Geschichtswissen oder Ideologie?

Das Forschungsprojekt „SocialMediaHistory“ untersuchte, warum die Geschichtswissenschaft in den sozialen Netzwerken schweigt und welche Gefahren das birgt

Instagram, TikTok und andere Social Media-Kanäle werden für viele nicht nur als Nachrichtenmedium immer bedeutsamer, sondern sie beeinflussen auch zunehmend unser Geschichts- und damit das Gesellschaftsverständnis. Wer hier geschichtsbezogene Infos sucht, findet jede Menge. Allerdings wenig aus der Geschichtswissenschaft, dafür umso mehr von privaten Accounts erstellt. Darunter finden sich leider auch Creator:innen, die damit ihre Ideologien rechtfertigen wollen. Das ist ein Ergebnis des Projekts SocialMediaHistory, das von 2021 bis 2024 an den Universitäten Bochum und Hamburg durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde.

„Das Zögern der Forschung, sich auf Social Media zu engagieren, liegt an unserem aktuellen akademischen System, das Wissenschaftskommunikation selten unterstützt – manchmal sogar bestraft“, so Prof. Dr. Christian Bunnenberg von der Ruhr-Universität Bochum. Das begünstige die Verbreitung von Fehlinformationen und ideologischen Darstellungen. „Es wäre wichtig, dass die Geschichtswissenschaft ihre Kompetenzen nutzt, um auf Instagram und TikTok ein Verständnis für die Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge und einen kritischen Umgang mit Quellen zu fördern“, wünscht sich Projektleiter Prof. Dr. Thorsten Logge von der Universität Hamburg.

Politische Gruppen nutzen historische Fehldeutungen

Denn Instagram und TikTok wachsen nicht nur rasant, sondern werden immer öfter als Suchmaschinen genutzt – auch zu Geschichtsthemen. Aber: „Ihre Algorithmen bevorzugen polarisierende Inhalte und fördern damit Geschichte und Geschichtsrevisionismus als Grundlage für politische Ideologien und Konflikte“, betont Projektmitarbeiterin Mia Berg. So nutzten nicht nur Autokraten wie Wladimir Putin historische Erzählungen, um ihre Position zu stärken, Kriege oder Ausgrenzungen zu rechtfertigen. Auch hierzulande streuen politische Gruppen und Privatpersonen historische Fehldeutungen auf Social Media. Die Konsequenzen reichen von politischer Mobilisierung bis hin zu Hass und Gewalt.

In den vergangenen drei Jahren hat das Projektteam Forschende und Bürger:innen zusammengebracht, um gemeinsam viele hundert Posts in Hinblick auf historische Themen, Formate sowie Akteur:innen zu untersuchen. Die Themen reichten von Darstellungen der Germanen über solche des Mittelalters und der Französischen Revolution bis hin zu Kolonialismus, Holocaust und DDR-Geschichte. Dabei stellte sich heraus, dass die Absichten hinter den Posts oft nicht erkennbar sind. Wenn Germanen als Vorfahren verklärt werden, die deutsche Kolonialgeschichte verharmlost, das deutsche Kaiserreich verherrlicht oder auf die vermeintlich natürliche Rolle der Frau in der Vorgeschichte verwiesen wird, würden User:innen oft nicht die Problematik dahinter erkennen. Hinzu komme, dass Inhalte, die mittels künstlicher Intelligenz historische Figuren scheinbar lebendig werden lassen, immer beliebter würden. Dass sie besonders authentisch wirken, könne trügerisch sein, denn längst nicht immer würden hier wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt, so die Forschenden. „Pseudohistorische Aussagen sind in den Timelines allgegenwärtig, ohne dass die Menschen verstehen, was dahintersteckt“, erklärt Projektmitarbeiterin Andrea Lorenz.

Stimmen, die nicht aus der Wissenschaft, kommen sind lauter

Anstelle der Geschichtswissenschaft selbst bringen immer öfter Stimmen, die nicht direkt aus der Wissenschaft kommen, frischen Wind in die Geschichtsvermittlung, und das sogar oft in hoher Qualität. Der Grund: viele Creator:innen haben ein Geschichtsstudium abgeschlossen oder beschäftigen sich aus persönlichem Interesse intensiv mit der Vergangenheit. Die Gründe für ihren Erfolg erklärt Projektmitarbeiterin Kristin Oswald sich damit, dass diese Menschen ihre Begeisterung und ihre Reise in die Forschungswelt in Formaten teilen, die perfekt zu den Plattformen passen würden. Etwas, was die vergleichsweise wenigen Accounts von Forschungsinstitutionen aber nur bedingt täten.

Die Ergebnisse von „SocialMediaHistory“ zeigen das Spektrum von Geschichtsdarstellungen auf Instagram und TikTok. Die Bandbreite an historischen Themen und Darstellungsformen ist sehr hoch. Allerdings werden meistens eher bekannte Ereignisse und Persönlichkeiten behandelt. Die Geschichte von Minderheiten oder außereuropäischen Kulturen sind dagegen die Ausnahme, obwohl sie durchaus auf ein interessiertes Publikum treffen.
Erzählt wird vor allem, wie es angeblich damals war. Die historischen Quellen oder Methoden, auf denen diese Erkenntnisse beruhen, bleiben meist außen vor. Es gibt eine Vielzahl von Akteur:innen mit unterschiedlichen Herangehensweisen, Zielen und Motivationen. Es wurden allem Accounts von Privatpersonen, Stiftungen oder journalistische Formate gefunden. Accounts, die direkt aus der Geschichtswissenschaft kommen, bilden dagegen die Ausnahme. Museen und ähnliche Institutionen nutzen die Plattformen vor allem für Marketingzwecke, und auch das eher zurückhaltend und mit wenig Reichweite.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung - Stand: 26. April 2024