Ein Hauch von Meeres-Liebe

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Clara Deifel, 17 Jahre

„Maren Hanson. Was gibt´s?“ „Hallo Maren, hier ist Jens.“ Jens? Aber doch nicht der Jens, oder? Quatsch, ihre Bekanntschaft ist so lange her, dass sie eigentlich schon nicht mehr wahr ist. „Jens? Ich kenne keinen Jens.“ Der Mann am anderen Ende der Funkwelle lacht. „Jens Peters aus Holtsiel, mit dir zusammen zur Schule gegangen, du weißt schon.“ Tatsächlich! Der Jens! „Du?“ „Äh, ja genau, ich.“ Er klingt leicht nervös. Kein Wunder, das wäre sie an seiner Stelle auch. Aber wieso hat er sie überhaupt angerufen? „Äh, ich…, ich wollte einfach mal hören, wie es dir geht.“ Als hätte Jens ihre Gedanken gelesen. Wie früher. „Das heißt, du wohnst wieder in Holtsiel?“ Sie weiß, dass er zum Studieren weggezogen ist. Biologie. Das wird sie nie verstehen. „Äh ja, äh nein, so gut wie“ Plötzlich steckt jemand seinen Kopf zur Tür herein: „Maren, let´s start!“ „Sorry, ich muss aufhören. Ich bin gerade bei der Arbeit.“ „Jetzt noch?“ „Äh, ja. tut mir Leid, ich muss echt was tun! Bis bald!“ Sie wartet seine Antwort gar nicht erst ab, steckt ihr Handy in die Hosentasche und nimmt sich ihre Gummistiefel. Während sie ihre Schutzkleidung überzieht, guckt sie durch ihr Bürofenster aufs Meer. Vor ihrem inneren Auge sieht sie den Strand von Holtsiel und plötzlich ist alles wieder da. Sie hat jahrelang nicht mehr an Jens gedacht. Auf der Ölbohrinsel gab es immer so viel anderes zu tun…

„Tut mir echt Leid, dass ich dich neulich so schnell abgewürgt habe. Ich musste echt arbeiten!“ Sich nach diesem Abgang zu melden, hätte sich Jens nie getraut. Aber für Maren, das weiß er nach den ganzen Jahren, ist es ganz typisch. „Schon ok. Schön, dass du anrufst.“ Man muss ihr ja doch lassen: Sie entschuldigt sich immer. „Naja, es war ja deine Idee, dass wir nochmal Kontakt aufnehmen.“, lacht Maren durch das Handy hindurch - und fügt leise hinzu: „Eine verdammt schöne Idee übrigens.“ Jens lächelt. Das ist eben auch Maren: Immer ehrlich und offen. Er schweigt. Es ist fast wie früher, als sie nach ihren langen Diskussionen stundenlang aufs Meer geschaut und geschwiegen hatten. Nur dass sie jetzt ein Handy und womöglich viele Kilometer trennen. „Hörst du das Meer rauschen?“, unterbricht Maren die Stille. Jens stutzt: „Dein Meer oder mein Meer?“ Am anderen Ende hört er Lachen: „Es gibt nur ein Meer. Dein Meer ist auch mein Meer.“ Hm. „Aber ich meinte eigentlich, ob du die Wellen durchs Telefon rauschen hörst.“ Jens lauscht angestrengt. Im Hintergrund ist ein dumpfes Rauschen. „Es rauscht, aber ich vermute, das ist eher das Handy.“ Maren ist da anderer Meinung: „Das sind bestimmt die Wellen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie aufgewühlt das Meer heute ist.“ Dann schweigt sie. Jens sieht sein Spiegelbild auf dem Wasser, ganz klar. Ob dieses Meer wirklich das Selbe ist, das bei Maren aufgewühlt ist wie selten? „Aber dann wohnst du nicht mehr in Holtsiel?“ Mist, das war ihm jetzt so herausgerutscht! Natürlich wohnt Maren nicht mehr in Holtsiel. Sie wollte immer weg. Sie hatte sich immer lustig gemacht über Leute, die ihr Leben lang nicht aus ihrem Heimatdorf wegkämen. „In Holtsiel? Ne, ich war schon ewig nicht mehr da. Ich bin jetzt in…, in der Nähe von Brasilien.“ Hatte er es doch gewusst! Da sind tausende Kilometer zwischen ihnen! „Aber das Meer ist überall gleich.“, ergänzt Maren. Jens schweigt. Er sieht durchaus Unterschiede zwischen spiegelglatter Nordsee und aufgewühltem Ozean im Atlantik oder wo auch immer Maren ist.

Ein paar Tage später steht die Vogelzählung an, die Jens als Vogelwart einer winzigen Vogelschutzinsel wöchentlich machen muss. Schon nach wenigen Vögeln stutzt er. Einige Vögel haben schwarze Flecken auf dem Gefieder. Auch am Spühlsaum liegen kleine schwarze Klumpen, die die Sturmflut gestern Nacht angeschwemmt hat. Nicht schon wieder! Woher das Öl kommt, kann Jens nur vermuten: Vielleicht illegal entsorgte Reste von Schiffen, vielleicht Zufluss aus Abwässern von Industrie und Haushalt, vielleicht das „Geklecker“ einer Ölbohrinsel? Nichts davon ist in unmittelbarer Nähe, aber Meeresströmungen und Sturmfluten bringen immer mal wieder Öl auf die Insel. In letzter Zeit sogar ziemlich häufig. Beim Anblick der Möwen, die aufgeregt kreischen, wird Jens Herz schwer. Den Vögeln ist  nicht mehr zu helfen – obwohl sie noch nichts ahnen.

Maren ist auf Kontrollgang im Maschinenraum. Sie beobachtet das Öl fasziniert. Irgendwie beeindruckt es sie immer wieder, wie etwas so schwarz sein kann, so flüssig und trotzdem glänzend, so normal und trotzdem wertvoll – ein millionen Jahre alter Schatz, gehütet vom Meer. Sie weiß, was Jens darüber denken würde: „Geld über Allem“ „zu viel Konsum“ „Ausbeutung“. Anders als früher wäre sie jetzt vielleicht sogar in der Lage, Jens zu verstehen. Er ist schon besonders, hat wenig Ansprüche und tut viel für die Welt um sich herum. Aber er versteht nicht, oder hat zumindest damals nicht verstanden, dass die Welt im Allgemeinen so nicht funktioniert.

„Bist du eigentlich über Weihnachten nach Holtsiel?“ Maren gibt es nur ungern zu, aber seine Antwort interessiert sie brennend. Obwohl sie es sich fast nicht anders vorstellen kann, wenn er tatsächlich so nah wohnt, wie er neulich gesagt hat. Sie muss lächeln. Neulich… Ihr erstes Telefonat ist schon mehrere Monate her. Seitdem muss sie immer, wenn sie das Meer sieht an Jens denken – und das ist auf einer Ölbohrinsel ziemlich oft. Sie hatten öfter miteinander telefoniert. Mal hatte er angerufen, mal sie. Er hat irgendwann mal erwähnt, dass er sein Biologiestudium abgeschlossen hat, abgesehen davon hat er nicht mehr viel erzählt, was er macht und wo er ist. Zugegebenermaßen, sie selbst hatte auch nicht viel mehr erzählt. Überhaupt hatten sie viel geschwiegen, nicht unangenehm, man kann gut mit Jens schweigen – sogar übers Telefon. Aber sie hat die Hoffnung - oder die Befürchtung, das weiß sie selbst nicht so genau - dass sie miteinander reden können, wenn er an Weihnachten ebenfalls nach Holtsiel kommt – wirklich miteinander reden.

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Autorin / Autor: Clara Deifel, 17 Jahre