Die Verlorenen Generation

Einsendung von Leonie, 19 Jahre

Früher einmal soll Nahrung im Überfluss vorhanden gewesen sein und die Menschen sollen sogar die verlassensten Gegenden der Erde bevölkert haben. Selbst die Sterne waren den Menschen des stabilen Zeitalters nicht zu weit weg. Zumindest wurde es so überliefert. Doch die Geschichten werden nicht aus Sehnsucht erzählt, sondern als Warnung und voller Verachtung.
Die Namen der Verantwortlichen werden wohl nie in den Geschichtsbüchern stehen. Wie sollten sie auch? Es wären zu viele, um sie hineinzuschreiben. Würde man es versuchen, so würde man ungefähr 10829 Bibeln mit ihren Namen füllen können. Denn wir wurden nicht von einer einzelnen Person bestraft, sondern von der Kollektivität der vergangenen Menschheit. Zwar wurden sie nie verurteilt, doch die Geschichte richtet jeden. Und sie würden für immer als Die Verurteilten in den Köpfen ihrer Nachkommen bleiben.

Anfangs wurde die sich leise nährende Katastrophe von den industriellen Errungenschaften und dem mit sich bringenden Luxus überschattet. Die Auswirkungen waren noch nicht zu erkennen und das zerbrechliche Wechselspiel des gesamten Ökosystem Erde noch nicht gut genug verstanden. Dass ihr Handeln solch schwerwiegende Folgen nach sich ziehen könnte, schien damals nicht einmal im Traum möglich zu sein.
Keiner erkannte, welche Gefahr sich ihnen nährte. Wie ein Blinder, der auf einem schmalen Grat wandert und die Klippe, die neben ihm mehrere hundert Meter hinab geht und seinen sicheren Tod bedeuten würde, nicht sieht, strebten sie weiter in Richtung des sich nahenden Unheils.
Doch langsam aber sicher wurden die Folgen ihres rücksichtslosen Verhaltens immer deutlicher, bis nur noch die ignorantesten Individuen es als bloßes Hirngespinst abtun konnten.

Die Katastrophe hatten viele Ursachen. Heute sind sie als Das Collectivum bekannt. Doch so unterschiedlich die Ursachen für unsere heutige Situation auch sein mögen, sie alle haben eines gemeinsam: menschliche Ignoranz und grenzenlose Überschätzung.
Immer wieder trafen sich die hohen Tiere, um Gegenmaßnahmen in Form von Beschlüssen festzuhalten, doch waren diese nicht mehr als ein einzelner Pfahl, der versucht eine mehrere Meter hohe Welle aufzuhalten. Sie waren angesichts des zu weit fortgeschrittenen Problems einfach nicht ausreichend. Umfassendere Maßnahmen, welche zu einem milderen Verlauf geführt hätten, wurden abgelehnt, es hieß sie wären nicht umsetzbar. Die Leute wollten ohne etwas zu ändern und ohne auf etwas verzichten zu müssen, dieses Problem lösen. Eine fatale Denkweise, wie sich herausstellte. 

Durch Das Collectivum stieg der Meeresspiegel immer weiter an und Hurrikane nahmen zu. Viele Städte versanken mit der Zeit unter dem Wasser. Hatte man zuvor Jahrhunderte lang nach dem sagenumwobenen Atlantis gesucht, so wurde es zu jener Zeit gefunden. Nur befand es sich nicht wie vermutet im Atlantik, sondern war den damaligen Menschen als Venedig bekannt.

Später führte das Abreißen des Golfstroms in manchen Regionen zu einem starken Temperaturabfall. Vor allem Grönland, Island, Skandinavien und Großbritannien waren betroffen und in den Meeresgebieten um sie herum wuchs die Eisdecke signifikant an. Auch die Nordsee war jährlich monatelang vereist. Vielerorts verwandelte sich die Landschaft in eine karge, kalte Eislandschaft. Dadurch wurden nicht nur die Landwirtschaft und Fischerei beeinträchtigt, sondern auch der Regengürtel über dem tropischen Atlantik wurde nach Süden verschoben, was zur starken Beeinflussung des Klimas in Mittel- und Südamerika führte.

Eine andere Folge war ein Temperaturanstieg in vielen anderen Regionen. Kam es an manchen Orten zu Überschwemmungen, gewann andernorts immer länger anhaltende Trockenheit gefolgt von starken Waldbränden die Oberhand. So vernichtete Der Brand damals große Teile Spaniens. Wasserknappheit, welche vorher nur ein regionales Problem war, entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer globalen Bedrohung. Vielerorts brach die Landwirtschaft zusammen, entweder aufgrund des Wassermangels oder der unberechenbaren Wetterverhältnisse, welche zu Ernteausfällen und katastrophalen Hungersnöten führten.
Als erstes waren sogenannte Dritte Welt Länder betroffen, ein historischer Begriff aus dem stabilen Zeitalter. Diese Klassifizierungen lösten sich jedoch im Laufe der Zeit auf und ist nun von keinerlei Bedeutung mehr. Heute sind die wenigen verbleibenden Länder wahrscheinlich alle auf demselben Niveau. Vergleicht man dieses mit den Überlieferungen, liegt es jedoch weit unter dem damaligen.

Das Leben wie die Menschen es einmal führten veränderte sich und wir können die Folgen bis heute noch spüren. Die Schuldigen: Die Verurteilten.
Es fällt immer leicht zu urteilen, wenn man nicht in der gleichen Situation war. Hätten wir uns damals in ihrer Situation anders verhalten? Ungeachtet dessen ist eine Tatsache durch den Lauf der Geschichte unumstößlich geworden: Die Wahl, die sie damals trafen, war falsch. Kein Argument der Welt kann das rechtfertigen, was danach kam. Sie riefen nur kurz in die Schlucht, doch das Echo ist bis heute zu hören. So wertvoll die Zeit ist, so tödlich war sie in diesem Fall. War erst mal ein gewisser Punkt überschritten, war es wie eine Lawine, die auf ihrem Weg ins Tal immer weiter an Masse zunahm und alles in ihrem Weg mit sich riss. Zwar konnte man diesen Punkt nicht genau bestimmen, doch wird er im Volksmund allgemein als Iudicium bezeichnet. Das Urteil.

Doch vielleicht würde diese gewaltige Lawine im Tal zum stehen kommen und wenn sie auf ihrem Weg nicht alles vernichtet hatte, würde es vielleicht Hoffnung geben. Unsere Wut auf die vorherigen Generationen wird uns nichts bringen. Wir müssen nach vorne schauen und versuchen, einen Weg zu finden. Vielleicht wird sich die Erde mit der Zeit erholen. Doch werden wir da sein, um es zu erleben? Wir müssen versuchen aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und eine bessere Zukunft zu schaffen.

Wir sind die Verlorenen Generation. Wir werden nicht die Fehler unserer Vorfahren machen.