Der Protest

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Fiona Ellen, 16 Jahre

„Wenn wir das durchziehen, kann uns keiner mehr im Weg stehen.“ Paulas Blick durchdrang beinahe meine Skepsis. „Nicht einmal Thomas.“ Sie lachte laut auf. So hatte sie seit Monaten nicht mehr gelacht.

Der Klang weckte in mir lang zurückliegende Erinnerungen. Paula und ich auf einer Parkbank, während sie sich fluchend ein Bündel Eiswürfel auf ihr bläulich geschwollenes Auge drückte. Trotz der Schmerzen oder vielleicht auch gerade deswegen. Es war damals nicht der erste Vorfall dieser Art gewesen. Verlassen hatte sie ihn dennoch nicht. Ihr Lachen hatte mich damals überrascht, so laut und befreit. Die Blicke der verwunderten Passanten hatten mich ebenfalls in unkontrolliertes Gelächter ausbrechen lassen.

Als ich Paula wieder auf dieselbe Art lachen hörte, begrub der Klang all meine Zweifel wie eine Welle, die zerbrochene Teile eines Schiffwracks hinfortspült. Die schwüle Sommerluft wurde von ernergischen Hupgeräuschen durchbrochen. Als wir uns beide in die Richtung der Störquelle wandten, kam Svens dunkelblauer Ford Taunus gerade zu einem quietschenden Halt. Er ließ seinen Wagen am Straßenrand stehen und joggte zu uns herüber. Seine Stirn glänzte vor Schweiß und die Flugblätter in seiner Hand drohten ihm wegzurutschen. Beinahe wäre er mit der Kellnerin zusammengestoßen, die gerade unsere Kaffeetassen einsammelte. „Verdammt, tut mir leid.“ Es war unklar, ob er sich bei uns oder der Kellnerin entschuldigen wollte. Diese hatte sich bereits mit verärgerter Miene mit ihrem Tablett abgewandt. Sven war spät dran. Er ließ die Flugblätter vor uns auf den Tisch fallen. „Hier ist der Rest, alle anderen sind über die letzte Woche verteilt worden.“ Er setzte sich auf den freien Platz neben mir und legte mir den Arm um die Schultern. Stille kehrte zwischen uns ein. Ich lehnte mich an Sven an. Seine Angespanntheit, die er zu verbergen versuchte, entging mir nicht. Als ich Paulas Blick begegnete, lächelten wir uns kurz an. Trotz der angespannten Lage, waren wir immer noch überzeugt davon, heute Nachmittag ein kleines Stück Geschichte mitschreiben zu können.

Was sich als anfänglicher Gedanke während unzähliger Gespräche zwischen mir und Paula entwickelt hatte, war über das vergangene Jahr zu etwas unvorstellbar Großem geworden. Oder zumindest war es uns damals als unvorstellbar erschienen. Nachdem die Eiswürfel für Paulas Auge zu kleinen Klümpchen geschmolzen waren und unser gemeinsames Lachen zu vereinzelten Tränen abgeebbt war, hatten wir uns allmählich wieder gesammelt. Was würde passieren, wenn man die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen könnte? Würde das etwas an der bestehenden Ungleichheit zwischen Männern und Frauen ändern? Von dem Tag an hatten wir begonnen, eine Gruppe zu mobilisieren. Inzwischen waren auch Männer wie Sven beigetreten und die Anzahl an protestbereiten Leuten war stetig gewachsen. Wir trafen uns mindestens einmal im Monat, mittlerweile sogar in kleineren Untergruppen, um nicht schon vorher Aufsehen zu erregen. Es sollte eine unerwartete Konfrontation geben. Wir hatten über die letzten Wochen unseren Mitgliedern über deutlich betont, dass die Bewegung stets frei von Gewalt bleiben müsse.

Auf einmal versteifte sich Paulas Körperhaltung. Hektisch bedeutete sie uns, uns umzudrehen. Ich hob meinen Kopf von Svens Schulter und drehte mich um. Rollkragenpullover im Sommer, zu viel Pomade in den hellen Haaren und ein ärgerlich verkniffener Mund. Thomas überquerte mit schnellen Schritten die Strasse, achtete nicht auf den Gegenverkehr. Sven sprang auf und stellte sich zwischen ihn und Paula. „Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du dich nicht mit denen abgeben sollst, verdammt nochmal?!“ Thomas machte vor Sven widerwillig halt. Paulas vorheriger Optimismus schien verflogen. Sie murmelte etwas entschuldigendes. Angewidert griff Thomas nach einer Strähne von Svens deutlich längeren Haaren. Sven schlug den Arm gleich beiseite und stieß Thomas nach vorne. Als Thomas auf Sven einschlagen wollte, wich dieser zurück und warf mir seinen Autoschlüssel für den Ford zu. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Augenblick. Damit war alles gesagt. Sven stürtzte sich auf Thomas und hielt ihn von Paula ab, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Ich zog sie sanft am Arm und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zur Demonstration. Als wir eintrafen, streckte sich uns ein Meer von Schildern und Bannern entgegen, rote Parolen auf weißem Untergrund. Langsam setzte sich die Menge in Bewegung. Es wurde Zeit.

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Autorin / Autor: Fiona Ellen, 16 Jahre