Unser gemeinsames Morgen

Einsendung von Laura O., 21 Jahre

Ich weiß noch, wie ich damals nach der Arbeit nach Hause kam. Meine Mutter, wir lebten da noch zusammen in dem großen Haus, saß vor dem Fernseher und sah sich die Nachrichten an. Sie rief mich, ich solle mir das anschauen. Und das tat ich.
Die Menschheit hatte immer wieder mit Pandemien zu kämpfen gehabt, und Corona war die erste, die mir in Erinnerung blieb. Ich stand am Anfang meines Erwachsenenlebens. Langsam spürte ich auch, was das bedeutete. Existenzängste, Druck, Stress und Müdigkeit.
Im Fernsehen berichteten sie über die Todesopfer der Lombardei, wie viele Menschen auf grauenhafte Weise wegen eines kleinen Erregers zugrunde gegangen waren.
Was sie nicht sagten war, dass das erst der Anfang war. Seit dem 18. Jahrhundert hatten wir geraubt, versklavt und für die richtige Gewinnspanne alles Erdenkliche getan. Wir waren eine kranke Spezies auf einem kranken Planeten. Und die Jüngeren sowie die Älteren wussten das. So entstanden schon früh Bewegungen, für Menschenrechte, gegen den Klimawandel, für eine bessere Zukunft.

Der Anfang der 2020er Jahre wurde von Protesten gezeichnet. Sie waren eine laute Zeit. Eine Zeit in der Menschen aus den verschiedensten Lebenslagen zusammen kamen, um gemeinsam zu schreien, zu kämpfen. Währenddessen versprachen uns die Politiker für Gerechtigkeit, Gleichheit und eine lebenswerte Zukunft zu sorgen. Und sie versprachen und versprachen.

Ich weiß noch als die zweite Pandemie kam. Nach den Opfern Coronas und den Bemühungen wieder auf die Beine zu kommen, war sie für uns alle ein Schlag ins Gesicht. Die Wissenschaft hatte schon zuvor gewarnt. Wenn es wärmer wird, dann gedeihen die Krankheiten. Ich war müde. Die Menschen waren so müde.
Eins nach dem anderen schlossen die Länder. Schon wieder. Einer nach den anderen knickten die Politiker ein. Einer nach den anderen verloren wir unsere Jobs. Schon wieder. Und mussten wieder anfangen.

Dazu kamen noch die Katastrophen. Die Küstenregionen erodierten und wurden immer weiter von den Meeren verschlungen. Stück für Stück.
Das Wetter in Bergregionen wurde extremer. Erdrutsche und Felsstürze waren bald eine zu häufige Erscheinung. Meine Familie zog weg von den Alpen, Richtung Wien. Dort war der Sommer unerträglich und die Luft oft schwer.
Und auch hier wieder Bewegungen. Menschenmassen, die durch die Straßen zogen und schrien, kämpften und ihre Nägel entschlossen in einer besseren Zukunft vergruben. Dafür laut waren. Sich von niemanden einschüchtern ließen.

Ich schaue heute gerne auf diese Zeit zurück und erinnere mich daran. Obwohl die Lage katastrophal schien, begann es mir gut zu gehen. Freunde luden mich zu den Demonstrationen ein und gerne marschierte ich mit. Für Gerechtigkeit und Gleichheit. Für eine bessere Zukunft.

Und trotzdem. Trotzdem waren wir gefangen. Wir alle wussten es. Von den Schülern zu den Studenten. Von den Arbeitern zu den Chefs. Die Eltern und die Kinder. Wir alle wussten, dass wir ein Spiel spielten, dass uns das Gewinnen verwehrte. Wir arbeiteten und wurden doch nicht reich. Wir schrien und trafen auf taube Ohren. Wir gruben unsere Nägel in einer Illusion fest bis sie bluteten. Mit jedem Atemzug ächzten wir unter der Last. Und dann?

Dann änderten wir die Spielregeln. Menschen sind clever. Sogar die, von denen jeder denkt, sie sind verlorene Liebesmüh. Es begann mit den Kindern von überall, damals, noch vor den 20ern. Es verstärkte sich mit den Protesten der Minderheiten in den USA. Mit den politischen Wandel in Südamerika. Mit der Befreiung der Menschen in Hongkong. Die Leute auf der Straße, die Leute im Internet und die Wahrheit auf dem Tisch. Langsam deckten wir alles auf. Langsam eroberte die Breite Masse was ihr zustand. Das Recht zu Leben.
Und in der Mitte der 30er, hatten wir wieder Hoffnung. Das Ding mit den Regeln ist, dass du sie ganz ändern musst, wenn du das Spiel fair machen willst. Ironischerweise, wehrte sich Europa recht lang dagegen. Was ist, wenn wir unseren Lebensstandard verlieren? Was wenn wir die Verlierer dieses Wandels sind? Mächtige, denen das System geholfen hatte, bangten. Aber ich denke nicht, dass wir unseren Lebensstandard eingebüßt haben. Vielmehr haben wir einfach ein paar neue Dinge zugelassen.

Wenn ich heute aus dem Fenster schaue, sehe ich immer noch Menschen marschieren. Auch sie gehen für eine bessere Zukunft auf die Straße. Aber sie wirken nicht müde. Sie sind nicht verzweifelt und sie haben keine Angst. Sie gehen stolz voran, wie die Kinder um die 20er.
Ich schaue nach draußen und schmunzle. Kleine Windräder stehen auf jeder Straßenseite. Solche sind auch auf dem Dach fast jedes Gebäudes. Eine clevere Technologie, die Anfang der 30er Jahre so richtig in Fahrt kam. Sie fügen sich neben Bäumen ein und machen ein hübsches Bild, um ehrlich zu sein.

Während ich mir meinen Kaffee mache, starre ich auf die Wand des Nachbarhauses. Als es gebaut wurde, war ich verärgert. Hochmodern hatte man mir damals gesagt. Ich mag keine moderne Architektur, hatte ich erwidert. Der Lärm hat mich für zwei Jahre um sieben in der Früh aus dem Bett geschreckt. Als es dann fertig war, fand ich es aber nicht so schlecht. Neue Häuser, hatte mir einer der Arbeiter erklärt, müssen mit einer globalen Klimaverordnung konform sein.
Eine grüne Fassade, mit allerlei Pflanzen, hie und da einem Windrad für die Stromdeckung der Bewohner und ein paar Solarzellen, die sich wie ein Mosaik über die Südseite des Hauses schlängeln.

Ich setze mich zum Fenster und schaue der Menge unter mir zu. Wir haben alle Katastrophen überstanden, alle Krankheiten besiegt. Wir haben gemeinsam für eine bessere Zukunft gekämpft und wir tun es immer noch. Wir sind laut und halten in unseren Händen keine Illusion sondern unser gemeinsames Morgen.

Autorin / Autor: Laura O., 21 Jahre