Sinnerfüllung gegen Corona-Stress

Forscher_innen gingen der Frage nach, wie Menschen bisher mit dem Covid-Stress umgingen

Neben vielen anderen hat die Corona-Krise auch für viele Menschen massive psychische Folgen. Aber was hilft Menschen, gut durch diese Zeit zu kommen, besonders jetzt, wo Deutschland wieder in einem Teil-Lockdown ist? Die Sinnforscherin Tatjana Schnell von der Uni Innsbruck und der Psychologe Henning Krampe von der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben dazu eine Studie mit mehr als 1500 Menschen durchgeführt. Zwischen dem 10. April und dem 28. Mai befragten sie insgesamt 1538 deutschsprachige Personen vor allem aus Österreich und Deutschland online zu ihren Lebensbedingungen, ihrer Wahrnehmung der Pandemie-Situation (COVID-19-Stress) und zu verschiedenen Merkmalen der seelischen Gesundheit. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf die Themen Sinnerfüllung und Selbstkontrolle. „Wir haben uns in dieser Studie angesehen, welchen Einfluss der Faktor Lebenssinn für die Menschen in der Zeit der restriktiven Lockdowns und danach hatte. Konnten Menschen, die einen starken Sinn in ihrem Leben gefunden haben, besser mit der Situation umgehen?“, sagt Tatjana Schnell. „Unser zweiter Fokus lag auf der Selbstkontrolle, das heißt auf der Frage, wie gut die Menschen in der Lage waren, ihre Bedürfnisse einzuschränken und an die Ausnahmesituation anzupassen“, so Schnell. Dabei stellten die Forscher_innen fest: ältere Menschen hatten offenbar deutlich weniger mit negativen psychischen Konsequenzen zu kämpfen hatten als jüngere Personen. Der Grund: „Das Sinnerleben steigt mit dem Alter an; ältere Menschen sind oft besser in der Lage, Metaperspektiven einzunehmen und profitieren somit auch in ihrer psychischen Stabilität stärker von ihrer Lebenserfahrung“, so die Forscher_innen.

*Werte während Lockdown besser als danach*
Ein weiteres Ergebnis der Studie überrascht auch: zwar war die allgemeine psychische Belastung während der ersten Monate der Pandemie deutlich erhöht, aber "Menschen, die in ihrem Leben einen starken Sinn sahen, berichteten insgesamt von einer weniger starken psychischen Belastung. Auch die Fähigkeit der Selbstkontrolle (...) war dem psychischen Befinden zuträglich. Beide, Sinnerfüllung und Selbstkontrolle, wirkten als eine Art Puffer: sie schwächten den Zusammenhang zwischen COVID-19-Stress und psychischer Belastung ab“, erläutert Schnell.

Interessant war für die Wissenschaftler_innen dabei auch der Verlauf über mehrere Monate gesehen: „Die Probleme waren während des strikten Lockdowns offenbar weniger schlimm als danach. Die Einführung der Lockerungen hat dann nicht zu einer Verbesserung der psychischen Situation geführt – sondern im Gegenteil.“ Warum das so ist, können auch Schnell und Krampe nur vermuten. Eine Sorgenquelle sei sicher die finanzielle Situation. Aber es zeige sich in der Studie, dass auch ein möglicher Zusammenhang mit der Eindeutigkeit der Situation besteht. "Während der strengen Ausgangsbeschränkungen war die Lage für alle klar. Es gab eindeutige Vorgaben und alle waren sozusagen im gleichen Boot. Diese ‚Wir packen das’-Stimmung hat sich für viele Menschen wohl eher positiv ausgewirkt.“ In den Wochen nach den Lockerungen der strikten Ausgangsbeschränkungen registrierten Schnell und Krampe sowohl zunehmende Sinnkrisen und schwerere psychische Belastungen als auch gesunkenes Sinnerleben und Defizite in der Selbstkontrolle. „Wir gehen davon aus, dass die Selbstkontrolle bereits kurz nach dem Lockdown – aber inzwischen auch gesamtgesellschaftlich gut beobachtbar – deshalb abgenommen hat, weil die Sinnhaftigkeit der Restriktionen weniger deutlich nachvollziehbar ist: In Österreich und Deutschland haben die Maßnahmen so gut funktioniert, dass die Situation (noch) nicht eskaliert ist, was dazu verführt, die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen in Frage zu stellen – das sogenannte Präventionsparadox. Hinzu kommt, dass in den letzten Monaten die Kommunikation durch die Behörden weniger deutlich und nachvollziehbar war. Wenn die Sinnhaftigkeit aber nicht erkennbar ist, ist es für viele Menschen schwer, Selbsteinschränkungen auf Dauer aufrecht zu erhalten“, verdeutlicht Tatjana Schnell.

*Mehr Beteiligung*
Deshalb appellieren Schnell und Krampe an die Verantwortlichen in der Politik, partizipativ zu agieren und verschiedene Perspektiven einzubeziehen: Medizin und Wirtschaft, aber auch Sozial- und Geisteswissenschaften. Darüber hinaus bedeute demokratische Beteiligung auch die aktive Einbindung von Minderheiten und wesentlicher Interessensgruppen. Wenn dies gelinge, dann habe Selbstkontrolle weniger mit Gehorsam oder Widerstand zu tun, sondern sei ein mögliches Ergebnis einer informierten persönlichen Entscheidung.

Erste Ergebnisse dieser Untersuchung wurden im Journal „Frontiers in Psychiatry“ veröffentlicht.

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Autorin / Autor: Redaktion/ Pressemitteilung