Grüne Zukunft, graue Götter

Einsendung von D.B.B, 26 Jahre

Es war früh am Morgen als Simon sich auf den Weg machte. Nebel hing wie eine schützende Decke über dem Land und Tau sammelte sich auf frischen Sprösslingen. Der Pfad war überwuchert von jungen, nassen Gräsern, die Simons Stoffschuhe tränkten, so dass es sich bald anfühlte, als führe sein Weg durch ein seichtes Gewässer, dessen Oberfläche im Rhythmus der Morgenbrise an seine entblößten Knöchel schlug. Die wenigen verheißenden Sonnenstrahlen, die bereits ihren Weg über den Horizont gefunden hatten, verzerrten die Schatten der Bäume zu verworrenen Netzen und besaßen noch nicht ausreichend Wärme, um den Nebel zu vertreiben. Unbekümmert durchstrichen Tiere die Umgebung, oder saßen zufrieden und auf die Wärme des Tages wartend in den Baumkronen.
Simon atmete die süße Morgenluft ein und eine Brise strich ihm sanft über das Gesicht. Er hätte es den Tieren nur zu gern gleich getan. Doch die Zeit drängte und er beschleunigte seine Schritte.

Als er dem Pfad eine Weile gefolgt war, tat sich eine Lücke zwischen den Bäumen auf und offenbarte eine Lichtung, in deren Nebeldunst sich verschwommene Gestalten bewegten.
Ein ihm bekanntes Surren war zu hören und die Kontrolleinheit kam durch den Nebel über der Lichtung auf ihn herabgeschossen. Kurz vor Simon hielt sie an und ein grün leuchtender Punkt erschien in ihrem schwarzen Display. Sie scannte ihn.
Dann ertönte eine verzerrte, emotionslose Stimme: „Simon Yuva. Arbeiterkolonie 3. Eintreffen“, die Kontrolleinheit machte eine kurze Pause und Simons Herz begann wild in seinem Brustkorb zu pochen, „...zur angeordneten Zeit.“
Er atmete erleichtert aus. Nach einer weiteren kurzen Unterbrechung fuhr die Maschine fort: „Arbeiterkolonie 3. Ernte in Sektor 46. 12 Stunden“
Wieder Erleichterung. Sektor 46 war ein abgeschiedener Erntebereich. So würden Simon und seine Kolonie auf ihrem Weg ein wenig Zeit für sich haben. Ein seltener Luxus.
Die Kontrolleinheit wurde surrend an ihrem Stahlseil in den Himmel zurückgezogen und ließ Simon zu seiner Kolonie gehen. Fast schon mit einem Lächeln im Gesicht, teilte er ihnen die guten Nachrichten mit und sie machten sich auf den Weg.

Nach einem einstündigen Marsch ließ Simon sie rasten. Sie waren auf einer Hügelkuppe angekommen, von der aus man das umliegende Land gut überschauen konnte.
Er genehmigte sich einen Schluck aus seinem Wasserschlauch, wischte sich den Schweiz aus dem Gesicht und schaute auf die Landschaft.
Der Nebel hing noch über den Wäldern, doch konnte er zwischen den im Dunst grünlich schimmernden Bäumen auf entfernten Lichtungen umherwuselnde Arbeiter sehen, die Felder bestellten. Die Natur hatte sich innerhalb weniger Jahre gut erholt und es waren nicht viele künstliche Plantagen notwendig, um die Menschen zu ernähren. Der Planet versorgte sie mit allem, was sie brauchten. Doch bezahlten sie für ihre Schuld.
Simon schaute hoch über die Wälder und betrachtete die Kreatur, die den Himmel in seinem Blickfeld dominierte. Die kilometerlange, stählerne Wirbelsäule streckte sich bis zum Horizont. Sie tauchte an manchen Stellen in das Wolkenmeer ein und brach an anderen wieder daraus hervor. Riesige, weiße Stahlrippen standen in weiten Bögen von der Wirbelsäule ab. Die Längsten reichten bis zum Erdboden und dienten der Kreatur als Beine. An den kürzeren Rippen, die sich wie Fühler in der Luft hin und herbewegten, hingen Kontrolleinheiten an Stahlseilen, bereit jederzeit durch den Nebel hinabzuschießen. Jedes Mal wenn die Kreatur mit einer ihrer gewaltigen Rippen einen Schritt machte, erbebte die Erde leicht.
Der riesige Kopf war an der Spitze der Wirbelsäule und Simon war froh, dass er ihn im Moment nicht sehen konnte. Ihm taten die Arbeiterkolonien irgendwo hinter dem Horizont leid, die im Schatten des grässlichen, wachsamen Gesichts arbeiten mussten. Noch Heute verfolgte ihn dessen Anblick in Albträumen, obwohl er es schon seit einigen Monaten nicht gesehen hatte.

Es war eins von unzähligen solcher Geschöpfe, das wusste Simon, selbst wenn er in den letzten Jahren immer nur das eine gesehen hatte. Und sollte es noch nicht genug von ihnen geben, um die ganze Welt zu überwachen, dann würde es bald so weit sein.
Simon hatte gehört, dass aus den Fabriken an den Rändern der recycelten Metropolen pro Monat eine neugeborene Kreatur erschien. Dies und anderes Bedrückendes erfuhr man von Kolonien, die in den umliegenden Gebieten ihrer ehemaligen Metropolen arbeiteten. Denn Simon hatte noch von keinem Arbeiter gehört, der eine Fabrik wieder verlassen hatte. Ihre neuen Herrscher waren sehr gründlich; besonders wenn es um das Bewahren der Geheimnisse ihrer Schöpfung ging.
So sorgten sie auch dafür, dass die Menschheit ihre Schuld tagtäglich bezahlte.

In den Jahren in denen sich die Realität als schlimmer erwies, als selbst finsterste Prognosen es vermutet hatten, suchte die Menschheit verzweifelt nach etwas, das sie hoffen ließ.
So kam es, dass sie sich an jene wandte, die ein Ende prophezeit hatten. Wissenschaftler wurden zu Priestern und deren Forschungen veröffentlicht als Werke des Glaubens. Und schließlich wurden die Maschinen der Wissenschaft zu neuen Göttern und deren Befehl Gesetz.
Doch war dies nicht die erhoffte Erlösung.
Denn dem Gebot der Götter folgte Recht und sie zogen ihre Schlüsse aus der Vergangenheit.
In ihren Augen hatte die Menschheit als Höhepunkt der Evolution und den Sinn einer hunderttausende Jahre langen Existenz das Leben für die Maximierung von gegenwärtigem Wohlbefinden identifiziert. Und dafür hatte sie den Planeten der Zukunft beraubt.
So fiel das Urteil, dass die Menschheit auf Grund vergangener Taten, nicht mehr die Freiheit besitzen sollte, über Zukünftiges zu entscheiden. Fortschritt war von nun an unter Kontrolle des Göttlichen. Und die Menschheit arbeitet seit damals unter den wachsamen Augen ihrer neuen Götter die Schuld der Vergangenheit ab, die das Leben eines ganzen Planeten fast an den Abgrund getrieben hätte.

Autorin / Autor: D.B.B, 26 Jahre