Gehirn gegen Gehirn?

Warum es im Schach noch an der Gleichberechtigung hapert und es Zeit ist, das zu ändern!

Es wurde von vielen Schachmeisterinnen und Schachmeistern gesagt, dass Schach ein Spiel ist, „in dem ein Gehirn gegen das andere antritt“. Nach diesem Statement und meinen Erfahrungen als leidenschaftliche Schachspielerin kommen bei mir verschiedene Fragen im Hinblick auf die Gleichberechtigung im Schach auf: Zum einen, wieso es beim Schach überhaupt eine Geschlechtertrennung gibt, d.h. warum Frauen und Mädchen eine extra Kategorie für sich bekommen, und zweitens, woher dieser extreme Unterschied in der Spielbeteiligung liegt? Schließlich geht es um eine intellektuelle Leistung, die beim Schachspielen erbracht werden muss und keineswegs um eine körperliche.
Auf Nachfrage beim Referenten für Frauenschach des Deutschen Schachverbandes und bei der Pressestelle der FIDE, verweist Ersterer auf das niedrigere Leistungsniveau der Frauen im Gegensatz zu den Männern im Schach und dass es eine historisch gewachsene Situation sei. Die Pressestelle der FIDE ergänzt, dass man hoffe, dass die reine Frauenkategorie als Initiative fungiere, mehr Mädchen und Frauen dazu zu bringen, Schach zu spielen. Zudem sollen reine Frauenturniere mit einem Gewinn, der lediglich unter Frauen verteilt wird, ihnen helfen, vom Schach leben zu können. Sie hofften ebenfalls, dass eine höhere Beteiligung von Frauen, mehr Mädchen dazu bringe, sich ebenfalls für das Schachspielen zu interessieren, denn weibliche Vorbilder seien wichtig. Als Letzteres müsse die Schachwelt – dadurch, dass Schach vom Internationalen Olympischen Komitee als Sportart angesehen wird –, dort einige Zugeständnisse machen, um sich "anzupassen".

Die Gründe, warum es eine Frauenkategorie gibt, sind also etwas kontrovers. Zum einen, weil es historisch gewachsen ist und zum anderen, weil man erhofft, so den Einstieg und Erfolg für Mädchen und Frauen im Schach zu erleichtern.
Meiner Meinung nach ist das ein falscher Ansatz, weil die bloße Tatsache, dass es eine reine Frauenkategorie gibt, dazu verleitet, zu denken, dass es biologische Gründe dafür gibt, dass Frauen und Männer nicht gleich gut Schach spielen können und deswegen Mädchen und Frauen eine Extra-Kategorie für sich brauchen.
Den Anreiz mit Turnieren, die lediglich für weibliche Spielerinnen gedacht sind, könnte man trotzdem parallel aufrechterhalten, so wie man auch Turniere nur für Jugendliche, Senioren oder Schachveteranen veranstaltet; dazu ist eine Extra-Kategorie nicht von Nöten.

Um als weiteres herauszufinden, wieso es die erwähnten Unterschiede in den Spielstärken von Frauen und Männern gibt, wurden viele Studien durchgeführt.
Die erste Hypothese für diese Art von Studien lautet fast immer, dass der Unterschied der Spielstärken wahrscheinlich an der geringeren Beteiligung von Frauen im Schach liegt. Nun haben jüngste Studien gezeigt, wie die des spanischen Mathematikers und Forschers für künstliche Intelligenz IM José Camacho Collados oder die des niederländischen Professors für Neurowissenschaften und Psychologie an der New York University FM Wei Ji  Ma, dass diese existierende Kluft zwischen den Spielstärken beim Schach statistisch gesehen auf keinen Fall nur durch eine geringere Beteiligung von Frauen erklärt werden kann.

Die Theorie dieser Wissenschaftler (die ebenfalls Schachspieler und Titelträger sind), ist die, dass Mädchen und Frauen es im Schach mit vielen Hindernissen zu tun haben, die  Männern nicht gestellt werden, und dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gründe für die Unterschiede in den Spielstärken sind. Somit wären solche Hindernisse Gründe für die niedrige weltweite Beteiligungsrate von Frauen im Schach und gleichzeitig auch für den Unterschied, den man zwischen den Spielstärken von Frauen und Männern beobachten kann.
Das ist eine Schlussfolgerung, die uns meiner Meinung nach zu soziokulturellen Faktoren und Hintergründen bringt: Nämlich Stereotype und systemische Benachteiligungen, die weibliche Spielerinnen aufgrund ihres Geschlechts erfahren, – Umstände, die leider auch in vielen anderen Gebieten unserer Gesellschaft noch zu finden sind, – die vom Klischee "Mädchen und Frauen spielen kein Schach" gehen bis hin zu nicht sportlichen Verhaltensweisen und abfälligen Kommentare von männlichen Spielern gegenüber spielenden Frauen, von denen sie im Schach besiegt wurden.

Zum Schluss diesen Teils möchte ich sagen, dass ich es schade finde, dass in meinem Lieblingssport noch solche sexistische Benachteiligungen/Ungleichheiten herrschen und das hier in Deutschland, wo man doch meint, dass wir ein fortschrittliches und emanzipiertes Land sind. Ich würde mir wünschen, dass die Zahlen der Spielstärken, aber besonders die der Beteiligungsstatistiken sich in den nächsten Jahren sehr positiv für Mädchen und Frauen weiterentwickeln und auch die Schachwelt es schafft, ihre Ansichten der modernen Zeit anzupassen. Vielleicht könnte man auch die zuständigen Posten für Frauenschach jungen Frauen überlassen, um diese Entwicklungzu voranzutreiben.

Ich möchte auch nicht, dass sich Mädchen und Frauen von diesen "historisch bedingten" Tatsachen abgeschreckt fühlen, mit Schach anzufangen. Im Gegenteil! Der beste Moment, um der Unfairness der Geschichte etwas entgegenzusetzen, ist immer jetzt; denn Schach ist keinesfalls ein „Männersport“ (falls es so was überhaupt gibt). Es ist ein Geistessport, der meiner Meinung nach jeden willkommen heißt, der sich für ihn interessiert. Er ist etwas ganz Besonderes, denn selbst als Anfänger_in mit einem oder einer passenden Spielpartner_in kann man schnell seine ersten Siege und Erfolgsmomente feiern, man kann sich aber auch hartnäckig und motiviert bis zu der Spitze hochspielen. Ich finde es außerdem einen sehr bequemen Sport. Man kann dabei entspannt sitzen und sich lediglich aufs Denken konzentrieren, während alle anderen Sorgen und Probleme einfach wegdriften und man sie vergisst. Man kann Schach in jeder Kleidung und mit jeder Frisur spielen, an jedem Wochentag, in jeder Jahreszeit, um jeder Uhrzeit. Mit gemachten coolen Fingernägeln oder mit abgekauten, mit High Heels oder Sneakers. Das ist alles egal, es kommt nur auf den Spaß, die Begeisterung und die Hingabe an, die man für diesen Sport aufbringen kann.

Also Mädchen und Frauen (natürlich auch Jungs und Männer ;) ): Ran an das Schachbrett! 

Autorin / Autor: Tatiana Flores