Die einzig Überlebende

Einsendung von Elena Palomo Lipken, 13 Jahre

Die Frau guckte sie an. Glücklich und unglücklich zugleich. Es war das Letzte, was von der Plantage übriggeblieben war. Der Stolz war die Plantage, früher. Diese Kaffeepflanze war wirklich das Letzte was von den verwelkten Pflanzen zurückgeblieben war. Das lag daran, dass es in den letzten Jahren oft geregnet hatte und Temperaturschwankungen hier in Sao Paulo stattgefunden hatten. Ihr Vater hatte schon längst die Hoffnung aufgegeben, doch die Frau glaubte stets an eine neue Plantage. Sie kniete sich vor die Glastür des hermetisch abgeriegelten Raumes, in der die Kaffeepflanze mager wuchs. Sie legte ihre Hand an die Tür, die sie und die Pflanze trennte und schloss die Augen. Sie dachte an ihre eigene Plantage mit dieser einen besonderen Sorte ihres Großvaters. Den Geruch dieses Kaffees hatte sie vermisst, sogar sehr. Er erinnerte sie an ihre Kindheit, sie fing schon früh an Kaffee der eigenen Plantage zu trinken und liebte ihn. "Das bringt doch nichts einer Pflanze Jahrelang nachzutrauern, gebe es doch endlich auf", sagte ihr Vater, der plötzlich hinter ihr stand. Sie schwieg, und der Vater ging augenrollend wieder fort. Die Frau spielte die ganze Zeit mit dem Gedanken, endlich in den Raum zu gehen und die einzige Bohne zu pflücken, die die Pflanze trug. Doch sie wusste es wäre falsch, denn auch diese letzte Pflanze würde sterben. Davon ging sie ja immer aus. Aber riskieren wollte sie es nie, bis heute. Heute war der Tag gekommen vor dem sie Angst hatte. Denn am heutigen Tag war die Sehnsucht nach dem Kindheitsgefühl größer als ihre Angst. Sie konnte einfach nicht widerstehen. Sie öffnete die Augen und griff an ihre Schlüsselkette. Die Frau steckte den Schlüssel in das rostige Schloss. Sie drehte den Schlüssel zögernd und war doch nicht mehr so mutig wie zuvor. Sie nahm einen tiefen Atemzug und öffnete die Tür energisch. Mit großen Schritten ging sie auf die Pflanze zu. An ihrem konzentrierten Gesichtsausdruck sah man ihr angespannte Vorfreude. Sie drehte sich um und sah die offene Tür an.
 Die Frau drehte sich entschlossen um und kippte dabei plötzlich den Pflanzentopf um. Sie sah nur noch tausend Keramikteile des Topfes und die Kaffeepflanze, die kaputt am Boden lag. Die Dame merkte wie Tränen über ihre Wange liefen und rannte schnell weg. Am nächsten Tag war sie immer noch traurig. Sie hatte die ganze Nacht geweint. Doch als sie durch die Glastür ging und einen grünen Keimling sah, der sich aus der einzigen Bohne am Boden hinausstreckte, wischte sie sich ihre Tränen weg. Sie rief ihren Vater, der nach einiger Zeit kam. Sie zeigte auf den Keimling und der Vater umarmte sie fest. "Es gibt neue Hoffnung", flüsterte er ihr ins Ohr.

Autorin / Autor: Elena Palomo Lipken