Lebenswert

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Jenni, 22 Jahre

Ich stehe an der Ampel und warte auf grün. Ich warte eine halbe Ewigkeit.
Dann schießt es mir durch den Kopf.
Als ich wieder nach oben schaue war die Ampel schon blutorange.
Es war doch nur ein kurzer Augenblick. Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit. Die Ampel war wieder rot. Dieses Mal aber konzentrierte ich mich auf die Ampel, orange-grün, nun gehe ich meine gewohnten Schritte über die Straße.
Wie in Trance gehe ich auf dem Gehweg. So viele Menschen, die einem über den Weg laufen. Ihre Geschichte jedoch kennen nur sie allein.
Auf einmal wie aus dem Nichts sehe ich ihn. Diesen Baum. Er wucherte an einer seltsam gelegenen Stelle. Der Baum wächst direkt gegenüber einer Chemiefabrik. Ich weiß, dass dies nicht sehr sonderbar ist. Aber die Tatsache ist sonderbar. Es ist sehr sonderbar, einen Baum mit einem grünen Blatt inmitten des Herbstes zu sehen. Alle anderen wurden bereits von ihren Blättern verlassen. Nein, nicht bei diesem Baum. Er trägt noch eines bei sich.
Ist es nicht schrecklich? Schrecklich zu wissen, du wirst im Frühjahr sehr schön sein und wunderbar aufblühen, doch innerhalb eines Jahres ist all dies dahin. Es scheint alle Baüme das gleiche Schicksal zu ereilen, deshalb ist dies nicht besonders schlimm. Doch dieses eine Blatt hält sich mit aller letzter Kraft an dem Ast fest. Wieso krallt es sich so an ihre letzten Verbindungen, wenn es denn sowieso weiß, wie es enden wird?
Plötzlich tauchte ein besonders kalter und starker Wind auf. Ich blicke gespannt auf das Blatt. Doch es ist weiterhin an der selben Stelle. Ob es Glück war?
Ich weiß nicht, wie viel Zeit schon vergangen war, aber ein älterer Mann mustert mich seltsam. Ich schenke ihm nur einen kurzen Augenblick Beachtung. Als ich wieder auf das letzte Blatt blicke, war es verschwunden.
Die Gedanken, die meinen Kopf zerissen, waren... sie waren nicht auszusprechen.
Ich entdecke ein Kind, sitzend am Bürgersteig. Ich kann nur erahnen, was dieser kleiner Junge in den Händen hat.
Als der Junge aufsteht, kann ich es sehen. Meine Vermutung war richtig. Da lag es nun, in tausend Einzelteile zerissen. Das seltsam alleingebliebene Blatt.
Ich stürmte sofort darauf zu und versuchte es aufzusammeln, bevor erneut ein starker Wind erscheinen wird.
Alles konnte ich nicht retten, aber einen Teil und dieser war immer noch grün. Ich schleiche vorsichtig auf den Baum zu und grabe einhändig ein Loch.
Es war nicht besonders groß, jedoch reicht es für die übrig gebliebenen Teilstücke. Ich lege das kaputte Blatt hinein und fülle das Loch bis es wie zuvor aussieht.
Eine Weile stand ich einfach nur da. Dann wandel ich erneut die Straße entlang.

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Autorin / Autor: on Jenni, 22 Jahre