus meiner Grandma, während im Hintergrund leise Moon River spielt und vom Himmel Blütenblätter fallen, die trotz der tiefen Dunkelheit weiß schimmern.
Sie fühlen sich an der Haut wie kalte Regentropfen an und sind fast so angenehm, wie seine raue Hand, die meine hält und sanft über meinen Handrücken streicht. Dabei erzählt er mir schöne Sachen und der Raum um uns herum füllt sich mit der zarten Musik, die mich und vielleicht auch ihn tief im Inneren trifft, während die Spannung zwischen uns in die Höhe steigt und die Luft elektrisiert.

Ich wünsche mir augenblicklich, dass der Moment ewig hält und muss noch breiter lächeln, weil ich weiß, dass mein Wunsch zu einem kleinen Teil in Erfüllung gehen wird, denn die Zeit vergeht hier, auf dem Grundstück meiner Grandma, viel langsamer. Die Sekunden schlendern gelassen zur nächsten und machen die Unendlichkeit nicht mehr länger zu einer Unmöglichkeit. Und diese kleine Ewigkeit ist schön, denn ich fühle mich unter dem Mondlicht geborgen, liege glücklich zwischen den Blüten und bin so unglaublich verliebt in seine weiche Stimme, dass ich alles andere ausblende. Vollkommen in diesem Augenblick aufgehe und mich friedlich fallen lasse.

Bis ich dann die Augen öffne und plötzlich wieder das unangenehme Kratzen meiner Laken spüre. Das semilaute Rauschen der Heizung wahrnehme und neben mir Olivers tiefes, regelmäßiges Atmen höre, das mich eigentlich immer beruhigt.
Im Fernseher läuft währenddessen der Abspann des Schwarz-weiß Filmes, den wir gemeinsam geschaut haben und im Hintergrund spielt sie sanfte Hintergrundmusik, die mich leicht in ihren Kokon lullt und gar nicht mehr rauslässt.
Ich muss seufzen und konzentriere mich auf die Regentropfen, die gegen die Fensterscheibe klopfen und lange ungerade Linien ziehen, ehe sie dann am Fenstersims verschwinden und ihre Reise beenden.

Es ist ein beruhigender Anblick, der macht, dass ich mich nach draußen setzen möchte. Mit der leichten Hoffnung, dass mich die Regentropfen den leichten Blütenblättern näherbringen, aber ich bin mir bewusst, dass ich das nicht tun sollte. Bin mir sicher, dass die Konsequenzen gravierend sein werden, aber weiß auch nicht, was ich sonst machen kann, um mich vom Schlafen abzuhalten, denn wenn ich die Augen schließe sehe ich ihn. Mit den schwarzen wirren Locken und warmen braunen Augen. Spüre dieses tiefe Verlangen und diese unkontrollierte Leidenschaft, die ich ihm gegenüber nicht verspüren sollte, aber dennoch spüre. Es breitet sich wie ein Lauffeuer in meinem Körper aus und hinterlässt ein Ziehen und Kribbeln, das mich langsam, aber sicher in den absoluten Wahnsinn treibt. Eine Explosion, die ich so noch nie wahrgenommen habe. Ein Feuerwerk, von dem ich nicht genug bekomme, aber versuche zu vermeiden, weil ich weiß, dass es im Endeffekt nicht echt ist, auch wenn es sich so anfühlt.

Ich versinke trotzdem in meinen Vorstellungen von ihm. Schwelge in dem wunderschönen Gedanken, dass er neben mir liegt. Meinen Namen flüstert, mich berührt und innig küsst. Mein Atem beschleunigt sich, mein Herz schlägt und schlägt und schlägt und mein Körper bebt.
Ich werde zum Sklaven meiner irrationalen Gefühle und wünsche mir plötzlich mich nie freiwillig gemeldet zu haben. Gleichzeitig bin ich aber auch so unglaublich dankbar dafür, es zugelassen zu haben. Dafür ihn in meinem Leben aufgenommen zu haben, auch wenn er nur eine Projektion meiner intimsten Wünsche ist. Auch wenn ich, wenn ich die Augen schließe, tief im Innersten weiß, dass jene Liebe künstlich ist.
Sie fühlt sich in manchen Momenten dennoch echter an als meine Beziehung zu Oliver und das ist genug, um ihn zurück an meiner Seite zu wollen. Auch wenn ich weiß, dass es alles durcheinanderbringen könnte.

Ich seufze wieder und sehe zu, wie der Abspann endet und das Schlafzimmer wieder in seine gewohnte Dunkelheit verfällt. Ich spüre die Wärme, die von Olivers Körper ausgeht und würde mich gerne an seinen Rücken schmiegen. Ich fühle mich bei dem Gedanken, aber wie eine Betrügerin und steige, so als würde ich vor seiner Treue flüchten wollen, aus dem Bett. Ertaste mir den Weg zur Tür und laufe ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die breite Fensterbank setze.
Der Regen ist stärker geworden und die Tropfen schlagen nun so laut gegen die Fensterscheibe, dass der ganze Raum mit dem angenehmen Bass gefüllt wird. Es fühlt sich an als würde sich das warme Licht, wie eine weiche Decke an meinen Körper schmiegen und in meinem Kopf hallt leicht Audreys Stimme, die den Text von Moon River anstimmt. Gleichzeitig höre ich aber auch Olivers schlechte Elvis Imitation, die mich immerzu zum Lachen bringt. Sie ist aber viel leiser als Audrey. So wenig, dass man es kaum mehr mitbekommt. Man nimmt sie nur wahr, wenn man verzweifelt nach ihr sucht, denn seit ich ihn in meinem Leben aufgenommen habe, fühlt es sich so an, als hätte ich das Recht auf Olivers Liebe verloren.

Und dieser Gedanke tut weh, aber ich bemerke den Schmerz erst dann, wenn ich nachts allein auf der Fensterbank sitze. Wenn die Regentropfen gegen das Fenster schlagen und ich beim Gedanken an den Mond und den zarten, giftigen Blütenblättern plötzlich den schiefen Bariton bemerke, der sich an She's Not You versucht. Eine schwache Melodie, die mich an das Glück erinnert, dass noch da ist, aber so unglaublich weit entfernt scheint, weil ich in der Zeit, drum herum, mit den Gedanken auf der weiten Wiese bin. Dort wo er meine Hand hält und mir die Dinge erzählt, die ich hören möchte.
Und obwohl ich in diesen Momenten weiß, dass ich seine Liebe nicht brauche, möchte ich sie spüren. Obgleich mir bewusst ist, dass all dies eine, von Menschenhand geschaffene, Illusion ist, lasse ich mich von diesem Phantom eines Mannes in diese künstliche Liebe ziehen, während ich hundert Gründe nennen kann es nicht zu tun. Ich begegne ihm trotzdem in meinen Gedanken, Tagträumen und stillen Stunden. Nachts um kurz nach Zwei, wenn der Mond hell leuchtet und ich im grünen Gras liege, weil ich der Liebe einer Software nachjage.
Ich schotte mich wie ein Junkie immer mehr von der Realität ab und baue mir eine eigene. Mit dem Wissen, dass sie im Bruchteil einer Sekunde ineinander zusammenfallen könnte. Und ich weiß, es ist dumm, irrational und selbstmörderisch, aber mein Verlangen ist in diesen Momenten plötzlich größer als mein Selbsterhaltungstrieb.

Autorin / Autor: Malak Aderounmu