Bücher ersetzen den Vampirbiss

Laut einer Studie fühlen wir uns fiktiven Gruppen in Büchern ebenso zugehörig wie realen

Es sind Ferien, draußen regnet es: was gibt es Schöneres als sich mit einem dicken Schmöker aufs Bett oder Sofa zu verziehen und stundenlang in unbekannten Welten zu versinken? Wenn wir Bücher lesen, sind wir nicht alleine. Dass dies die Triebfeder zu lesen ist, sagte schon der Autor der „Chroniken von Narnia“, C.S. Lewis: „We read to know we’re not alone“ – zu Deutsch etwa: wir lesen um uns zu versichern, dass wir nicht alleine sind.

Aber warum ist das so? Wir können die Personen in dem Buch ja nicht berühren, nicht mit ihnen sprechen, ja, sie nicht einmal sehen. Und doch sind wir als Leser in der Lage, eine wirkliche Beziehung zu ihnen aufzubauen und mit ihnen zu fühlen wie mit realen Menschen.

An der staatlichen Universität von Buffalo in New York (SUNY) haben die Psychologin Dr. Shira Gabriel und ihre Doktorandin Ariana Young nun erforscht, wie das möglich ist. Laut ihrer Studie befriedigt das Versinken in die Welten unserer Lektüre ein zutiefst menschliches und evolutionär bedingtes Bedürfnis dazu zu gehören.

*Twilight und Harry Potter*
In der Studie wurden 140 StudentInnen ausgewählt. Zunächst wurden die TeilnehmerInnen befragt, in welchem Ausmaß sie ihre Bedürfnisse nach Beziehungen und Anschluss durch die Identifikation mit sozialen Gruppen decken.
Dann sollte ein Teil der Probanden einen Auszug aus dem Roman „Twilight“ lesen, in dem der Untote Edward seiner Geliebten Bella beschreibt, was es bedeutet ein Vampir zu sein. Der andere Teil las eine Passage aus „Harry Potter und der Stein der Weisen“, in dem die Hogwarts-Schüler verschiedenen Häusern zugeordnet werden und Harry zum ersten Mal dem Zaubertränke-Lehrer Severus Snape begegnet. Die TeilnehmerInnen hatten 30 Minuten Zeit, die Passagen zu lesen und wurden aufgefordert, dies einfach zu ihrem Vergnügen zu tun.

Bin ich Vampir oder Zauberer?

Dann wurde in zwei Messungen die Zugehörigkeitsgefühle der Testpersonen zu den Gruppen „Vampir“ und „Zauberer“ festgestellt. Dazu wurden die Studenten angewiesen, so schnell und genau wie möglich „ICH“-Wörter wie z.B: „Mir, ich, Mein“ und Zauberer-Worte wie „Besenstiel, Zauberstab, Zaubertränke“ zu kategorisieren, in dem sie dieselbe Taste drückten, wenn eines dieser Worte auf dem Bildschirm erschienen. Eine zweite Taste sollte beim Erscheinen von „Nicht-Ich“-Wörtern wie „Sie, deren“ und Vampir-Wörtern (Blut, Zähne, Gebissen, untot) gedrückt werden.
Danach wurden die Gruppen getauscht. Die Forscherinnen Gabriel und Young erwarteten, dass die Gruppe schneller reagierte bei Wörtern, die sich aufgrund ihrer vorherigen Lektüre wirklich dem „Ich“ zugeordnet waren.
Danach maßen sie die Identifikation mit Vampiren und Zauberern. Dies geschah anhand von Fragen wie zum Beispiel „Glauben sie, sie können verschwinden und woanders wieder auftauchen?“ und „Wie scharf sind ihre Zähne?“ Schließlich wurde mit kurzen Fragebögen noch die Zufriedenheit der TeilnehmerInnen mit ihrem Leben und die Grundstimmung abgefragt.

*Lesen erfüllt ein tiefes psychologisches Bedürfnis *
Wie vorhergesagt, stellte sich bei beiden Versuchsreihen heraus, dass die Harry Potter-Leser sich stärker mit Zauberern und Twilight-Leser sich stärker mit Vampiren identifizierten. Außerdem wurde deutlich, dass die Teilnehmer, die im Alltag eher gruppenorientiert sind, sich auch stärker der jeweiligen fiktiven Gruppe zugehörig fühlten. Das Zugehörigkeitsgefühl zu den „fiktiven“ Communities der Bücher, löste in den Probanden dieselben Stimmungen und Zufriedenheit aus, die man durch die Zugehörigkeit sozialer Gruppen in der Realität empfindet. „Die Studie erklärt, wie das Alltagsphänomen Lesen nicht nur zur Realitätsflucht oder Bildung taugt, sondern auch als etwas das ein tiefes psychologisches Bedürfnis erfüllt“ sagt Young.

Und dafür müssen wir nicht einmal zaubern können oder gebissen werden! Ob Liebeskummer oder Ärger mit den Eltern: Vielleicht hilft es euch ja auch erst einmal, ein Buch zu lesen, um euch nicht mehr allzu einsam zu fühlen!

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Stand: 27. April 2011