Homeless words

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Ida, 15 Jahre

Der alte Glockenturm in der Mitte des Marktplatzes schlug gerade zum elften Mal, als man durch ein leises Knirschen in der dunklen Nacht auf einen jungen Mann hätte aufmerksam werden können. Der Mann mit den braun gelockten Haaren hatte seine rechte Hand in dem dicken, schwarzen Wintermantel einer teuren Modemarke vergraben, während die linke eine halbleere Flasche trug. Auch wenn es eigentlich unter seiner Würde lag, hatte sich der nachdenkliche Mann dazu entschieden, den billigen Wodka von dem kleinen Kiosk am Ende der Einkaufsstraße zu kaufen und nicht seinen wertvollen Champagner zu trinken, den er zu Hause in seinem Wohnzimmer stehen hatte. Die letzten Tage hatte es so sehr geschneit, dass die Schuhe des Mannes nicht mehr sonderlich trocken waren. Nächstes Mal würde er wieder seine Stiefel anziehen, beschloss er, aber die Halbschuhe aus Krokodilleder hatten heute Abend ihren Zweck erfüllt, und jeder auf der kurzen Weihnachtsfeier seiner Firma hatte ihm dafür bewundernde Blicke zugeworfen.

Es hatte ihm außerordentliche Genugtuung verschafft, weshalb er über den geschmolzenen Schnee in seinem Schuhwerk hinwegsehen konnte. Eine kalte Windböe erwischte den schwarzgekleideten Mann, welcher daraufhin den kostspieligen Mantel enger um sich schlang und dabei die Glasflasche fallen ließ, die klirrend auf dem Boden aufprallte und ihren Inhalt im Schnee versickern ließ. Schulterzuckend lief der Braunhaarige desinteressiert weiter, während er sich einfach nur auf seine Penthouse-Wohnung freute, mit flackerndem Kamin und einigen hochpreisigen Champagnerflaschen. Immerhin war heute der 24. Dezember, den der junge Mann - wie beinahe jedes Jahr - alleine in seiner teuren Wohnung verbringen würde. Aber ein besseres Weihnachten konnte er sich gar nicht vorstellen, immerhin hatte er sich von seiner Haushälterin ein Vier-Gänge Menü kochen lassen und sein Vater hatte ihm bestimmt schon den neuen, schicken Sportwagen in seine Garage stellen lassen, mit dem er schon eine ganze Weile liebäugelte.

Die durchsichtige Flüssigkeit, die er ein paar Minuten zuvor genossen hatte, begann ihren Zweck zu erfüllen und seine Gedanken zu trüben. Trotz allem bekam er ein leises Lachen aus einer dunklen Lücke zwischen zwei Häusern mit, welche nur spärlich durch eine kleine Außenbeleuchtung der Läden erhellt wurde. Zum Bedauern des jungen Mannes führte kein Weg an den zwei Obdachlosen vorbei, welche seine grauen Augen bei genauerem Hinsehen entdeckt hatten. Er fand solche Personen schon immer schrecklich, waren sie doch nicht dazu fähig, ein würdiges Leben zu führen. In seinen Augen trugen sie dazu bei, den rechtschaffenen Bürgern den Anblick dieses schönen Marktes zu trüben. Manche von ihnen hatten zudem noch diese unverschämte Art, mit ihren kleinen Hunden arme, jüngere Kinder auszubeuten, die Mitleid mit den Tieren dieser Leute hatten. Kopfschüttelnd und mit einem verächtlichen Ausdruck im Blick lief der Brünette schließlich an einem hübschen, blonden Mädchen und einem etwas älter aussehenden Jungen vorbei, wobei er kurz erstarrte. Ihm kam das Mädchen nur allzu bekannt vor. Soweit er sich erinnern konnte, war sie die Tochter eines wichtigen Geschäftspartners seines Vaters, dessen Firmen weltweit bekannt waren. Es machte das Gerücht seine Runde, sie sei mit einem einfachen Bürger aus einem der schlechteren Viertel der Stadt liiert und schließlich von ihrem Zuhause weggelaufen. Traurig, wie man nur so tief sinken und sein Leben einfach so wegwerfen konnte, um dann Weihnachten derart erbärmlich zu verbringen! Die letzten Gedanken des jungen Mannes allerdings schienen ohne Bewusstsein seinen Lippen entflohen zu sein, denn gleich darauf wandte sich tatsächlich die helle Stimme des jungen Mädchens an ihn.

„Auch wenn es nicht so scheint, ist es noch lange nicht so traurig wie das Leben, das ich einst geführt habe. Zu oft habe ich mich verstellen müssen, wurde so geformt wie es gerade brauchbar war, immer schön lächeln. Weihnachten immer schön ein Familienfoto machen, sodass man dann auf der nächsten Weihnachtsfeier zeigen kann, was für eine perfekte Familie dies doch sei. Ich verbringe mein Weihnachten vielleicht auf der Straße, aber es ist das beste Fest, das ich je erlebt habe. Ich bin bei dem Menschen, den ich liebe, kann in die funkelnden Sterne der Nacht blicken und zum allerersten Mal erfahren, dass Weihnachten kein Fest der teuersten Geschenke ist, sondern ein Fest der Liebe, der Familie, wozu man keine feudalen Fünf-Gänge-Menüs braucht. Es ist die Zeit, in der man bei seiner Familie sein sollte, um die gemeinsame Zeit zu genießen. Kinderlachen soll durch das Haus zu hören sein, Weihnachtslieder sollen im Radio gespielt werden. Das Licht der Kerzen soll sich in funkelnden Augen spiegeln."
Ergriffen hörte der Mann stumm zu. Seine Gedanken glitten zu dem Champagner, zu dem teuren Kaviar auf seinem Wohnzimmertisch und dem neuesten Sportwagen in seiner Garage, schließlich zu seiner Haushälterin, die zu Hause auf ihn warten und ihm schließlich alles servieren würde.
„Kommt mit zu mir nach Hause, … wenn ihr wollt."

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