Fair Fashion, Slow Fashion, Future Fashion

Aurelia hat die Fair Handeln Messe in Stuttgart besucht und dabei eine inspirierende Aufbruchsstimmung in der Modebranche erlebt

Nach vielen trüben Tagen zeigt sich der Frühling endlich mal wieder von seiner sonnigen Seite, als ich mich an einem Freitag Mitte April auf den Weg mache. Mit der U-Bahn fahre ich zuerst ein Stück durch die Stuttgarter Innenstadt, dann durch die Randbezirke. Es wird nach und nach grüner, Gärten mit blühenden Obstbäumen ziehen am Fenster vorbei und schließlich auch Felder. Eine kleine Einstimmung auf das, was mich am Ziel erwartet: Die Messe Fair Handeln möchte die Welt ein bisschen grüner und schöner machen, ihre Ambitionen reichen allerdings weit über Stuttgart hinaus.

Sie beansprucht sogar für sich, „Deutschlands bedeutendste Fach- und Verbrauchermesse der Branche“ zu sein. Welche Branche genau gemeint ist, ist mir anfangs noch nicht ganz klar. Es soll, wie der Name vermuten lässt, um Fairen Handel gehen, aber auch um Nachhaltigkeit und ganz generell um bewussten Konsum. Oder vielleicht auch um Alternativen zum Konsum?

Fair Fashion, Slow Fashion, Future Fashion

Das Angebot der Fair Handeln ist sehr vielfältig, das merke ich gleich, als ich die große Messehalle betrete. Dennoch lässt sich schnell erkennen, wo der Schwerpunkt liegt: Zwischen Ständen mit fair gehandelten Lebensmitteln und Kunsthandwerk, einer nachhaltigen Reiseagentur und Akteuren der Entwicklungspolitik finden sich besonders viele Aussteller:innen aus dem Modebereich. Ob unter dem Schlagwort Fair Fashion oder Slow Fashion, es scheint sich ein Bewusstsein dafür zu bilden, dass die Modeindustrie bei der nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft eine wichtige Rolle einnimmt.

Darum geht es auch beim ersten Vortrag des Tages im Future Fashion Forum. Das ist ein gemütliches kleines Eck mit Sesseln und Teppichen, davor ein Tisch mit Beamer und Blumen und eine Leinwand, auf der jetzt Bilder von Waldbränden erscheinen. Eine Referentin von RENN.süd, einem Netzwerk zur Unterstützung von Nachhaltigkeitsakteur:innen in Bayern und Baden-Württemberg, stellt die Zusammenhänge her. Vom Klimawandel und seinen verheerenden Auswirkungen kommt sie zur Textil- und Modebranche als Sinnbild für diese multiplen Krisen, spricht aber vor allem über mögliche Lösungsansätze. Stichwort Kreislaufwirtschaft, On-demand-Produktion, Leihsysteme. Letztere gibt es inzwischen nicht mehr nur für Abendmode. Im Bereich Upcycling bleibt mir vor allem ein Start-up aus Amsterdam in Erinnerung, das Pullis aus ausgekämmten Menschenhaaren herstellt.

Nachhaltige Materialien, coole Prints, soziale Verantwortung

Der halbstündige Vortrag reicht natürlich nicht, um diese Themen tiefergehend zu behandeln. Dafür gibt es ja ringsum Labels, die ihre konkreten Ideen für eine nachhaltigere Mode präsentieren. Ein Label aus Augsburg beispielsweise, das seit 13 Jahren fair gehandelte Kleidung aus Bio-Baumwolle, Bambus und Hanf anbietet – das Besondere an den Shirts sind aber laut dem Aussteller die Baum-Motive. Auch ein Stuttgarter Label, dessen Stand sich direkt daneben befindet, verbindet kunstvolle Prints mit nachhaltiger Mode. Bei der Gründung vor 11 Jahren seien sie Pioniere gewesen, erzählt die Gründerin: „Damals hieß das noch gar nicht nachhaltig“.

Heutzutage sollte eine nachhaltige und faire Produktion allerdings selbstverständlich sein, findet zumindest der Vertreter einer Marke, bei der sich Kund:innen T-Shirts und Hoodies auch mit eigenen Motiven bedrucken lassen können. On-demand-Produktion im Kleinen sozusagen. Dieses Prinzip findet sich auch bei einem Label, bei dem das Hauptaugenmerk auf dem sozialen Engagement liegt: Es bietet Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, Arbeit als Näherinnen, aber auch Zugang zu Bildung und Therapie.

Viele andere Labels setzen auf alternative Materialien: Da gibt es die bereits erwähnten Bambus- und Hanf-Shirts, Bademode aus Recycling-Polyester und Upcycling-Produkte wie die Taschen eines Wiener Labels, die aus alten Seesäcken und Feuerwehrschläuchen bestehen. Dass die Frage nach der Nachhaltigkeit eines Materials nicht immer einfach zu beantworten ist, erklärt der Referent einer Firma für Leder-Accessoires. Als Beispiel für veganes Leder hat er eine Tasche aus Kaktusleder dabei, die in Sachen Belastbarkeit und Langlebigkeit nicht mit tierischem Leder mithalten kann. Dennoch sieht er Potenzial in der Entwicklung neuer Materialien, zum Beispiel von Pilzleder, dessen Eigenschaften aber noch verbessert werden müssten.

Lang lebe unsere Kleidung!

Die Fair Handeln ist übrigens nicht allein in der Messehalle. Nebenan findet die Slow-Food-Messe statt, von deren Ständen ein guter Käse-Duft herüberweht. Ein Label aus Thüringen wirbt dagegen mit Geruchsneutralität – die Shirts aus Hanf, Brennnesseln und Bio-Baumwolle soll man nach dem Tragen einfach lüften. Um das Thema Waschen kommen Verbraucher:innen natürlich trotzdem nicht herum. Deshalb ist auch das Forum Waschen auf der Messe vertreten, eine Dialogplattform, die sich für mehr Nachhaltigkeit beim Spülen, Putzen und eben beim Waschen einsetzt.

Da passt mehr rein! Statt der geforderten 4 kg komme ich nur auf 3 kg.

Konkret heißt das Ressourcen- und Materialschonung, wie die Referentin erklärt. Umsetzen lässt sich das beispielsweise mit niedrigeren Waschtemperaturen und der Nutzung des Energiesparprogramms. An ihrem Stand können Besucher:innen außerdem erfahren, dass oft mehr Kleidung in die Waschmaschine passt, als sie denken. Auch ich mache den Test, indem ich verschiedene Textilien in ein Wäschenetz stecke: Statt der geforderten 4 kg komme ich nur auf 3 kg. (Wer mehr über das Thema erfahren möchte, kann sich gerne die dritte Folge von unserem Podcast „Klima & Klamotten – Klappe auf!“ anhören)

Was jedoch passiert mit gebrauchter Kleidung, die uns nicht mehr passt oder gefällt? Oft landet sie in Sammlungscontainern, zum Beispiel in denen der Aktion Hoffnung der Diözese Stuttgart-Rottenburg. Deren Referent spricht über Missstände in der Altkleidersammlung, wie die zunehmend schlechte Qualität der (Fast Fashion-)Ware, sodass bei vielen Textilien nur noch die Entsorgung oder die Verarbeitung zu Putzlappen oder Dämmmaterial in Frage kommt. Um transparente und verantwortungsvolle Altkleidersammler zu erkennen, empfiehlt er das Siegel des Dachverbands FairWertung e.V. Gut erhaltene Kleidung verkauft die Aktion Hoffnung in verschiedenen Secondhandshops, die Erlöse werden zur Finanzierung von sozialen Projekten eingesetzt.

Einer dieser Secondhandshops ist SECONTIQUE, den sie gemeinsam mit dem Netzwerk Future Fashion in Stuttgart betreiben. Future Fashion ist ebenfalls auf der Fair Handel vertreten und versucht, neue Spendenmitglieder zu gewinnen. Wer sich noch während der Messe dafür entscheidet, bekommt ein thematisch gestaltetes T-Shirt. Das Ziel des Netzwerks ist vor allem die Bewusstseinsbildung im Bereich nachhaltiger Mode, dafür organisieren die Mitstreiter:innen Schulworkshops und Stadtführungen. Zusätzlich unterstützen sie junge Labels, zum Beispiel, indem sie ihnen einen Ausstellungsplatz auf der Messe zur Verfügung stellen.

Eine inspirierende Aufbruchsstimmung

Denn gerade diese jungen Labels setzen oft auf Nachhaltigkeit und können so in der Modebranche etwas verändern. In dieser Branche Fuß zu fassen, ist aber nicht einfach. Deshalb bietet auch der Textil.Accelerator "Stoff im Kopf" von der Hochschule Reutlingen Gründer:innen Hilfe an. Davon berichten zwei Gründer, die von den Seminaren und dem Mentoring-Programm profitiert haben und mit ihren Labels ebenfalls auf der Fair Handeln vertreten sind. Ihre Präsentation findet gegen Ende des Messetages statt, die Zahl der Zuhörer:innen im Future Fashion Forum hat da schon abgenommen. Die, die da sind, wirken aber sehr interessiert. Aus ihren Fragen höre ich heraus, dass sie sich schon länger mit dem Thema beschäftigen.

Auch generell seien die Besucherzahlen zurückgegangen, höre ich an manchen Stellen, die Auswahl der Stände sei mal größer gewesen. Vielleicht sind das noch Nachwirkungen der Pandemie, überlegt eine Besucherin, die mit einer Ausstellerin über deren Produkte aus regionaler Merinowolle spricht. Dann erzählt sie von der Skiunterwäsche aus demselben Material, die sie ihrem Sohn geschenkt hat. Das habe großes Potenzial, vielleicht auch als neues Geschäftsmodell für das schwäbische Label? Von Stagnation ist also nichts zu spüren. Um den Messetag abzurunden, besuche ich noch die Fair Fashion Show. Auf einer großen Bühne werden die Kollektionen der auf der Messe vertretenen Labels von Tänzer:innen präsentiert, zu mitreißender Musik. Hier bekomme ich nochmal einen guten Eindruck von der Vielfalt und Kreativität all dieser nachhaltigen Modeschöpfer:innen.

Als ich die Messehalle dann verlasse, hebt draußen gerade ein Flugzeug ab und Seifenblasen fliegen durch die Luft. Dazu mischt sich eine große Portion Optimismus. Natürlich weiß ich, dass in den letzten Stunden die Fast Fashion-Industrie genauso weitergemacht hat wie bisher, eine unfassbar große Menge Kleidung produziert hat ohne Rücksicht auf Menschen, Umwelt und Klima. Aber hier, am Rand von Stuttgart, herrscht dieses Wochenende eine inspirierende Aufbruchsstimmung. Kleine Labels mit guten Ideen haben vielleicht neue Kund:innen gewonnen, das Netzwerk Future Fashion womöglich neue Mitglieder. Ganz sicher aber wurden alle Besucher:innen, inklusive mir, zum Nachdenken gebracht. Bleibt zu hoffen, dass dieser Frühling der Modebranche nicht zu schnell seine Strahlkraft verliert.

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Autorin / Autor: Aurelia Scheuring - Stand: 18. April 2023