Die Jungfrau von Orléans

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Johanna Schelter, 20 Jahre

Wie das wohl gewesen sein muss. Alles zu geben, ans Ziel zu kommen und trotzdem zu scheitern.
Was sie wohl gefühlt haben muss, auf dem Scheiterhaufen stehend, nach einem ewigen Kampf. Einen Kampf, den sie für einen Gott, einen König, ein Land und schließlich nur noch für sich selbst geführt hat.
Vielleicht hatte sie Angst vor dem bevorstehenden Feuertod. Vielleicht bereute sie ihre Taten, vielleicht wünschte sie sich, die Initiative niemals ergriffen zu haben.
Vielleicht war sie aber auch dankbar. Dafür, dass sie die Chance bekommen hatte Frankreich zu befreien und dabei mehr Erfolg hatte, als jeder Mann vor ihr.

Jeanne d’Arc wurde verurteilt für die Verbrechen Mord und Feenzauber. Mord, weil sie eine Frau war und ihre Taten auf dem Schlachtfeld deshalb als solcher eingestuft wurden. Feenzauber, weil man wahrscheinlich einfach keine bessere Erklärung für ihren Erfolg gefunden hat. 

Denn natürlich musste es Zauber sein. Eine Frau, die es schaffte, eine Männeraufgabe zu bewältigen. Etwas so Reines, so Weiches, das sich in Blut und Dreck gewälzt hatte.
Natürlich hat man sie dafür verbrannt.
Denn obwohl sie, bescheiden und klug wie sie war, angegeben hatte, nur durch Gott zu handeln, war es den Menschen (und mit Menschen meine ich Männern) unheimlich, wie sie es geschafft hatte.
Eine Frau, die dorthin vorgedrungen war, wo noch keine von Männern geebnete Straße hinführte.
Natürlich musste sie sterben.
Weil sie Angst hatten vor einer Frau, die sich die Tür selbst aufhalten kann.

Immerhin kannte sie das Risiko. Sie muss gewusst haben, dass ihr Leben auf dem Spiel steht, denn ihr Platz war im Gesetz ganz klar geregelt. Ihr Gesetz hat ihr nicht vorgeheuchelt, sie hätte die gleichen Chancen wie ein Mann. Sie wusste, gegen welche Regeln sie verstößt und sie hat es dennoch gewagt.

Auch mich hat man vorher gewarnt. Das Gesetz mag mir versprochen haben, dass mein Geschlecht mein Leben nicht beeinflusst, aber dieses Versprechen hat es nicht vom Papier in die Realität geschafft.
„Mädchen sind nicht so gut in Mathe, Mädchen sind besser in Kunst“.
„Mädchen können nicht so schnell rennen wie Jungs“. 
„Mädchen sollten nachts nicht alleine raus gehen. Besonders nicht in den Klamotten. Da bist du dann auch irgendwie selbst dran schuld, wenn was passiert“.
„Mädchen treffen Entscheidungen ja eher auf Gefühlsbasis, Logik hat damit ja nichts zu tun“.
„Frauen sind einfach weniger leistungsfähig“.
„Frauen sind für Führungspositionen nicht geeignet“.
„Frauen sind immer so irrational und verrückt“.
„Lächle doch mal. Dann würdest du viel schöner aussehen“.
Zitate von Sätzen, die ich mehr als einmal gehört habe. Sätze, die mich immer solange begleitet haben, bis ich das Gegenteil mehrfach bewiesen hatte. Sätze, die dazu beigetragen haben, wie ich über mich selbst gedacht habe und wie ich meine Grenzen gesetzt habe.
Sätze, die mich unendlich wütend machen.

Jeanne d’Arc hätte wahrscheinlich gelacht. Sie hätte laut und bitter gelacht und dann ihre Rüstung und ihr Schwert genommen um der Welt zu zeigen, wozu eine Frau in der Lage ist.
Sie hätte ihnen gezeigt, dass die Frau nicht umsonst aus der Rippe des Mannes gemacht ist, dem Knochen, der die wichtigsten Organe, das Herz und die Lunge vor Angriffen beschützt.

Ich glaube, als sie da oben in den Flammen stand, verspürte sie weder Angst noch Reue. Sie muss stolz gewesen sein.
Zufrieden, weil sie Frauen gezeigt hatte, wie viel stärker sie sind, als man ihnen eingeredet hatte. Zufrieden, weil sie Männer gelehrt hatte, dass keine Schande darin besteht, sich von einer Frau leiten zu lassen. 
Stolz, weil sie der Welt bewiesen hatte, was Frauen und Männer erreichen können, wenn sie Seite an Seite kämpfen.

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Autorin / Autor: von Johanna Schelter, 20 Jahre