Das Pflänzchen

Einsendung von Henrike Saß, 23 Jahre

Ich drückte leicht gegen die gläserne Wand und sofort kam mir ein Schwall Hitze entgegen. Zum Glück hatte ich mir angewöhnt Handschuhe zu tragen, ansonsten wäre noch eine weitere Brandnarbe auf meiner Haut dazu gekommen. Ein leichter Windstoß in meinem Rücken dankte mir, dass ich vorbeigekommen war, und ich schloss die Tür des gläsernen Gewächshauses schnell hinter mir, bevor zu viel Hitze hineingelangte.
Stolz blickte ich auf den überwiegend grünen Ausblick, der sich mir bot. Ein Ausblick, der sich so sehr von anderen Teilen des Landes unterschied. Wo sonst ausgedörrte Erde und trockene Sträucher waren, befanden sich hier satte grüne Büsche, bunte Blumen und Gemüsepflanzen. Selbst die kleinen, einzelnen Rasenflächen vergrößerten sich stetig.
Dieser Anblick war nicht selbstverständlich. Zu lange wurden Zeichen ignoriert, die jedem bereits ins Gesicht gesprungen waren. Konsum, Egoismus und Unaufgeklärtheit hatten dazu geführt, dass die Welt kollabiert war.
Die Umwelt hatte viel zu lange wie ein Gerüst an der Erde gehangen – nur noch mit einer einzelnen Schraube befestigt. Es hatten sich immer mehr Menschen auf dieses kleine Gestell gequetscht und viel zu wenige nach weiteren Schrauben gesucht. Kein Wunder, dass das Gerüst irgendwann eingebrochen war.
Es wurde heißer. Jeden Sommer wurden neue Rekorde aufgestellt.
Die höchsten Temperaturen seit der Wetteraufzeichnung.
Was anfangs noch aufregend klang, da mit einem Rekord nun mal etwas Bahnbrechendes, Besonderes oder gar Ausgezeichnetes suggeriert wurde, wies sich als das komplette Gegenteil aus. Es war nicht der schnellste Sprint oder weiteste Sprung.
Erst als der Blick darauf fiel, dass der Rekord Jahr um Jahr gebrochen wurde, erkannte man den Trend. Es hatte sich um keinen Auszeichnung gehandelt, welches Jahr das Beste war. Es war ein Wettlauf mit der Zeit und die unausweichliche Ziellinie markierte den Kollaps.
Aber nicht nur die Sommer wurden heißer. Das ganze Klima hatte sich verändert und die Erde erhitzt. Ein Planet, auf dem ein Leben ohne Weiteres nicht mehr möglich war.

Jegliche Versuche der Weltregierungen kamen zu spät. Einige Ideen hatten irrationale Ausmaße (auf Flugverbote wurde mit Privatjets reagiert) andere waren einfach viel zu spät (Bahnfahren für einen Spottpreis). Allerdings hatten sich einige Innovationen im Nachhinein als durchaus nützlich erwiesen.
Wenige Jahre vor dem „Brand“, wie man heute den Zeitpunkt nannte, an dem die Erde kollabiert war, war ein neues Produkt auf den Markt gekommen.
Verkauft als die „Hauspflanze“ hatten Wissenschaftler Pflanzen mit Genmaterialien von Haustieren gekreuzt und somit eine neue Spezies erschaffen. Eine Pflanze, die atmete und sich autonom bewegen konnte. Obwohl die Hauspflanze gar nicht sehen konnte, hatte sie Ausprägungen im Gesichtsbereich, die die Augen markieren sollten. Hingegen hatte sie einen ausgeprägten Geruchssinn, der wiederum nicht in der modellierten Nase auffindbar war, sondern sich in der Zellstruktur befand.
Die Hauspflanzen bezweckten zweierlei. Zum einen sollte das Thema Umweltschutz in der Gesellschaft noch weiter sensibilisiert werden. Außerdem hatten sich die Erfinder erhofft, dass eine emotionale Verbindung zu der Hauspflanze entsteht, sodass die Umwelt mehr wertgeschätzt wird.
In der Praxis wurde die Konsumbereitschaft der Menschen nur noch weiter ausgeprägt und eine emotionale Bindung schlug ebenfalls fehl. Zwar wurden die Hauspflanzen als „süß“ angesehen, sie hatten aber letztlich ähnlichen Effekt wie die Haustiere. Aus dem Umstand, dass der Mensch ein Haustier besaß, konnte nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass er auch weniger Fleisch aß. Dies hing vor allem damit zusammen, dass der Hauptteil der Menschen zu diesem Zeitpunkt nicht die klassischen Haustiere (wie etwa Hund, Katze, Maus) konsumierten, sondern eben Nutztiere.
Gleiches ereilte auch die Hauspflanzen. Diese führten im Großteil ebenfalls nicht dazu, dass der Mensch mehr auf seine Umwelt achtete. Dabei war die verhängte Pflanzensteuer, die, ähnlich wie die Hundesteuer, mit dem Besitz einer Hauspflanze einherging und dem Umweltschutz zugute kommen sollte, ebenfalls nicht erfolgsversprechend.

So sehr die Hauspflanzen damals in der Kritik standen, desto mehr sind sie jetzt die Aussicht auf ein lebenswertes Leben. Heute hat sich die Hauspflanze durch Mutation zum sog. „Pflänzchen“ entwickelt. Noch immer besitzt es die Möglichkeit, sich eigenständig zu bewegen und zu atmen. Dazu hat es sich von einer Hauspflanze zu einem eigenständigen Organismus gewandelt, der darauf gepolt ist, umwelteffizient zu wirtschaften. Die Pflänzchen bauen eigenständig Ressourcen an und entwickelten ein Prozedere, um die Luft zu reinigen. Dabei filtern luftreinigende Pflänzchen, wie zum Beispiel der Mohn, besonders verschmutzte Orte.

Ich blickte nun also über das bunte Areal vor mir. Vom Weitem könnte man denken, dass es sich nur um eine blühende Wiese handelt. Trat man aber näher, erkannte man die Bewegungen, der vielen Pflänzchen, die wild durcheinander wuselten. Es war ein buntes Treiben, bei dem jeder seine Aufgabe zu haben schien. Sie verständigten sich durch den Wind, indem sie ihre Blätter entsprechend ausrichteten und der Gegenüber den abgewandelten Lufthauch spürte.
So praktisch und effizient die Pflänzchen doch waren, hatten aber noch immer einige Menschen Angst vor ihnen. Sie erkannten nicht, dass die Pflänzchen die Zukunft des Planeten waren, sondern sahen sich in ihrer überlegenen Stellung gefährdet.
Für die Zukunft konnte nur gehofft werden, dass auch der Rest erkannten, dass die Pflänzchen eine Möglichkeit boten, den Planeten nachhaltig wieder aufzubauen. Eine Möglichkeit, die nur nebeneinander erfolgen kann. Nur mit den Erfindungen der Menschen, wie zum Beispiel den Gewächshäusern, war es den Pflänzchen möglich sich fortzupflanzen.
Wir müssen das Streben der Pflänzchen unterstützen, damit wir nebeneinander leben können. Organismen, die sich ergänzen.

Autorin / Autor: Henrike Saß, 23 Jahre