Das Leben als Sandwich-Kind

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Sarah Hell, 21 Jahre

Das Sandwich Kind einer Familie zu sein, kann Vorteile haben, aber eigentlich hat es mehr Nachteile. Schließlich ist man weder der Erstgeborene mit all seinen Privilegien, noch das kleine Nesthäkchen, das von Mama verhätschelt wird. Es ist egal, ob das ältere Geschwisterkind ein Junge oder ein Mädchen ist. Einer wird es immer bevorzugen, sei es die Mutter oder der Vater. Und wieso hören die Eltern nach dem zweiten Kind nicht einfach auf? Das wäre doch eine wunderbar gerade Zahl. Aber nein. Sie wollen wohl unbedingt, dass sich das mittlere Kind umzingelt von Geschwistern sieht und sich gegen beide behaupten muss, um nicht vergessen zu werden.

Als Beispiel nehmen wir jetzt mal Natalie Schmid. Sie wurde als zweites Kind mittelständiger Eltern geboren. Ihre Schwester Leah ist zwei Jahre älter als sie und ihre Schwester Paulina 1, 5 Jahre jünger. Die armen Eltern, nicht wahr? Drei kleine Prinzessinnen und es ist kein Ende des Zickenterrors in Sicht, bis sie anfangen, auszuziehen. (Doch wer weiß wie lange sie Hotel Mama noch ausnutzen werden.) Da hätten sie mal besser nachgedacht und nach Natalie einen Schlussstrich gezogen. Natürlich hätte sie auch dann nicht dasselbe Ansehen genossen wie Leah, schließlich ist und bleibt sie nur die Nummer zwei. Aber dann wäre sie wenigstens das Nesthäkchen gewesen, das von Mama verwöhnt wird und viel mehr darf als die Nummer eins. Aber diese Rolle hat jetzt Paulina und die genießt es in vollen Zügen. Also was hatte Natalie? Eigentlich nicht besonders viel. Das Fahrradfahren hatte sie sich selbst beigebracht, ansonsten hatte sie alles zusammen mit Leah gelernt. Sie hatten Flöten-, Tanz- und Turnunterricht. Jetzt könnte man annehmen, dass es für Natalie sehr schwer gewesen sein muss, mit ihrer älteren Schwester mitzuhalten, aber nein, das war es nicht. Obwohl sie gleich gut (wenn nicht sogar ab und an besser) als Leah war, waren die Eltern nicht stolzer auf sie. Nein, eher waren sie stolz auf ‚ihre Große‘, die ja so viele Interessen hatte. Natalie war quasi nur die Mitläuferin, die nichts ohne ihre ältere Schwester machen konnte. Paulina dagegen musste nie versuchen, mit Natalie mithalten zu können, sie war schließlich noch klein. Sie hatte ja noch viel Zeit zu lernen. Wenn die Älteste etwas Neues lernte, wie zum Beispiel das Schwimmen, dann war das etwas Besonderes, schließlich war sie die erste. Beim zweiten Kind war es dann schon nicht mehr so bedeutend. Und beim dritten? Da waren alle gerührt, wie schnell die Kleine schon so groß werden konnte. Alles was Leah konnte, wurde von Natalie ebenso erwartet - ohne Rücksicht auf das Alter - und die Kleinste hatte ihre ganz eigene Entwicklungs- und Lerngeschwindigkeit. Außer wenn es um Dinge wie Taschengeld oder ein Handy ging. Dann war Natalie auf einmal zu jung, um zu haben, was Leah hatte und musste sich noch zwei Jahre gedulden.

Doch sobald diese zwei Jahre vorbei waren, war auch auf einmal Paulina reif genug für solche besonderen Sachen. Sie musste sich nicht zwei Jahre von Natalie unter die Nase reiben lassen, dass diese etwas hatte, das sie auch gerne haben würde (so wie es Leah stets bei Natalie getan hatte). So kommt es, dass Natalie sich verausgabt und im ständigen Konkurrenzkampf zu ihren Geschwistern steht. Sie möchte die beiden anderen immer und in allem übertreffen und Anerkennung finden. Aber egal was sie auch tut, bei Leah war es viel besonderer, ganz anders und schwieriger. Man versucht älter und reifer zu wirken, als man ist, um die Rolle des Erstgeborenen übernehmen zu können, doch wird es nie schaffen. Man bleibt weiterhin unbeachtet in der Mitte der beiden tollen Kinder…

Aber diese Unsichtbarkeit des Sandwich-Kindes kann auch Vorteile haben. Man genießt weniger Zwänge als Kind Nummer 1 und wird nicht so gehütet und verhätschelt wie Kind Nummer 3. Man lernt allein zurecht zu kommen und sich gegen andere zu behaupten. Man findet seine Stimme und gewöhnt sich an Kritik. Man wird ehrgeizig und begreift früh, dass man arbeiten muss, um etwas erreichen zu können, denn man bekommt nichts in den Schoß gelegt. So kämpft sich Natalie durch die Schule und schafft es danach umso leichter, sich von ihrer Familie zu lösen und ihren eigenen Weg zu gehen. Sie lernt die Welt kennen und kommt damit zurecht, allein zu sein. Mit der Distanz nimmt auch der Druck, den das Leben als das mittlere Kind mit sich brachte, ab. Sie vergleicht sich nicht mehr ständig mit Leah und Paulina, weil ihre Leben inzwischen zu verschieden sind.

Wenn Natalie sich ihr Leben jetzt ansieht, ist sie doch ganz froh, wie es verlaufen ist. Auch ihre kleine Schwester Paulina hat sie eigentlich ganz gern und würde sie um nichts in der Welt mehr hergeben. Nur später, wenn sie selbst mal Kinder bekommen sollte, wird sie es wohl auf zweien beruhen lassen. Schließlich bekommen die Frauen in Deutschland durchschnittlich 1,4 Kinder. Also wieso sollte sie es übertreiben?

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