Die Hitzewelle

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von LenaJ, 25 Jahre

Alles begann mit der Hitzewelle 2018. 
Es war der Sommer der Temperaturrekorde, und in weiten Teilen Deutschlands hatte es über vier Monate hinweg nicht geregnet.
Am Anfang freuten wir uns noch über dieses ungewöhnlich heiße Wetter. Es war kurz nach meinem Abitur, und ich verbrachte einen letzten Sommer mit meinen besten Freunden, bevor wir alle in unterschiedliche Richtungen gehen sollten. Aufbruchsstimmung lag in der Luft, wir fühlten uns frei und unverwundbar und schienen uns von Caprieis und Wassermelone zu ernähren. Wir verbrachten jede freie Minute im Freibad und am Baggersee. Wenn ich an 2018 zurückdenke, habe ich deshalb unweigerlich den Geruch von Sonnencreme in der Nase.

Doch die heißen Tage – Hundstage sagte man damals noch – zogen sich. Immer wieder wurde im Wetterbericht Hoffnung auf Gewitter und Abkühlung gemacht, aber nichts davon traf zu. Regelmäßig wurden neue Temperaturrekorde gemeldet. In meinem Heimatort lag er bei 41,1 Grad, wurde aber in jedem darauffolgenden Jahr erneut gebrochen. Die Tagesschau endete routinemäßig mit Hitzewarnungen und wir sahen dabei zu, wie die Felder neben unserm Haus ihre Farbe wechselten: von grün zu braun zu staubgelb.

Ich weiß noch, dass wir damals einen alten Feigenbaum im Garten stehen hatten. Meine Eltern hatten ihn gepflanzt, als ich eingeschult wurde und damals hatten die Nachbarn uns noch ausgelacht: Feigen! - die kannte man doch nur aus dem Türkeiurlaub. Wie sollten die denn hier wachsen? Aber die Früchte gediehen jedes Jahr prächtiger und 2018 waren sie bereits im Juli reif. Anfang August dann war es schon so warm, dass die Feigen am Baum verfaulten, bevor wir sie ernten konnten. Zu wenig Wasser kam an die Wurzeln und schließlich warf der Baum alle seine Früchte wie aus einem Akt der Verzweiflung ab. Der Garten roch wie eine Schnappsbrennerei. Auf den Feldern gab es das gleiche Bild: Der staubige Boden war mit Zwetschgen und Aprikosen übersäht.

Manchmal fuhr ich in dieser Zeit mit der Bahn in die nächst gelegene Stadt, um in der klimatisierten Bibliothek meine Unibewerbungen zu schreiben. Wenn ich in den gekühlten Räumen saß, vergaß ich schnell die trockene Hitze draußen. Aber auf dem Rückweg brannten oft die Felder, an denen ich vorbeifuhr. Irgendwann wurde die Verbindung eingestellt, weil die Böschungen zu oft Feuer fingen.

Im Spätsommer dann begann die Wespenplage. Dadurch, dass es kaum geregnet hatte, hatten sie sich schlagartig vermehrt. Sogar nachts war es noch so warm, dass sie umherschwirrten und in die Häuser drangen. Eine davon stach meinen Bruder, als er schlief. Er war Allergiker.

Nach und nach wurde uns bewusst, dass der Klimawandel kein Zukunftsmärchen war. Ein dumpfes Gefühl des Zuspätseins machte sich breit. Die Politik kündigte zur gleichen Zeit groß an, dass Plastikstrohhalme aus ökologischen Gründen verboten werden sollten. Während die Stadtkinder ihre Caprisonne ab jetzt durch Makaronis tranken, brannten unsere Felder ab. Das also war das Ergebnis des Pariser Abkommens.

Schon im nächsten Juli sollte unser See so weit ausgetrocknet sein, dass man nur noch wadentief im Wasser stehen konnte und auf dem Rhein bildeten sich seltsame Algen, die die Schleimhäute reizten, wenn man in ihnen schwamm. Das Jahr darauf war der See komplett trocken, und das Freibad schloß schließlich wegen den 2021 eingeführten Maßnahmen zur Wasserersparnis. Privatleute durften ihre Gärten nicht mehr wässern, weil das Wasser für die Landwirtschaft gebraucht wurde. Unser Feigenbaum starb.

Die Felder wurden zu riesigen Sandflächen, und der Wind wirbelte den Staub durch die Straßen. Wenn wir mit dem Fahrrad zum Supermarkt fuhren, banden wir uns feuchte Stoffstreifen vor Mund und Nase, damit wir nicht so viel von dem Zeug einatmeten. Später dann wurde ganz vom Fahrradfahren abgeraten, der Gesundheitsrisiken wegen. Aber welche Alternative hatten wir denn, wenn gesetzliche Sperrzeiten für das Autofahren erlassen wurden, und es auf dem Land keine Straßenbahnen gab? Wenn es nicht anders ging, holte ich so sogar meine Söhne aus dem Kindergarten ab. Das muss Anfang der 30er gewesen sein. 2032 war es besonders schlimm, wie Sie vielleicht aus den Aufzeichnungen wissen.

…Wissen Sie, früher war alles so grün. Und das Grün hatte diesen Geruch. Ich weiß nicht, wie ich ihn beschreiben soll, ich schätze, das ist eine dieser Sachen, die man selbst erlebt haben muss, um sie zu verstehen. Er war so rein, man konnte seine ganze Lunge damit füllen. Immer und immer wieder, in tiefen Zügen. Bis da dann plötzlich nur noch kratziger Staub in der Luft war.

Mein Mann war als Agraringenieur an den Regenerierungsprojekten der EU beteiligt, er ist vor acht Jahren an den Spätfolgen seiner Arbeit gestorben. Er hat immer gesagt, die Natur findet ihren Weg. Es ist schade, dass er es nicht mehr mit eigenen Augen sehen konnte. Ich… bin sehr dankbar dafür, was er und seine Kollegen für uns alle getan haben, auch wenn Europa immer noch nicht dauerhaft bewohnbar ist. Ich hoffe, irgendwann kann ich zurück. Ich würde so gerne noch einmal an das Grab meiner Eltern, bevor ich…
Entschuldigen Sie. Könnten wir vielleicht eine kurze Pause einlegen?

- Cut!
Natürlich, Frau Brandt. Lassen Sie sich Zeit. Nur noch eine Zwischenfrage: Haben Sie vielleicht die Fotos mitgebracht, von denen wir geredet haben? Die von ihrer Familie und dem Haus. Vielleicht haben sie ja auch noch eins, auf dem man den Feigenbaum sieht? Das würde sich ganz gut mit dem Nachrichtenmaterial von damals ergänzen und unserer Dokumentation eine persönliche Note verleihen. Vielleicht könnten Sie, wenn wir gleich weiter machen, versuchen Wörter wie „Garten“ ein bisschen zu erklären. Sie wissen ja, wir versuchen eine Dokumentation für den Schulunterricht zu produzieren, und die Jugend von heute kann sich nun mal kein Bild von der Situation 2018 machen. Aber erst mal machen wir eine kleine Pause, bevor wir dann weiterdrehen.

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Autorin / Autor: LenaJ