Gar nicht böse

Von Ana-Elisa Kersten, 12 Jahre

Heute ist Donnerstag und einer von diesen doofen Tagen, an denen du weißt, dass der Tag schrecklich werden wird, weil du schon morgens nicht aufstehen willst, geschweige denn duschen. Du willst liegen bleiben, den Fernseher anmachen und bei dem Gelaber wieder einschlafen. Doch ich wälze mich aus dem Bett und gehe nach unten in die Küche, koche mir einen Kaffee und schmiere ein Toast mit Nutella. Dann setzte ich mich zu meinem Vater an den Küchentisch. Er sitzt eine Weile schweigend da und sieht mir dabei zu, wie ich meinen Kaffee schlürfe. Er grinst, weil er genau weiß, dass ich morgens nicht sehr gesprächig bin und zeigt mir einfach einen Zeitungsartikel über einen zwei Meter großen Kampfroboter, der verschwunden ist.

Der Roboter sei der Prototyp einer neuen Entwicklung der bekannten Robotik-Firma Burner, steht in der Zeitung, und falls man den Roboter sähe, solle man Burner sofort Bescheid geben. Da der Roboter aber erst seit gestern vermisst werde, vermute die Firma, dass er noch hier irgendwo in der Nähe sei. Malbing ist ein kleines, ziemlich unbekanntes, ländliches Dorf im Nirgendwo. Der Roboter kommt da nicht weit. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass grade ich diesen Roboter antreffe, ich bin aber auch nicht gut in Wahrscheinlichkeitsrechnung. Egal. Auf jeden Fall habe ich jetzt keine Lust mehr auf mein Nutellatoast und packe es als Schulbrot ein. Ich gehe duschen, mache meine Haare und ziehe Jeans und T-Shirt an. Ich schnappe mir meinen Rucksack, packe meine Hausaufgaben ein und verlasse das Haus. Gerade als ich zum Bus gehen will, höre ich in der Nachbarschaft einen Hund bellen. Da fällt mir mein Kater Cookie ein. Mist! Ich habe heute Morgen vergessen, Cookie zu füttern und Papa füttert ihn nicht. Das ist mein Job. Darauf besteht er. Ich renne nach Hause und klingele Sturm, aber niemand öffnet die Tür. Wahrscheinlich duscht mein Vater gerade oder ist schon bei der Arbeit. Ich krame in meiner Tasche nach dem Schlüssel, kann ihn aber beim besten Willen nicht finden. Verdammt, ich habe ihn drinnen liegen lassen. Zum Glück ist die Hintertür im Garten immer offen. Also klettere ich über den knallgrünen Gartenzaun und gehe ins Haus. Ich fülle Wasser und Katzenfutter in die Näpfe. Cookie kommt direkt angerannt.

Ich schaue auf die Uhr. Erst da fällt mir auf, wie spät es ist. Ich schnappe mir mein Fahrrad und düse los. Ich sehe den Bus und wie er seine Türen schließt. Der Busfahrer sieht mich, er sieht, wie ich vom Rad springe und zum Bus renne. Ich komme an und denke gerade, der Fahrer will die Tür öffnen, da grinst er schadenfroh und drückt aufs Gaspedal. Der Bus fährt vor meiner Nase weg. Dieser Mistkerl. Ich kann nicht anders, ich muss meinem Frust Luft machen. Ich schreie so laut ich kann dem Bus hinterher: "Arschloch! Du blöder, verfluchter Wixer!" Ich zeige ihm den Mittelfinger, auch wenn er es nicht sehen kann. Dann fahre ich eben mit dem Rad zur Schule. Ich gebe so viel Gas wie ich kann, fahre die Abkürzung durch den Wald, ich rase den Hügel hinunter und fliege über eine Wurzel. Ich mache einen Salto über den Lenker und schlage mir die Knie auf. Mein Rad liegt jetzt irgendwo hinter mir. Verdammt, läuft heute eigentlich alles schief? Ich kann nicht mehr, mir steigen die Tränen in die Augen, ich kann es nicht verhindern, und vielleicht will ich es auch gar nicht. Ich fange laut an zu schluchzen. Plötzlich durchzuckt mich ein stechender Schmerz über meinem linken Auge. Klebriges, warmes Blut läuft mir über das Gesicht. Der Aufschlag war anscheinend so hart, dass ich jetzt auch noch anfange, zu halluzinieren, denn ich sehe einen großen, silbernen Roboter aus dem Wald kommen. Er geht wie ein Mensch, hat die Form wie ein Mensch, ist aber metallisch und hat ein paar Macken. Er hat nur einen Arm, und in der Hand hält er mein Fahrrad. Der Roboter kommt auf mich zu, legt das Rad vor mir auf den Boden und sieht dann vorsichtig zu mir herunter. Er wirkt fast ängstlich und dann sagt er mit einer überraschend menschlichen Stimme: „Bitte tu mir nicht weh."

So etwas könnte sich nicht mal mein Unterbewusstsein ausdenken. Das ist echt! Außerdem: Seit wann können Einbildungen sprechen? Und wenn es kein Hirngespinst ist, dann muss er der Kampfroboter sein. Er kniet sich vor mich, sieht mich durchdringlich an und nimmt mich dann locker mit einem Arm hoch. Er setzt mich vorsichtig auf mein Rad und schiebt mich den Weg zurück, in die Richtung meines Hauses. Mir ist schwindelig und ich sehe nur den Roboter, wie er mich und mein Rad mit nur einem Arm hält. Ich kann nur noch murmeln: „Du siehst gar nicht böse aus." Dann wird mir schwarz vor Augen.
Als ich die Augen wieder öffne, finde ich mich in meinem eigenen Bett wieder. Dieser Kampfroboter sitzt mitten in meinem Zimmer auf dem Teppich und lächelt mich an. Es ist kein fieses Lächeln, wie das von dem Busfahrer, es strahlt so viel Wärme aus. Vage erinnere ich mich daran, dass ich mit dem Fahrrad gestürzt bin und er mich gerettet hat. Ich erinnere mich an den stechenden Schmerz in meinem Kopf und an das Blut, das mir über das Gesicht lief. Ich fasse mir an den Kopf und da ist er wieder, dieser stechende Schmerz. Als ich die Stelle berühre, wo die Wunde war, fühle ich einen Verband. Der Roboter sagt leise: „Du warst verletzt, also habe ich dich verarztet. Wie ist dein Name?" Ich bin überrascht, dass er so offen mit mir redet, und deswegen versuche ich möglichst offen zu antworten: „Ich heiße Vanda und du?" Er sieht mich nachdenklich an : „Ich würde dir gerne sagen, wie ich heiße, aber ich habe leider noch keinen Namen. Hast Du einen für mich?", er lächelt mich an.

Ich bin ein bisschen überfordert, deswegen sage ich einfach den erstbesten Namen der mir einfällt: „Äh... Also... Hmm... Ah ich hab's: Was hältst du von Robi?" Seine Augen leuchten für einen Moment auf dann sagt er: „Ich heiße Robi, gefällt mir", und sein Lächeln wird zu einem glücklichen Grinsen. Ich freue mich mit ihm. Da fällt mir ein, was er im Wald gesagt hatte, und ich will unbedingt wissen, wie er das meinte: “Du, Robi, wieso hast du im Wald gesagt: 'Bitte nicht wehtun'?" Bei dieser Frage wird sein Blick starr. Er sieht traurig in die Leere. Eine Weile sitzt er so da, dann sagt er: „Burner, die Firma, die mich geschaffen hat, sie haben an mir herumexperimentiert. Ich war nur ihr kleines Spielzeug. Meinen rechten Arm haben sie zu einer Waffe umfunktioniert, aber ich bin geflohen und habe mir den Arm mit einer Kettensäge abgeschnitten, damit ich niemandem wehtun kann." „Aber du hast dir wehgetan." Er nickt nur: „Sie wollen aus mir eine Superwaffe machen, aber ich will kein Monster sein! Sie werden mich suchen. Ich kann nicht bei dir bleiben."
„Nein! Ich verstecke dich, ich möchte nicht, dass du gehst!". Er will etwas sagen, aber ich schneide ihm das Wort ab: „Keine Widerrede, du bleibst hier!"

Wir spielen zusammen auf meinem Fußboden Gesellschaftsspiele, picknicken gemeinsam auf meinem Bett Sandwiches - eigentlich esse nur ich die Sandwiches und er schaut zu. Abends sitzen wir auf meinem Sofa und gucken uns eine spannende Serie an. Ich bin froh, dass Robi da ist und ich nun endlich tagsüber nicht mehr allein bin. Um elf Uhr höre ich den Schlüssel in der Haustür. Mein Vater kommt von der Arbeit nach Hause. „Schnell! Versteck Dich unter meinem Bett!", flüstere ich Robi zu, während ich zu meinem Vater laufe. Der nimmt mich in den Arm und drückt mich fest an sich. Ich weiß genau, was jetzt kommt. Er wird mich hochschicken, weil es seiner Meinung nach schon sehr spät ist. Sonst stört mich das immer, aber heute freue ich mich, weil ich zu Robi gehen kann. Ich sage Papa gute Nacht und gehe hoch in mein Zimmer. Zuerst schaue ich unter das Bett: „Schläfst Du schon, Robi?" So langsam wie eine Schildkröte ihren Kopf aus dem Panzer reckt, kommt Robis Kopf unter dem Bett hervor: „Stromsparmodus, ist wie ein Roboterschlaf." Dann verschwindet er wieder in seinem Versteck. In diesem Stromsparmodus ist er genauso wie ich morgens am Frühstückstisch: sehr ungesprächig.
Die nächsten Tage verbringe ich zusammen mit Robi und einer Menge Kartenspielen. Robi und ich sind schon jetzt unzertrennliche Freunde geworden. Cookie und Robi verstehen sich auch super. Robi füttert Cookie immer, wenn ich unten mit Papa frühstücke.

Es ist sehr früh am Sonntagmorgen, gerade mal zwei Uhr, ich liege in meinem Bett, starre an die Decke und frage mich, ob ich etwas Falsches gemacht habe, als ich heute Mittag meine freaky robotergeek Freundin gefragt habe, ob sie mir einen echten Roboterarm bauen kann. Ich schließe die Augen und versuche einzuschlafen, da höre ich plötzlich meine Treppe knarzen. Ich stehe auf und gucke, ob ich durch das Schlüsselloch sehen kann, wer da die Treppe rauf kommt. Meine böse Vorahnung bestätigt sich. Burner muss über meine Freundin auf uns aufmerksam geworden sein. Auf der Treppe und vor meiner Tür stehen bewaffnete Typen in Overalls, auf denen das Burnerlogo im Mondschein zu erkennen ist. Mir wird eiskalt. Oder warum klappern meine Zähne auf einmal? Ich wecke Robi und flüstere nur „Burner!" Robi weiß sofort Bescheid. Er steht auf, nimmt mein Taschenmesser, das wie immer auf meinem Nachtschränkchen liegt und stellt sich vor mich. Ich will Robi gerade fragen, ob wir uns nicht besser verstecken sollten, da ist es schon zu spät. Die Burner-Typen stürmen allesamt durch die Tür herein. Den ersten kann Robi mit dem Messer die Kehle durchschlitzen, dann wirft er das Messer und es trifft einen in die Brust, doch es sind zu viele, die auf uns zustürmen. Robi schiebt mich in die Ecke hinter mein Bücherregal. Ich kann nichts sehen, weil Robis Körper mir die Sicht versperrt. Jetzt könnte Robi seinen zweiten Arm gut gebrauchen, doch er kämpft unerbittlich auch mit einem Arm gegen diese Schweine.

Er behält die Oberhand. Nur noch drei Angreifer, doch da höre ich auch Schüsse von draußen. Klingt das nicht nach einer Schrotflinte? Ich kann einen Blick nach draußen erhaschen und dort stehen noch mehr vom Burner-Kommando. Und tatsächlich sehe ich auch meinen Vater, wie er hinter unserem Truck Deckung sucht und sein Jagdgewehr abfeuert. Was? Was macht Papa da? Ich reiße das Fenster auf: „Oh Gott, Papa!?" Er blickt zu mir auf hoch, und in der Sekunde, wo er sich nicht schützt, wird er von einem Schuss am Arm getroffen. Doch das scheint ihn kaum zu stören: er feuert weiterhin das Schrot aus seiner Deckung ab. Wir haben nicht lange Zeit, denn einer der Burner-Leute ruft jetzt Verstärkung. Mein Vater geht aus der Deckung. Er feuert, doch diese Burner-Typen feuern auch. Ich kann gar nicht Hinsehen. „Papa, pass auf dich auf! Ich will dich nicht auch noch verlieren." Ich kneife die Augen fest zusammen und höre nur die unzähligen Schüsse. Auf einmal ist alles still. Ich öffne langsam die Augen und sehe Robis traurigen Blick.

Ich kann mich nicht halten. Ich muss nach unten zu meinem Vater. Ohne nachzudenken renne ich auf diese Dreckschweine zu. Robi springt vor mich, er tritt dem ersten ins Gesicht und dreht dem anderen das Genick um. Aber der dritte steht jetzt plötzlich vor mir. Ich weiß nicht, was ich... Doch, ich weiß ganz genau, was ich machen muss. Ich trete ihm kräftig in die Eier. Mit schmerzverzerrtem Gesicht beugt er sich nach vorne, ich packe seinen Kopf und ramme ihn gegen mein Knie. Bam, gebrochene Nase. Von der Seite schlinge ich meine Arme um seinen Hals und würge ihn, so fest ich kann, solange bis er keine Luft mehr kriegt und sein Kopf schlaff aus meinen Armen auf den Boden knallt. Endlich renne ich zu Papa. Er liegt da, blutverschmiert, mit glasigen ins Leere starrenden Augen. Er ist tot. Die Tränen steigen mir in die Augen, ich schreie ihn an, dass er zurückkommen soll. Ich schluchze und weine. Ich schüttle Papa, sage ihm, er darf nicht sterben, dabei weiß ich doch eigentlich, dass er nicht mehr zu retten ist. Ich spüre eine kalte, metallische Hand auf meiner Schulter. Robi packt mich, zieht mich von ihm weg, und ich falle ihm schluchzend in den Arm. Er nimmt die Schlüssel für den Truck und meinen Rucksack.

Er rennt noch einmal die Treppe rauf, stopft eine Jeans, ein T-Shirt und meine Fleecejacke hinein. Er will gerade hinten aus dem Fenster klettern, da sehe ich Cookie zu uns rüber stiefeln. Auch Robi sieht Cookie und steckt ihn vorsichtig in meinen Rucksack. Dann springt er aus dem Fenster auf die Garage und von dort aus auf den Boden. Er schließt den Truck auf, setzt mich auf den Beifahrersitz und legt den Rucksack neben meine Füße. Mir ist schlecht, ich habe immer noch diese schrecklichen Bilder von blutigen Toten im Kopf, und das ist auch der Grund warum ich die Trucktür aufreiße und mich vor Robis Füße auf den Boden erbreche. Robi streicht mir über den Kopf: „Ist es jetzt besser?" Ich nicke, dann schließt er meine Tür und steigt auf seiner Seite in den Wagen. Ich hole Cookie aus dem Rucksack nehme ihn auf meinen Schoß und kraule ihn hinter den Ohren, während Robi den Motor anmacht und losfährt. Keine fünf Minuten später bin ich eingeschlafen.
Ich wache auf, nach einem schrecklichen Albtraum, der eigentlich nur die Geschehnisse von letzter Nacht widerspiegelte. Es ist schon hell, aber wir fahren immer noch. „Wie spät ist es?", frage ich Robi. „Es ist halb elf, du hast sieben Stunden geschlafen." „Oh, krass. Moment mal. Wohin fahren wir überhaupt?" „Nach Irland, da leben schon viele Roboter wie ich und wir werden nicht auffallen. Außerdem ist es weit genug, so dass sie uns da erstmal nicht finden. Ich hoffe, du kannst ein bisschen Englisch", Robi lächelt kurz dann wird sein Blick wieder traurig. Wir müssen beide wohl noch über den Tod meines Vaters hinwegkommen. „Ja ich denke, ich kann genug Englisch, um mir Fish and Chips zu kaufen, und du?" Seine Augen leuchten kurz auf, als hätte er schon auf die Frage gewartet „Ich spreche perfekt Englisch“, für den Bruchteil einer Sekunde zuckt ihm ein Lächeln über das sonst unglaublich traurige Gesicht.

Als wir endlich nach einer ewig langen Fahrt ankommen, bin ich tatsächlich überrascht, wie viele Roboter hier leben. Wir brauchen etwas Zeit, uns in Irland einzugewöhnen. Wir wohnen für sechs Tage in unserem Auto dann finden wir ein schönes kleines verlassenes Haus im Wald. Wir richten es gemütlich ein und hoffen, der Besitzer ist nicht mehr hier. Wir werden vielleicht immer ein bisschen Angst haben. Aber... so ist das Leben, stimmt's?

Drei Jahre später

Es ist ein schöner warmer Sommertag heute. Robi und ich sitzen zusammen auf dem Dach. Ich trinke eine Limonade und wir sehen uns zusammen den Sonnenuntergang an. Wir reden und lachen, und sind im Moment so glücklich, dass ich wünschte, es könnte immer so bleiben wie jetzt, aber mir sitzt die Angst im Nacken. Ich habe es Robi noch nicht erzählt, aber ich habe Albträume, ich träume jede Nacht dasselbe: Die Burner-Typen kommen, sie nehmen Robi mit und fesseln mich in einem dunklen Raum. Ich kann nicht entkommen und das einzige, das ich höre, ist das Maunzen von Cookie, und manchmal leuchten rote Augen in der Dunkelheit auf. Hoffentlich sind es keine Visionen.

Autorin / Autor: Ana-Elisa Kersten