Dabei sind wir in einem Interesse doch alle gleich

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Paula N., 14 Jahre

Frustriert lässt Sarah sich neben Tilo auf die Ersatzbank fallen und sieht ihren so genannten Mitspielern dabei zu, wie sie nach der Pause mit der gegnerischen Mannschaft und dem Schiedsrichter auf den Platz laufen.
Der Trainer hat sie schon wieder nicht eingewechselt. Das ist bereits das sechste Spiel in dieser Saison, aber Sarah hat jedes auf der Bank verbracht. Zwar spielt sie erst seit Beginn des neuen Schuljahres für diesen Verein, aber der Grund für ihren Platz auf der Ersatzbank ist ein anderer. Sarah ist ein Mädchen, das in einer bisher reinen Jungen Mannschaft mitspielen möchte. Bisher hat sie nur in einer einfachen Dorfmannschaft gespielt, aber das, und der Fakt, dass sie ein Mädchen ist, sagt doch nichts über ihr Talent aus.
Früher war sie jeden Sonntag in der Startelf aufgestellt worden, hier darf sie nur die Ersatzbank warm halten. „Mädchen können kein Fußball spielen“, „Mädchen lassen wir hier nicht mit spielen,“ haben die Jungen gesagt. Aber warum? Wer hat das festgelegt? Das kann man doch gar nicht festlegen. Sollte man nicht. Das Geschlecht spielt keine Rolle, lediglich das Talent. Das hat Sarahs Opa mal zu ihr gesagt. Und damit hat er recht, so sollte es sein. Das hat sie den Jungen auch gesagt, und trotzdem lassen sie sie nicht mitspielen. Dabei ist Sarah eine wirklich gute Spielerin; sie ist schnell, geschickt, hat einen festen Schuss und vor allem Ahnung von Taktik. „Kopf und Körper,“ hat ihr Trainer immer gesagt, „das braucht ein guter Spieler.“ Sarah hat Kopf und Körper, sie weiß, was sie wann zu tun hat und wie sie sich durchsetzen kann. Aber hier interessiert das niemanden. Hier reicht, dass sie ein Mädchen ist und obendrauf auch noch aus einer popeligen Dorfmannschaft kommt, als Grund, sie auf der Ersatzbank sitzen zu lassen. Dabei sind die anderen doch alle auch ganz unterschiedlich. Keine zwei sind gleich.
Da ist Torben, der eigentlich nur im Tor steht, weil er es fast gänzlich ausfüllt und auf dem Platz wegen fehlender Kondition zu nichts nütze ist. Benny stottert bei jedem Wort. Jonathan ist zweimal sitzen geblieben und deshalb zwei Klassen unter den anderen. Dawood aus Syrien, keiner versteht ein Wort, das er ruft, aber er spielt sehr gut. Timo kann eigentlich gar kein Fußball spielen, er darf es nur, weil sein Vater den Trainer besticht, wie jeder weiß. Tilo, Timos Zwilling hat seinen Platz auch auf der Ersatzbank, aber ihn stört es nicht, weil jeder ihn mag. Er ist der einzige hier, der wenigstens ab und an mal ein paar nette Worte mit mir wechselt. Dann ist da noch Leon, der zwar schnell ist, aber gar kein Ballgefühl hat. Er spielt Mitte Mitte und Sarah ist sich sicher, dass es ein leichtes wäre, ihn zu ersetzen, es besser zu machen als er. Und schließlich Lukas, der Nummer eins Stürmer und Spielmacher. Ohne ihn läuft auf dem Platz nichts und darauf ist er sehr stolz. Er prahlt gerne damit. Lukas ist der einzige, der besser spielt als Sarah. Aber sie könnte genauso gut spielen, bekäme sie nur eine Chance, ihr Talent auszubauen. Aber nein, selbst der Trainer ist der Meinung, dass Mädchen nicht auf den Fußballplatz gehören. Dabei sind wir in einem Interesse doch alle gleich; wir wollen alle Fußball spielen und wir alle können das! Mehr oder weniger zumindest. Und Sarah kann es auch.

Das Spiel läuft, im Gegensatz zu den bisherigen, recht gut. Die Jungen blocken viele Angriffe ab und schießen sogar ein paar Mal aufs Tor. Trotzdem steht es kurz vor Schluss noch 0:0. Aber dann brecht Lukas plötzlich nach vorne, ein Doppelpass mit Benny und schon steht er alleine im gegnerischen Strafraum. Gerade holt er aus um abzuschließen, als ein Verteidiger ihm von hinten in den Lauf grätscht, um ihm die Beine weg zieht. Lukas stürzt und schlägt mit dem Kopf auf den Boden. Die wenigen Zuschauer hinter Sarah schreien auf und es wird unruhig, als der Schiedsrichter das Spiel unterbricht um den Trainer auf den Platz zu rufen. Schnell ist klar, dass Lukas nicht mehr spielen kann. Er kann nicht mehr auftreten und hat Nasenbluten. Als er vom Platz runter gehumpelt ist, sieht der Trainer in Richtung Ersatzbank. Sarah beginnt auf ihrem Sitz herum zurutschen, wird sie jetzt endlich spielen dürfen? Wird sie jetzt endlich zeigen können, dass sie es genauso drauf hat wie die Jungs? Aber ohne groß nachzudenken, deutet der Trainer auf Tilo.

Ehrlich? Das kann er doch nicht machen! Tilo ist die reinste Null auf dem Platz. Der weiß doch die meiste Zeit nicht, ob der rechte oder linke Fuß sein starker ist. Aber zu meiner Verwunderung bleibt er neben mir sitzen und schüttelt den Kopf. „Sarah sollte spielen, sie ist viel besser als ich.“ „Das ist egal, nach dem Elfer ist das Spiel sowieso bald vorbei und benötigst dringend Spielpraxis. Also los, mach dich auf den Platz,“  beharrt der Trainer. Aber Tilo bleibt standhaft. Als der Schiedsrichter in ihre Richtung ruft, sie sollen sich doch bitte beeilen, verdreht der Trainer die Augen. „Also gut. Aber wehe du machst Unsinn.“ Erfreut spring Sarah auf und läuft zu den anderen Jungen am Strafraum. „Du schießt Sarah.“ Timo sieht sie provokant an. „Wenn du nicht triffst, haben wir wenigstens einen Grund dich endgültig rauszuschmeißen.“ Die anderen Jungs lachen. Aber das ist jetzt egal.

Das ist ihre Chance. Konzentriert legt Sarah sich den Ball auf dem Punkt zurecht. Jetzt bloß keinen Fehler machen. Das hier scheint ihre einzige und letzte Chance zu sein, um sich beweisen zu können. Aber ist es das überhaupt wert, wenn sie dass muss? Egal, jetzt schon. Sarah läuft an und schießt. Der Ball fliegt schnell und genau dahin, wo sie ihn haben wollte, halb hoch, links. Dort war der Torwart beim Warmmachen am schwächsten. Und Sarah hat Glück. Er erwischt das Leder zwar noch mit den Fingerspitzen, kann dessen Flugrichtung aber nicht mehr ändern und schon zappelt der Ball im Netz.
Wenige Minuten später ist das Spiel vorbei, sie haben gewonnen. Zwar ist Tilo der einzige, der sich offen mit Sarah freut, trotzdem ist sie glücklich. Sie kann es auch.

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Autorin / Autor: von Paula N., 14 Jahre