Hilfe, Kleiderkrise!

Da nimmt man sich vor, beim Shoppen auf Nachhaltigkeit zu achten - und kaum hat man sich ein bisschen mit dem Thema auseinandergesetzt, kommt die Überforderung. Lohnt sich all die Mühe überhaupt? Dürfen wir heute überhaupt noch neue Kleider kaufen? Pia kennt dieses Gefühl und schreibt darüber - und über Lösungsmöglichkeiten

Eine Zeit lang war ich davon überzeugt, dass die Welt in Ordnung ist, solange die neuen Kleider, die ich kaufe, zu 100% aus Baumwolle sind. Kein Polyester, kein Elasthan und so weiter, also kein Mikroplastik beim Waschen. Eine einzige Faser, also sollte das mit dem Recyceln doch einigermaßen funktionieren. Und Baumwolle… das klingt doch schon so ökologisch!
Nur ist das Ganze leider nicht so einfach. Ja, Baumwolle ist eine natürlich nachwachsende Faser, und ja, offenbar ist der CO2-Abdruck dieser in der Produktion zumindest nur halb so groß wie zum Beispiel bei Polyester. Aber, was viele sicher schon wissen: Der Anbau von Baumwolle verbraucht unglaublich viel Wasser und trocknet damit laut Bundesumweltamt unter anderem den Aralsee aus. Außerdem werden die Felder häufig mit Unmengen von Pestiziden bespritzt, die das Artensterben anheizen. Und das ist bekanntlich eine Krise, die mindestens genauso gravierend ist wie die Klimakrise.

Und dann steht man im Modeladen und kriegt eine Krise, die sich ungefähr genauso groß anfühlt. Vielleicht doch lieber den Pullover aus Polyester? Das lässt sich immerhin leichter recyceln. Aber all das Mikroplastik beim Waschen, den traut man sich dann am Ende gar nicht anzuziehen, weil man sich so schlecht fühlt, wenn man ihn in die Wäsche wirft. Wie viele Tiere sterben von Mikroplastik im Wasser im Vergleich zu Pestiziden auf dem Baumwollfeld? Und was weiß man eigentlich nicht über all diese anderen Fasern, womit töten die ihr Umfeld, Hilfe, das muss man ja studieren um durchzublicken!
Einer der Gründe, warum ich Shopping häufig ziemlich stressig fand.

Wie sollen wir heutzutage shoppen gehen?

Reißen wir uns zusammen. Es gibt ja einige Fasern, die (hoffentlich) gar nicht so schlimm sind. Bio-Baumwolle sollte dazu gehören. Leinen, Hanf, Wolle, vielleicht auch einige der modernen Fasern wie Lyocell oder Viskose? Super, daran kann man sich festhalten. Nur kriegt man dann im Kleidungsgeschäft die Krise, weil es so schwierig ist, Kleidung zu finden, die zu 100 Prozent aus solchen Fasern ist und die gleichzeitig kein Loch in den Geldbeutel reißen. Und irgendwo im Hinterkopf sitzt der ungebetene Gedanke, dass das ja alles schön und gut ist, aber dass auch noch so ökologisch produzierte Kleidung immer noch einen CO2-Fußabdruck hat. Wenn ich jetzt fünf neue T-Shirts und drei neue Hosen will, und das Kleid da hinten an der Wand auch noch so schön aussah, bin ich erstens arm und zweitens habe ich dann auch mit ökologisch produzierter Ware ordentlich CO2 verursacht. Und eine Menge Pestizide und ungebetene Chemikalien im Grundwasser und was sonst noch alles. Und überhaupt, wie verlässlich sind all diese Siegel? Und betreiben Fast-Fashion-Läden nicht vor allem Greenwashing? Verdammter Mist!
An dieser Stelle hilft es erst einmal durchzuatmen. Was sind denn die Fakten? Erstens: Etwas zu kaufen bedeutet immer Konsum, und das bedeutet einen Ausstoß von Treibhausgasen, mal größer, mal kleiner. Zweitens: Viel zu kaufen bedeutet viel Ausstoß von Treibhausgasen. Drittens: Es sind eh schon zu viele Treibhausgase in der Luft! Viertens: Ja, aber irgendwas müssen wir doch anziehen, verdammt, und manche Dinge brauchen wir zum leben, und andere Dinge sind uns nunmal sehr wichtig, sollen wir etwa nackt durch die Gegend laufen und uns gegenseitig nur noch Stöcke zum Geburtstag schenken? (Krise. Durchatmen)

Weniger kaufen ist (fast) alles

Natürlich nicht. Die gute Nachricht ist, dass keiner von uns wegen der Klimakrise nur noch einen Kartoffelsack als Bekleidung besitzen darf. Es gibt eine ganze Menge Möglichkeiten, wie man seinen Stil behalten kann und trotzdem die eigene Zukunft (und wahlweise auch das eigene Einkommen) nicht zerstört. Nur, so bitter es klingen mag: Ein Kleiderschrank, der so voll ist, dass man nichts von dem, was man hat, wiederfindet und bei dem einem morgens fünfzehn T-Shirts ins Gesicht fallen, sobald man nur die Tür aufmacht, gehört nicht zu den Szenarien, die uns erhalten bleiben sollten. Das größte Treibhausgas-Problem der Modeindustrie ist nicht die Kleidung an sich, sondern das unglaubliche Tempo, in dem Kleidung produziert, verheizt und wieder weggeworfen wird. Schritt eins lautet daher: Weniger Kleidung kaufen. Da kommen wir nicht drumrum.

Stile ausprobieren mit Second-Hand-Mode?

Ja, ich weiß, es ist verdammt unangenehm, das zu hören. Es klingt nach Verzicht. Ich könnte jetzt anführen, auf wie viel mehr wir automatisch verzichten müssen, wenn die aktuell wahrscheinlichsten Vorraussagen fürs Klima eintreten, aber ich lasse es, um nicht eine völlige Spielverderberin zu sein. Stattdessen: Ist weniger Fast Fashion überhaupt ein Verzicht? Was ist es überhaupt, was uns daran so fasziniert? Die Möglichkeit, ständig neue Dinge auszuprobieren, zu kombinieren, seinen Stil zu wechseln? Das klingt tatsächlich ziemlich reizend, und das Gute ist: Das geht auch, ohne ständig bei H&M oder SHEIN reale wie virtuelle Warenkörbe voll mit Zeug zu beladen, die nach Hause zu schleppen, womöglich ein Video zu posten und nach ein paar Wochen – das wette ich – die Hälfte von dem, was man da gekauft hat, schon wieder vergessen zu haben.
Ich kenne wenige, die noch nie in einem Second-Hand-Laden waren, und ich kenne viele, die dort gerne einkaufen. Viele dieser Läden sehen heutzutage echt gemütlich aus, meistens ist die Ware billig, die Auswahl an Kleidung mit verschiedenen Stilen ist viel größer als in einem Laden, in dem es nur die neuste Mode gibt – und noch dazu gibt es kaum ökologischeren Konsum, als Dinge zu kaufen und ihnen ein zweites Leben zu verleihen, mit denen andere nichts mehr anfangen können. Wenn jetzt also jemand quasi als Ausstiegsdroge Massenkonsum in Second-Hand-Läden betreiben will… ich weiß nicht, ob das ökologisch gesehen ideal ist, aber es gibt immerhin Massen an abgegebener Kleidung, und solange man dafür Kleidung, die man nicht mehr braucht, nicht wegwirft oder im Schrank verrotten lässt, sondern wieder zurück an Second-Hand-Läden gibt, wüsste ich nicht, was dagegen spricht.
Und die Fasern? Irgendwo habe ich mal gelesen, dass das Kleidungsstück am ökologischsten sei, das am meisten getragen wird. Das klingt doch sowohl nach einer sinnvollen als auch nach einer schönen Moral: Diese halbschönen, halb-begeisternden Dinger können einfach im Regal bleiben. Wir kaufen nur noch neue Lieblingsstücke!

Neue Wertschätzung für Kleidung - und unsere Erde

Wenn es doch mal etwas Neues sein soll, lohnt es sich, nach nachhaltigen Läden in der eigenen Stadt zu suchen. Das sind längst keine Spelunken mehr, die nur sackartige Strickpullover und Batiktücher verkaufen, sondern echt schöne Orte. Ich muss zugeben, dass man diese Orte mit dem Geldbeutel einer Studentin nicht allzu oft besuchen kann. Aber halt – muss man das überhaupt? Kleidung, die man in solchen Läden kauft, ist darauf ausgerichtet, ewig zu halten. Wenn ich einmal auf eine neue Hose spare und dann die mit meinem absoluten Lieblingsdesign kaufe, begleitet diese Hose mich bei richtiger Behandlung vielleicht mein ganzes Leben lang? Und zusätzlich schätze ich diese Hose ganz eindeutig ordentlich wert.
Ein solches Verhältnis zu Kleidung wäre deutlich gesünder – sowohl für die Erde als auch in meinem Fall für die Nerven.
Derzeit kaufe ich eigentlich nur Second Hand, und nur wenn ich mal etwas brauche (das spart Ressourcen, Stress und Geld). Und dann kaufe ich nur die Kleidung, die mir wirklich gefällt, und die will ich dann eigentlich gar nicht austauschen. (Vor einigen Monaten habe ich auf einem Flohmarkt eine Latzhose gefunden. Genial!) In einem Laden wie C&A war ich schon jahrelang nicht mehr, und ich muss sagen: Ich finde das ziemlich entspannt. Genauso lange hatte ich beim Kleiderkaufen nämlich kein schlechtes Gewissen mehr.

Autorin / Autor: Pia H. - Stand: 27. April 2023