Für das Leben

Einsendung von Josie, 18 Jahre

Ödipus sticht sich die Augen aus, als er erfährt, dass er seine Mutter geheiratet hat und unter Jugendlichen in Deutschland trendet die Beleidigung „Ich fick‘ deine Mutter“: In fast jeder Kultur scheint die Mutter sowas wie heilig zu sein. Umgekehrt betrachtet, ist die Misshandlung der eigenen Mutter also das Allerschlimmste, eine Todsünde könnte man sagen. Immerhin heißt es auch in den zehn Geboten, man soll seine Mutter ehren (und den Vater ebenso).
Trotzdem misshandeln wir unsere Mutter – Mutter Natur - tagtäglich. Dass wir damit auch uns schaden, scheinen wir erst zu begreifen, wenn wir selbst unmittelbar betroffen sind. Blöd, dass Angela Merkel im Kanzleramt in Berlin relativ sicher vor Waldbränden und Überschwemmungen ist. So gleicht das Engagement der Politiker_innen dem eines Zwergfaultiers, einer Art, die - nebenbei bemerkt - wie 32440 andere Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht ist.

Die Verantwortungsdebatte ist passé. Deutschland gehört zu den größten CO₂-Emittenten und muss dementsprechend handeln. Dabei haben Verbraucher_innen natürlich Verantwortung, aber ihre Einflussmöglichkeiten sind längst nicht so groß, wie die der Politik. Und was macht die?

Die Bundesregierung will kein Geld investieren, ebenso wenig wie Verbote aussprechen und das obwohl der Begriff „Klimakrise“ schon längst zutreffender ist als „Klimawandel“. Trotzdem heißt das Motto der Stunde jede Stunde erneut „Bequemlichkeit“. Dabei verschließen die Politiker_innen die Augen davor, dass wir in ein paar Jahren den Preis für diese Bequemlichkeit zahlen müssen. Kleiner Spoiler: Es wird teuer. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Denn irgendwann wird nicht mehr nur Bangladesch Opfer von Überschwemmungen und Kalifornien - oder aktuell das UNESCO-Weltnaturerbe Fraser Island in Australien - von Waldbränden. Nein, wenn wir so weitermachen, dann steht schon bald halb Hamburg unter Wasser und der gesamte Spreewald in Brand. Schon jetzt löst die zunehmende Desertifikation Hungersnöte aus und die betroffenen Menschen müssen fliehen. Auch in Deutschland erleben wir als eine weitere Folge des Klimawandels vermehrt Hitzesommer. Ja, es gibt allen Grund ins Schwitzen zu kommen.

Trotzdem fehlt immer noch der Mut für drastische Maßnahmen, die nötig sind, um eine Energie- und Verkehrswende zu vollziehen. Obwohl Investitionen in erneuerbare Energien dringend notwendig sind, hält die Politik vollkommen irrational an Kohle fest und so darf sich Deutschland den größten Braunkohleförderer weltweit rühmen, wobei das eher Schande als Ruhm bedeutet. Als Begründung dafür wird stets aufs Neue das Arbeitsplätzeargument vorgeschoben, in dessen Namen Unsummen an Entschädigungen gezahlt werden. Die Tatsache, dass schon 2012 in der Solarindustrie 24500 Arbeitsplätze verloren gingen und der Trend sich fortsetzt, findet dabei kaum Beachtung.

Aktuell steht zu befürchten, dass der neue EEG-Änderungsentwurf den Ausbau erneuerbarer Energien durch enormen bürokratischen Aufwand eher bremsen als fördern wird. Außerdem wird für Eigenverbraucher_innen der Solarstrom vom eigenen Dach teuer – so teuer, dass er sich nicht mehr rentiert. Fazit: Die geplante Änderung ist ein Rückschritt.

Es gibt auch etliche Kleinigkeiten, die niemandem ernsthaft wehtun würden. Da wären zum Beispiel autofreie Innenstädte gepaart mit einem Ausbau des ÖPNV und ein Tempolimit auf der Autobahn als Vorzeichen einer Verkehrswende. Außerdem die Abschaffung von Einwegprodukten jeglicher Art als Bemühung, unnötigen Müll und insbesondere Plastikmüll zu vermeiden, der Erdöl verbraucht und die Meere verschmutzt. Das neue Verbot von leichten Plastiktüten ist ein notwendiger Schritt, führt aber noch nicht weit genug. Und die Tatsache, dass zur Reduktion oder Vermeidung von Plastik oft Produkte aus verschiedenen Materialien hergestellt werden, ist sogar kontraproduktiv, da es das Recycling erschwert oder gar unmöglich macht.

So ergibt sich, dass die meisten Maßnahmen Verbote sind. Na und? Vor Verboten sind alle gleich. Wie passend, denn schließlich will man keine soziale Ungerechtigkeit provozieren. Wenn zum Beispiel die Flugpreise steigen würden, würden weniger Menschen fliegen, aber nur, weil sie es sich nicht leisten können. Die Reichen würden weiterhin ungestört um die Welt jetten.
Dennoch gehört der Flugverkehr eingeschränkt. Wichtige Schritte dazu wären die Schließung von Regionalflughäfen, die zumeist ohnehin nur durch Subventionen bestehen bleiben, und eine generelle Abschaffung von Inlandsflügen. Der Bedarf dürfte in Zukunft ohnehin sinken, da Geschäftsmeetings auch post-Corona wohl vermehrt online stattfinden werden. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass das möglich ist – Überraschung. Dass die staatlichen Corona-Hilfen für die Autoindustrie und die Beteiligung an der Lufthansa in Milliardenhöhe kaum an Umweltauflagen gebunden wurden, ist eine weitere verpasste Chance.
Das Argument der sozialen Gerechtigkeit gilt auch für eine generelle CO₂-Steuer. Doch da eine solche Steuer quantitativ vielleicht das wichtigste Instrument gegen den Klimawandel ist, ist die Einführung unumgänglich. Gut, dass das Kabinett sie beschlossen hat; schlecht, dass der Preis mit 25€ pro Tonne viel zu gering ausfällt, um eine Wirkung zu haben.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat Recht: Der Point of no Return rückt immer näher, unser Planet ist kaputt und trotzdem mangelt es noch immer am politischen Willen, effektiv etwas dagegen zu tun. Noch gilt, dass das im Pariser Abkommen formulierte Ziel von 1,5 Grad Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bis 2050 mit den aktuell vorhandenen wirtschaftlichen Ressourcen und technologischen Erkenntnissen erreichbar ist. Aber nur, wenn die Bekämpfung des Klimawandels jetzt, und zwar wirklich jetzt, ernsthaft angegangen wird.

Nicht nur Mutter Natur wird es uns danken, wenn wir ihr das Schicksal von Ödipus’ Mutter ersparen. Nein, wir tun damit auch uns selbst und den folgenden Generationen – unseren Kindern - einen großen Gefallen.