Geisteszustandswechsel

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Julia S., 19 Jahre

Es ist Sommer. Meine Zeugnisse wurden schon immer kritisch von meinen Klassenkameraden beäugt. Dieses Mal lag es daran, dass ich eine bessere Note als Max in Informatik hatte und das könne ja nur so sein, weil ich eines von 4 Mädchen bei 30 Jungs in der Klasse sei. Der Lehrer steht auf dich. Das liegt nur daran dass du große Titten hast. Das ist alles. Ich schreie innerlich, denn das ist nicht alles. Das darf nicht alles sein. Ich bin intelligent sage ich mir. Ich habe wirklich gerne viel Zeit mit dem Lernen verbracht. Oder haben sie Recht? Werde ich nicht nur von ihnen wie ein Stück Fleisch betrachtet?
Es ist Herbst. Was ich erreiche, sei nichts wert, erklärt man mir. Das liegt nur an deinem gutem Aussehen und jetzt bin ich dazu verdammt nie zu wissen, ob meine Leistungen wahrhaftig etwas wert sind? Warum achten sie mehr auf mein Hülle, als auf das was ich sage, frage ich mich. Und da beginne ich zu schreiben, nein zu schreien und ich schreie auf Papier wie aussichtslos meine Lage mir erscheint. Denn ich weiß nicht, wer ich bin. Ein Genie oder eine Blondine?
Es ist Winter. Noch nie hat mir ein Mann gesagt, ich sei intelligent. Nein, ich war schon immer nur schön. Intelligent wäre ja ein Adjektiv für Männer. Schön passe da ja schon viel eher, denn schön ist ein schönes und oberflächliches Wort.
Ich bin schön. Schön intelligent. Ich verstehe, das darf mir keiner mehr nehmen. Ich bin ein Genie, sage ich mir, immer und immer wieder. Denn ich bin es. Ich bin clever. Ich bin weiblich und weiblich, das ist schön, aber weiblich, das ist vor allem stark. Anders könnten Frauen in so einer Welt auch nicht überleben.
Es ist Frühling. Ich brauche mich nicht zu verstecken, sage ich mir. Ich bin ich und male, schreibe und schneidere gerne. Alles Weiber Dinge. Etwas Vernünftiges kriegst du überhaupt nicht hin. Nun habe ich Angst mich zu zeigen, weil man mich dann abstempeln könnte. Ständig. Ich habe Angst, dass eines Tages meine kleine Schwester aufwachen wird, dass es dann Sommer, Herbst, Winter ist. Denn sie ist ein besseres Leben wert. Alle meine unbekannten Schwestern sind ein besseres Leben wert. Ganz gleich welche Haut- Haar- und Augenfarbe sie haben mögen.
Es ist Sommer. Meine blauen Augen und blonden Haare sehen so unschuldig aus. Man sieht mir den inneren Krieg nicht an. Ich lächle nun nicht mehr, auch nicht wenn die Leute mir sagen, ich sollte glücklich sein. Deine Schönheit ist ein Privileg. Es stimmt. Ich bin privilegiert, denn ich habe genug gelernt, um zu begreifen, wie schrecklich degradiert ich in meinem Leben behandelt werde.

Ich bin intelligent, schön, feminin und ich bin eine Frau. Kurze Röcke gefallen mir sehr gut und ich mag, wie sich Schmuck um meine Handgelenke und um meinen Hals windet. Meine Uniform im Kampf ist jetzt wieder selbst gewählt. Ich will mich nicht mehr verstecken müssen. Die Ketten, die ich trage, engen mich nicht ein, sie sind eine Auszeichnung für mich. Ja, ich bin auch emotional und das ist gut so. Das ist nicht mein Geschlecht, das ist mein Charakter. Und solange ich stehen kann, das verspreche ich nun der Welt und mir selber mit diesen schwarzen Buchstaben auf Papier, werde ich immer für mich kämpfen, werde ich immer für meine Schwestern kämpfen.






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Autorin / Autor: Julia S., 19 Jahre