Irgendwann ist es zu spät!

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Anna Georg, 11 Jahre

Ich wachte auf. Wo war ich? Und wo war mein behagliches Bett? Ich lag im Gras, direkt unter einem Baum, um mich herum war die reine Wildnis. Ich war doch in meinem Zimmer in Köln eingeschlafen, aber das hier war nicht Köln. Wo waren die Hochhäuser, wo war der Geruch nach Abgasen, wo war das Hupen der Autos? Hier waren jedenfalls nur Bäume und Gras. Ich stand auf und sah mich um. In der Ferne ragte die Silhouette eines Berges aus dem Nebel auf.
Langsam wurde meinen Füßen kalt, schließlich trug ich nur einen Schlafanzug, und an den Grashalmen hatte sich Tau gebildet. Ich lief in Richtung des Berges los und kam bald zu einem Tal voller Blumen, die ich davor nie gesehen hatte. Ich lief weiter und kam zu einem kleinen Bach. Ich setzte mich dort hin und begann zu weinen. Ich war so verzweifelt, dass ich einfach nicht mehr anders konnte als zu weinen. Ich vermisste meine Familie, meine Freunde, ich hatte Angst, und vor allem hatte ich Hunger, sehr großen Hunger.
Doch schließlich wischte ich mir die Tränen ab. Von irgendwoher war mir neuer Mut gekommen. In meinem Kopf klärte sich alles, was zweifellos an der verdammt guten Luft lag. In Großstätten wie Köln gab es solche Luft nicht. Dort war die Luft schon viel zu sehr von den Abgasen verpestet.
Ich drehte mich um die eigene Achse und bewunderte zum ersten Mal seit ich hier aufgewacht war wirklich die traumhafte Landschaft. Überall war Natur, und langsam gefiel es mir hier richtig. Ich wollte zwar auch wieder nach Hause, aber gleichzeitig wollte ich hier nicht weg. Solche Natur gab es auf der Welt wahrscheinlich nicht mehr, dafür hatten die Menschen gesorgt. Bald würde es auf der Welt wahrscheinlich gar keine richtige Natur mehr geben.
Ich beschloss, ein bisschen herum zu laufen. Vielleicht würde ich ja etwas Essbares finden. Überall zwitscherten Vögel, ein paarmal sah ich Kaninchen und einmal auch eine kleine Gruppe Rehe zwischen den Bäumen. Nachdem ich eine Weile gelaufen war, fand ich einen Apfelbaum. Ich beschloss, hier zu rasten, denn 50 Meter weiter hatte ich einen Bach mit frischem, klarem Wasser gesehen, der wahrscheinlich aus dem Gebirge hinabfloss. Außerdem war gleich daneben ein Baum umgefallen. Ich hatte mir extra schon einen scharfen Stein ausgesucht, um ihn zu bearbeiten. Vielleicht würde ich mir eine Art Hütte bauen können oder wenigstens eine Schale herstellen, damit ich nicht immer zum Fluss rennen müsste, wenn ich Durst hätte, sondern auch etwas Wasser mit zum Apfelbaum nehmen könnte. Also begann ich mit der Arbeit.
Nach gut vier Stunden, in denen ich ununterbrochen geschuftet hatte, war ich zwar in Schweiß gebadet und konnte keinen Muskel mehr rühren, aber ich war fertig. Ich hatte mir eine kleine Hütte gebaut, wenn man das denn Hütte nennen konnte. Sie war innen nur spärlich eingerichtet, denn als Bett würde ich einen Haufen Blätter und Grashalme benutzen, die ich gepflückt hatte. Den Rest hatte ich draußen aufgebaut. Er bestand aus einem kleinen Kreis aus Steinen. In der Mitte dieses Kreises war trockenes Holz aufgeschichtet. Das sollte mir als Feuerstelle dienen, denn am Bach hatte ich einige Feuersteine gefunden. Außerdem hatte ich mir eine Schale gebaut, genau so wie ich sie mir vorgestellt hatte. Als der Abend nahte, kam mit ihm auch der kalte Wind. Also zündete ich mein Feuer an, pflückte mir einen Apfel vom Baum und genoss die Wärme.
Nach diesem Tag in der Natur fühlte ich mich trotz der harten Arbeit stärker und gesünder als jemals zuvor. Ich wollte nicht wieder zurück! Ich wollte in der Natur bleiben. Ich wusste nicht, wo ich war, aber das konnte nicht die Erde sein. Die Erde war vielleicht früher so gewesen, aber mittlerweile war sie verschmutzt, und der Klimawandel machte sich bemerkbar. Hier war die Natur unberührt, und ich hatte schon wegen dieses kleinen Eingriffs ein schlechtes Gewissen. Aber was sollte ich tun? Um zu überleben, musste ich so handeln. Dann kam mir der Gedanke, dass die anderen Menschen vielleicht auch so gedacht hatten, als sie die Welt an sich gerissen und verschmutzt hatten. So viele Tiere waren schon ausgerottet worden, so viele Meere verschmutzt und mit Öl und Mikroplastik angereichert, so viel CO2 war mittlerweile in der Luft, so viele Eisberge waren durch den Klimawandel geschmolzen. Lohnte es sich da wirklich zurückzukehren? War es nicht besser, hier zu bleiben und sich ein Leben an der frischen Luft zu gönnen? Doch, ich würde zurückkehren. Ich würde nicht zulassen, dass die nachfolgenden Generationen noch mehr unter dem Klimawandel leiden müssten. Ich würde versuchen, dabei zu helfen, die Welt wieder lebenswert zu machen. Mit diesem Gedanken löschte ich das Feuer und ging zu Bett.
Ich wurde von einem lauten Hupen geweckt. Gab es in dieser friedlichen Welt etwa Autos? Ich öffnete die Augen. Nanu? Ich lag ja gar nicht auf meinem Gras-Bett, sondern auf hartem Beton, mitten in einer kleinen Gasse neben einer Hauptstraße. Der Geruch hätte mich umgeworfen, wenn ich nicht sowieso schon auf dem Boden gelegen hätte. Ich wusste gar nicht mehr, wie schlecht die Luft in Köln war. Und im direkten Vergleich zu der anderen Welt war sie sogar noch schlechter. Hatte ich von der anderen Welt etwa nur geträumt? Aber wie war ich dann im Schlafanzug in diese Gasse gelangt? Und wieso hatte ich Grashalme, Blätter und Erde auf dem Schlafanzug? Und wieso roch ich nach Lagerfeuer? Ich war mir noch nicht sicher, was genau passiert war, aber das es passiert war, dabei war ich mir sicher.

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