Augen zu und durch?

Einsendung von Nora Großmann, 24 Jahre

Stillstand
des Alltags,
die Welt wartet,
hält den Atem an,
geduldig.

Im März 2020 kam das Hamsterrad der Weltwirtschaft zu einem abrupten Stillstand. Gesundheit wurde über Profite gestellt, Maßnahmen, die nicht unumstritten waren, schränkten den Alltag ein: Schule, Arbeit und Freizeit lagen weitestgehend auf Eis.
Nicht wenige litten unter dem Verlust sozialer Kontakte, Existenzängsten oder Angst vor dem Virus selbst. Doch so grau der Lockdown auch war, wollte ich einen Funken Hoffnung darin erkennen: Es ist möglich! Wir können kurzfristigen wirtschaftlichen Verlust in Kauf nehmen, um eine Katastrophe zu verhindern.

Die Pandemie hat uns unvorbereitet getroffen. Es mangelte an nötiger Ausrüstung und nötigem Personal. In Deutschland mangelte es den meisten zum Glück nur an Klopapier. Andere Länder hat es schwerer getroffen: Während wir uns um die letzte Konservendose im Supermarkt stritten, war anderenorts das Gesundheitssystem längst überlastet. Mit einem Mal wurde uns vor Augen geführt, dass selbst Europa nicht unverwundbar ist und dass unser sicherer Alltag und unsere Bewegungsfreiheit, die wir für selbstverständlich gehalten hatten, von heute auf morgen wegbrechen können.

Stellt euch vor, eine Krise wäre vorhersehbar, was würde ein Mensch mit Verstand tun? Richtig, er würde die Augen verschließen und weitermachen wie bisher. Schweinegrippe, EHEC, Ebola und viele davor – Covid 19 war nicht der erste neuartige Krankheitserreger, lediglich der aktuelle und möglicherweise der erste,  der dem modernen Europa im Gedächtnis bleiben wird. Trotz früherer Epidemien waren wir „unvorbereitet“. Dabei hatte die WHO längst vor einer Pandemie gewarnt. Auch die Klimakrise ist altbekannt und doch steigen weltweit die Emissionen. Die Setzung und Umsetzung von Klimazielen sind ein zäher Prozess. Kurzfristige Kosten, Erhaltung von Arbeitsplätzen, internationale Wettbewerbsfähigkeit, Lobbyarbeit – die Liste der Argumente, die einem politischen Durchgreifen im Weg stehen, ist lang. Zwar wäre es auf absehbare Zeit profitabler, auf umweltschonende Technologien umzusteigen, doch die wahren Kosten unserer Untätigkeit tragen ärmere Länder und spätere Generationen in Form von extremen Wetterbedingungen, Umweltkatastrophen und Artensterben. 
Wenigstens haben wir aus der Pandemie gelernt: Heute wissen wir, welche Berufe systemrelevant sind. Wir wissen, dass Gesundheit nicht gegen Kontostände aufzuwiegen ist. Wir wurden daran erinnert, dass wir nicht unverwundbar sind. Wir haben den Begriff ‚soziale Verantwortung‘ in unseren Wortschatz aufgenommen. Wir nehmen Rücksicht auf die Risikogruppe.

Aber was machen wir mit unserem neuerlangten Wissen? Nein, wir haben die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte und Angestellte der Grundversorgung nicht verbessert. Nein, wir haben nicht aufgehört, Tiere auf engem Raum zusammenzupferchen und ihnen großflächig Antibiotika zu verabreichen. Nein, wir haben nicht aufgehört, Wälder zu roden und Lebensräume zu zerstören. Mir scheint, wir lernen weder aus Fehlern noch aus den Warnungen der Wissenschaftler. Pandemien sind Folge der Umweltzerstörung, die ersten, die wir in Europa deutlicher zu spüren bekommen, und sicher nicht die letzten. Waldbrände, Dürren, Hurrikane  - auch hier gilt: Andere hat es schwerer getroffen und auch in Zukunft wird es andere schwerer treffen als uns. In Deutschland sind wir bisher glimpflich davon gekommen. Warum sollten wir also etwas ändern? Die Warnungen der Natur veranlassen uns nicht, vorausschauend zu handeln. Wir reagieren nur auf die jeweils gegenwärtige Situation. Wer spricht heute noch über die Waldbrände in Australien? Aus den Augen, aus dem Sinn, genau wie andere Naturkatastrophen zuvor. Wie also sollen wir abstrahieren und Gelerntes der einen Krise auf eine noch komplexere wie den Klimawandel anwenden, wenn wir zu kurzsichtig sind, um die Zusammenhänge zu erkennen?

Bleibt noch die soziale Verantwortung. Was ist aus ihr geworden? Sie hört an den Landesgrenzen auf. Sie reicht nicht in Gebiete, die stärker von der Pandemie betroffen sind, und nicht nach Moria, wo Abstand und Hygiene kaum möglich sind. Sie reicht nicht in Gegenden, in denen der Klimawandel bereits heute deutlich zu spüren ist. Wie soll sie dann spätere Generationen erreichen, die nach uns auf dieser Erde leben wollen?
Diese düsteren Aussichten treiben die Menschen auf der ganzen Welt auf die Straßen. Dies zeigt, dass sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. Mit ihren Protesten fordern Kinder und Jugendliche die Politik und jeden Einzelnen auf, Verantwortung zu übernehmen. Ich will mich ihnen anschließen und fordere, dass wir die Lehren der Krise beherzigen. Ich fordere soziale Verantwortung gegenüber der Jugend, gegenüber denen, die noch nicht geboren sind, gegenüber der Risikogruppe des Klimawandels weltweit. Ich fordere: Augen auf und Weitsicht!

Autorin / Autor: Nora Großmann, 24 Jahre