Beauty-Routine

Beitrag von Liona Binaev, 23 Jahre

Wie machst du das. Du erwachst. Du isst. Du gehst und du kommst und wenn du gehst, sagt wer tschüss und wenn du kommst, hallo, und eigentlich würdest du lieber aufhören. Zu erwachen. Zu essen, zu reden, zu gehen und zu kommen, hallo und tschüss, wie machst du das. Dass du weitermachst. Vor allem, wie bleibst du so hübsch dabei.
In meinen Augenringen paaren sich die blauen Adern mit den grünen, und wer weiß schon, wer hinzugezogen ist, die blauen oder die grünen, und wer weiß schon, wer den Platz warmgehalten hat.
Du erzählst mir, dass es dir gut geht, und deine getuschten Wimpern stimmen dir zu. Als eine Mücke in deinem Lipgloss stirbt, beerdigst du sie nicht. Du schnippst sie von deiner Fingerspitze, und du siehst cool aus dabei. Auf meinen Lippen sterben nur die Versprechen an dich: Ich meld mich, wenn es schlecht geht, ich lass es dich wissen, wenn ich Hilfe brauch, auf dich ist immer Verlass. Aber ehrlich, warum sollte ich mich an dich wenden. Vor deinem Fenster ist ein Fliegengitter.

Eine Zeit lang waren wir ehrlich und ehrlich schockiert über die, die es nicht waren. Wir fragten uns, was ich mich jetzt frage: Wie überleben solche Lügner*innen?
Uns hat niemand geantwortet. Du antwortest mir auch nicht. Du schminkst dich. Der Concealer im Farbton Sand verdeckt den Geschlechtsakt deiner Adern. Es gehört sich nicht, Lust zu haben.
Neben dir zu laufen, fällt mir schwer, es macht das Atmen zu einer unbezahlten Arbeit (denn zu überleben kann nicht der Lohn sein), und weil ich immer zu dir hochgucke – du bist so schön – ist mein Nacken ganz steif. In meiner Hose tut sich nichts, es gehört sich nicht, Lust zu haben.

Ich beneide euch Mädchen. Man sieht euch das Leben nicht an. Nur wie lange ihr im Bad gestanden habt, bevor ihr in die Uni gekommen seid, um zu lernen, dass es so einfach ist, kein Junge zu sein.
In meinen Brustwarzen paaren sich die schwarzen Haare mit den weißen, und wer hinzugezogen ist, das wissen alle. Die weißen waren nicht zuerst da.
Ich muss die Flecken auf meinen Armen nicht erklären, ich bin ein Junge, ich raufe gern. Und falle in rotbraunen Matsch, der lila Kreise hinterlässt. Wenn ich mich aus Versehen verbrenne, bin ich nur ein typisch-Jungs-Ableger. Bei mir fragt niemand nach.
Ich würde ja bei dir nachfragen, aber du deckst deine lila Flecken mit Concealer in Sand ab.

Manchmal, wenn ich mich fürchte, schminke ich mich. Meine Mutter besitzt so viel Camouflage, dass ich unsere Badewanne damit füllen könnte, mehrfach. (Ich habe es getan, mehrfach.) Nach meinem Bad dann, fürchte ich mich etwas weniger, weil ich auch lüge wie ihr Mädchen. Ich sehe so rein aus, meine Poren sind zugespachtelt und mit ihnen mein Schmerz.
Als ich mich in dich verliebte, konntest du Mascara nicht buchstabieren und ich nicht Sertralin. Wir sind so alt.
Doch wir sind in entgegengesetzte Richtungen gealtert. Du bist jetzt eine von denen mit dem Fliegengitter vor dem Fenster. Du bist jetzt eine von denen in der geschlossenen Psychiatrie. Du bist jetzt eine von denen, die sich schrecklich schämen, für das Fliegengitter, das Geschlossene, das du. Ich liege ein Zimmer weiter von dir und frage mich, wie mein Leben besser werden kann, während du dich fragst wie viele Schichten Make-Up es wohl braucht, um deine Depression zu überdecken.