Halbroboter

Von Laura Hilbig, 19 Jahre

Meine Arme erheben sich ganz automatisch und wandern auf den Körper zu, der unter mir auf einem Tisch aus Stahl liegt. Mein Sensor scannt das Objekt und ich erkenne sofort, was ihm fehlt. Ich weiß alles in meinem Fachgebiet und wahrscheinlich sogar noch mehr. Meine großen Hände aus Eisen fahren, wie von selbst über den Tisch, wo viele unterschiedliche Geräte, Messer und andere medizinische Utensilien liegen. Mit meinen Händen nehme ich mir das Skalpell und kehre wieder zu dem Körper zurück. Es ist ein Mensch, das weiß ich. Er ist nicht bei Bewusstsein, aber ich weiß, was ihm fehlt. Er hat das Morbus Hodgkin, das ist Lymphdrüsenkrebs. Viele Menschen haben Krebs, dass ist mir die letzten Jahre stark aufgefallen. Und ich bin der einzige, der alle retten kann. Das ist meine Aufgabe. Dazu wurde ich erschaffen.

Mein Name ist PT9000X, ich bin ein medizinischer Halbroboter und wurde in China gebaut. Ich unterscheide mich von normalen Robotern, indem ich keinen Freigang habe. Von mir existieren nur zwei Arme, die an einer Wand im Keller hängen. Ich werde nur eingeschalten, wenn ich jemandem helfen soll. Heute ist der Krebspatient dran. Mit meinem Arm fahre ich auf die gewünschte Stelle und beginne, mit dem Skalpell zu schneiden. Der Tumor muss entfernt werden, sonst stirbt er. Unter meiner Verantwortung ist seit Jahren niemand mehr gestorben. Am Anfang war ich noch nicht so perfektioniert, wie jetzt. Ich habe schon viele Menschen sterben sehen und es war meine Schuld. Aber meine Entwickler haben an mich geglaubt und immer weiter an mir herum geschraubt. Sie meinten, ich würde eines Tages die Welt mit meinem Fähigkeiten verändern. Selbst konnten sie so etwas nicht vollbringen, sie waren zu dumm und einfach zu menschlich. Menschen machen bekanntlich Fehler in Stresssituationen. Doch ich machte keine mehr. Ich wurde nach einer langen Testphase perfekt programmiert und führte alles korrekt aus. Das Ziel der Menschen war Leben. Krankheiten und andere Verletzungen heilen zu können, würde die Menschheit unsterblich machen. Niemand würde mehr zu früh sterben oder durch einen Unfall. Damals, bei meiner Geburt, war alles noch nicht so weit entwickelt. Es gab künstliche Intelligenz, aber niemanden wie mich. Man konnte mit ihr sprechen, Dinge über das Gerät bestellen, sogar Autos konnten mit ihr teilweise selbstständig fahren. Die Menschen sind froh, dass diese Zeit vorbei ist und sie Halbroboter haben, die für sie arbeiten und Probleme beheben. Sie ersetzen die Ärzte in Krankenhäuser, die Feuerwehrmänner bei der Löschung von Bränden oder pflanzen Bäume, um die Umwelt zu schützen. Das ist das einzige, was sie noch nicht gelöst haben. Der Klimawandel. Aber lange wird es nicht mehr dauern.
Wenn sie mich erschaffen konnten, können sie auch die Umwelt retten.

Das Blut spritzt mir entgegen und beschmutzt meine Verkleidung. Großartig finde ich diese Aufgabe nicht. Ich habe schon alles Mögliche gesehen, Schusswunden, Tumore im Gehirn und fiese Seuchen. Manchmal ekele ich mich vor dem matschigen Fleisch unter mir und den zerstückelten Organen. Der Geruch von Blut und Arzneien verursacht bei mir oft Übelkeit, aber mir bleibt nichts übrig als weiterzuarbeiten. Niemand hat nach meiner Meinung gefragt, wahrscheinlich habe ich nicht mal eine. Am Anfang war ich noch ihr Liebling, heute versauere ich meistens allein im dunklen. So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Am liebsten würde ich ein Mensch sein und weglaufen. Sie müssen sich um nichts kümmern und können ihr Leben einfach genießen.
Mit meinem Arm greife ich nach einem Schlauch, der das überschüssige Blut wegsaugt, damit ich besser arbeiten kann. Jetzt liegt der Tumor gut sichtbar vor mir. Mein Scanner zeigt, den Grad des Krebses an. Stadium 4. Der Mensch hatte nicht mehr viel Zeit. Mit meinen programmierten Händen schneide ich die Tumore aus seinem Körper raus, ohne dabei wichtige Organe und Gefäße zu verletzen. Ich bin ein echter Profi.
So ist das Überleben der Menschen gesichert und jeder ist bei mir in guten Händen. So wird unser Leben noch viele weitere Jahre sein, da bin ich mir sicher.

Autorin / Autor: Laura Hilbig