Einsam während des Lockdowns

Wissenschaftler_innen untersuchten, wie sich das Kontaktverbot während Corona auf die Menschen in Deutschland auswirkte

Auch wenn das Kontaktverbot zu Beginn der Corona-Pandemie half, viele Infektionen mit Covid-19 zu verhindern, ein großes Problem sahen viele darin, dass der psychologische Effekt eine Epidemie der Einsamkeit werden würde. Aber stimmt das flächendeckend? Und wer war besonders von Einsamkeit betroffen? Diese Fragen stellte ein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum und Humboldt-Universität zu Berlin in einer Online-Befragung mehr als 4800 Menschen in Deutschland. Was sie herausfanden erstaunt in vielerlei Hinsicht. Eine überraschende Erkenntnis war zum Beispiel, dass sich das Einsamkeitsgefühl in den ersten vier Wochen des Corona-Lockdowns verändert hatte: Während es im Durchschnitt in den ersten zwei Wochen zunahm, nahm es in Woche drei und vier wieder ab. Auch was die Betroffenheit der Altersgruppen betrifft, widersprachen die Ergebnisse den Vorannahmen.

*Online-Tagebuch*
Die Psycholog_innen befragten 4.850 deutschsprachige Erwachsene im Alter zwischen 18 und 88 Jahren im Zeitraum vom 16. März bis 12. April 2020 in einer Online-Tagebuchstudie. Jeweils vier Tage pro Woche sollten sie einen Fragebogen zum vergangenen Tag ausfüllen, danach folgten einige Tage Pause und anschließend ein Fragebogen mit einem Wochenrückblick. Das Experiment erstreckte sich über mehrere Wochen.

*Einsamkeit am größten bei den Jüngeren*
Entgegen der Befürchtungen, dass ältere Menschen besonders unter Einsamkeit leiden würden, enthüllte die Stichprobe, dass die über 60-Jährigen die geringsten Einsamkeitswerte aufwiesen. Am einsamsten fühlten sich hingegen Teilnehmer_innen zwischen 18 und 30 Jahren. Ein nachvollziehbares Ergebnis war dann aber, dass Witwer_innen oder Alleinstehende durchschnittlich mehr über Einsamkeit berichteten als Personen, die in einer festen Partnerschaft lebten. Auch Menschen mit einem erhöhten Risiko für eine Covid-19-Erkrankung gaben an, sich einsamer zu fühlen als diejenigen, die nicht zur Risikogruppe gehörten.

*Einsame Eltern*
Interessant war auch, dass die durchschnittliche erlebte Einsamkeit jedoch nicht damit zusammenhing, ob jemand alleine oder mit mehreren zusammen lebte. Das Familienleben war offensichtlich kein Garant dafür, sich nicht alleine zu fühlen. Im Gegenteil: Bei Kinderlosen nahm die Einsamkeit im Lauf der Zeit sogar ab, während sie bei Eltern zunahm. Die Studienautor_innen sehen den Grund dafür darin, dass Eltern in der Krise besonders stark gefordert waren, da viele eine berufliche Tätigkeit, Beschulung, Kinderbetreuung und Freizeitgestaltung unter einen Hut bekommen mussten. Damit hätten sie möglicherweise weniger Zeit gehabt, sich auch noch um ihre soziale Einbindung zu kümmern.

*Veränderung der Einsamkeitsgefühle*
Das Gefühl von Einsamkeit ist aber kein statisch festgelegtes: Wie die Onlinebefragung zeigte, berichteten Ältere zwar im Durchschnitt weniger von  Einsamkeit als Jüngere, allerdings stieg bei ihnen die Einsamkeit im Lauf der vier untersuchten Wochen tendenziell an, während sie bei Jüngeren tendenziell abnahm. Die Vermutung des Forschungsteams: Möglicherweise gelang es jüngeren Menschen durch soziale Medien und andere digitale Kommunikationsmöglichkeiten in der Anfangsphase des Lockdowns besser, die negativen sozialen Auswirkungen der Kontakteinschränkungen zu kompensieren.

*Keine Epidemie der Einsamkeit*
Die Folgerung der Forschenden aus dieser ersten Auswertung: "Unsere Daten stützen die Theorie einer Epidemie der Einsamkeit nicht". Allerdings zeige die Befragung erstmal nur Kurzzeiteffekte, die sich möglicherweise von Langzeiteffekten unterscheiden. Außerdem sei die Lage in Deutschland besonders, da es hier im Vergleich zu anderen Ländern gut gelungen sei, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. "Psychische Konsequenzen könnten in anderen Ländern, die die Pandemie nicht so gut bewältigen konnten, anders ausfallen", ergänzt Kai Horstmann.

*Studie läuft weiter*
Wer Interesse hat, an der weiterlaufenden Studie teilzunehmen, kann dies nach wie vor tun. Neue Teilnehmer_innen können sich registrieren unter:

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung