Drowning

Einsendung von Milla West, 12 Jahre

Es schreibt das Jahr 2045. Ich lebe auf einer Insel im Pazifik, besser gesagt: ich lebte früher auf einer Insel.
Mein Name ist Bay, und ich stamme von den ehemaligen Kiribati Inseln, sie stehen seit elf Jahren unter Wasser, viel früher als vorhergesehen. Ich weiß nichts von der Zeit vor der Flut, außer aus den Geschichten meiner Mutter. Ein Dasein wie wir es fristen ist erbärmlich, doch ich kenne kein anderes ‚normal‘.
Damals gab es bei uns Reis, doch heutzutage bauen wir nichts mehr an, wir leben in kleinen, zusammengeflickten Booten, und ab und zu kommen Menschen von weit her mit Essen. Sonst nehmen wir Fisch zu uns, und es gibt ein paar Wasserfilter, mit denen wir das Wasser säubern können, und das Salz daraus entziehen. Um die Zeit zu überbrücken, in der die Boote nicht kommen und die Vorräte knapp werden, essen wir alles Mögliche.
Ich habe am Anfang nicht verstanden, wieso das Wasser anstieg, doch jetzt weiß ich, dass es an der Umweltverschmutzung liegt. Laut meiner Mutter müssen wir jetzt dafür büßen, dass unsere Vorfahren aus Plastik gegessen haben, und andere es immer noch tun.

Ich kauere mit angezogenen Beinen in einem selbst gemachten Boot, und umschlinge meine Schultern, um sie vor dem erbarmungslosen Wind zu schützen. Dabei schaue ich Mio, meinem fünfjährigen Bruder, beim Schlafen zu, er atmet ruhig. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, die blonden Haare, die bei uns in der Familie fast schon ein Markenzeichen sind, liegen zerzaust über seinen Augen. Trotz der Plane, in die ich ihn eingehüllt habe, zittert er im Schlaf. Der eiskalte Nordwind lässt auch meine Zähne klappern, ich würde gern in die ferne Welt der Träume abtauchen, doch die Angst raubt mir den Schlaf. Stattdessen starre ich in die Weite aus Müll und Wasser die mich umgibt, Plastik. Überall Plastik.
Der Fischtran, mit dem mein Bruder und ich uns eingeschmiert haben, um nicht zu erfrieren, stinkt gewaltig. Den Trick hatte ich von meinen Eltern gelernt, doch sie wurden vor nicht allzu langer Zeit über Bord gespült. Ein mickriger Haufen Fisch liegt in der Mitte des Bootes, daneben eine halbleere Wasserflasche. Eigentlich mochte ich Fisch noch nie, vor allem nicht halbroh wie wir ihn essen - das scheußliche Glibber-Zeug verdreht mir den Magen -, denn es gibt bei uns kein Feuer, nur bei den Wasserfiltern, da brennt immer eine kleine Flamme, von der man sich etwas Kohle nehmen darf, um den Fisch zu räuchern. Aber wir sind weit entfernt von den Wasserfiltern, und unsere Kohle ist seit langem ausgebrannt. Wir haben uns auf der Suche nach Essen verfahren und unser Wasser wird knapp. Trotz unseres Mangels genehmige ich mir ein paar Schlückchen.

Um die Zeit zu vertreiben, krame ich aus einer Ecke des Bootes meine Schätze hervor, und mustere sie: fünf relativ große Glasscherben; eine Plastikflasche; und eine Tube Sekundenkleber, die ein Fisch verschluckt hatte. Für mein Experiment muss ich jedoch auf den Tag warten, und das tue ich auch.
Als die ersten Sonnenstrahlen den Horizont erleuchten, wache ich aus meinem unfreiwilligen Halbschlaf auf. Ich drehe mich um und sehe Mio, er sitzt mit großen blauen Augen da und blickt aufs Meer hinaus.
Nun schaut er mich an: „Bay, wann gibt‘s wieder mehr Wasser?“
„Bald.“, sage ich, aber ich weiß nicht, ob ich dieses Versprechen halten kann. Mio starrt weiterhin ins Leere. Plötzlich fallen mir seine glühenden Wangen auf, ich lege eine Hand auf seine Stirn: sie ist heiß. Besorgt beobachte ich ihn, ohne etwas zu sagen. Krank werden heißt bei uns einfach nur sterben. Aber er darf nicht sterben, ich muss es verhindern!
„Ich habe Engel gesehen, die werden uns retten, ist das nicht toll?“, fragt er, seine Stimme ist matt aber aufgeregt.
Dieses Verhalten bereitet mir Sorge, das Delirium tritt früh ein. Entweder vom Fieber oder wegen des Wassermangels.
„Wie schön.“, sage ich ausdruckslos, und wende mich wieder meinem Projekt zu. Ich nehme einen tiefen Atemzug kalte Luft ein und mach mich an die Glasscherben. Das Glas ist nicht besonders robust und ich kann es leicht an den Kanten des Bootes in Stücke einer ähnlichen Größe meißeln. Die kleinen Splitter, die nicht in meinen Fingern feststecken, bewahre ich vorsichtig auf, die benutze ich, um die Lücken im Kleber zu füllen. Ich stelle vier der Scheiben in einem Viereck auf und klebe sie mit den Überresten des Klebers aneinander. Die fünfte Scheibe kommt noch obendrauf. Mist, ich habe nichts für den unteren Teil! Dies ist wirklich ein Problem, aber ein lösbares! Ich schnappe mir die Plane, ohne mich bei meinem Bruder zu entschuldigen, schneide einen Teil des Stoffes mit einem bröckligen Stück Glas aus - es ist schwer mit den blutigen Fingern, aber es funktioniert! -, und stelle die Konstruktion aus Glas auf den Teil der Plane während Mio sich wieder im restlichen Stoff einwickelt.
Mit der Flasche schöpfe ich ungenießbares Salzwasser aus dem Meer, hebe den wackligen Entwurf an und kippe das Wasser auf die Plane. Jetzt ist warten angesagt.
Währenddessen kümmere ich mich um Mio, aber ich habe keine Medizin, und wenn man ziellos im Meer herumdriftet bekommt man so schnell auch keine.
Nach einer halben Ewigkeit ist es soweit: das Wasser ist kondensiert und hat eine Salzkruste hinterlassen. Gierig, aber vorsichtig drehe ich mein Bauwerk um und kratze die Kruste von der Plane ab, ca. ein viertel Liter der wertvollen Flüssigkeit hat sich angesammelt. Ich flöße das Wasser meinem Bruder ein und trinke selbst. Es ist etwas salzig, aber trotzdem herrlich erfrischend.
Während ich meinen Kopf anhebe, um das Wasser zu genießen, sehe ich Rauch in der Ferne. „Das Rationsboot!“, rufe ich.
Und tatsächlich, in der Ferne schwimmt das neu beladene Boot. Wir sind gerettet!
Gerettet heißt in diesem Fall: wir werden noch nicht sterben. Das Leben kann unmöglich so weitergehen, es muss geändert werden. Es gibt Meer-aufräum-Aktionen, aber wird das reichen?

Am besten lassen wir es nicht so weit kommen! Es gibt Wege wie wir diese Form der Zukunft umgehen können, aber da müssen wir ALLE mithelfen!