Auf den Meeren dieser Welt

Beitrag zum Schreibwettbewerb Morgengrün von Judith Affeldt, 23 Jahre

Das Mittelmeer spiegelte die Sonne, deren Reflektion meine Augen blendete. Die Wellen brachen sich an dem gewaltigen Kreuzfahrtschiff, an dessen Reling ich stand. Mir wurde übel. Mein Magen war nicht gerade belastbar, und ich spürte, wie mich die Seekrankheit einholte. Langsam sank ich auf den Boden, während ich die rechte Hand auf meinen Bauch presste. Mein Körper lehnte nun an der äußeren Wand der vielen Zimmer des Schiffes. Die Sonnenstrahlen schienen mir unentwegt ins Gesicht.
Es handelte sich um meine erste Kreuzfahrt und es würde definitiv meine letzte sein. Nicht nur mein Magen schien sich dies zu wünschen, sondern auch mein Umweltbewusstsein. Ich ertrug es nicht, allein zur Freude der Passagiere über das Meer zu schiffen und dadurch meinen ökologischen Fußabdruck erheblich zu verschlechtern. Was war der Sinn von Kreuzfahrten? Ein Reiseerlebnis? Hundert Ereignisse in einer Woche? Fünf Inseln statt einer Stadt?

Die Schiffe wurden von Jahr zu Jahr größer, die Routen immer länger. Das Kreuzfahrtimperium hatte schon lange seine begeisterten Anhänger gefunden. Stammgäste, die sich einen Urlaub ohne Schiff und Häfen nicht mehr vorstellen konnten, als auch Neulinge, von denen viele zu Stammgästen wurden, begeisterten sich an den unzähligen Möglichkeiten einer Kreuzfahrt.

Nur ich nicht. Ich dachte an den Schadstoffausstoß, den wir genau jetzt verursachten. An das viele Essen, das genau jetzt in den Abfall wanderte, weil das Überangebot das Wohl der Passagiere fördern sollte. An die Fische, die genau jetzt an dem schlechten Wasser verendeten. An den Müll, der ohnehin schon im Meer wandelte.
Und ich verstand es nicht. Ich glaubte, dass die Menschen auf diesem Schiff die Natur zu schätzten wussten. Sie genossen den Ausblick auf das schier endlose Wasser. Sie liebten die Ausflüge auf den Inseln und in den Städten. Sie wollten eine neue Kultur kennenlernen. Das waren alles gute und verständliche, ja sogar lobenswerte Beweggründe. Aber war ihnen eigentlich bewusst, wie sehr sie in diesem Augenblick die Umwelt verschmutzten? Viel mehr noch, als wenn sie das Flugzeug nehmen würden, um in den Urlaub zu starten. Viel, viel mehr noch als wenn sie die Bahn oder das Auto nutzen würden. War ihnen das bewusst? War ihnen bewusst, dass ihre Kinder und Enkelkinder das Meer bald nicht mehr so sehen würden? War ihnen bewusst, dass wir all das, was wir zerstörten, nie wieder regenerieren könnten?

Warum also gab es noch Kreuzfahrten, wo doch Umweltschützer deren Gefahr schon lange erkannt haben? Der Feind hieß: Kapitalismus. Der Kapitalismus förderte die Wirtschaft, ohne die Umwelt zu beachten. Er lachte sie aus, spuckte sie an und irgendwann würde er sie ertränken. Die beiden waren Erzfeinde. Der Kapitalismus war durchweg eigennützig, orientierte sich an Angebot und Nachfrage und soweit diese stimmten, lag der Aspekt der Umwelt unberücksichtigt in einer dunklen Ecke. Die Kreuzfahrten waren beliebt, die Passagiere erlebten wunderschöne Momente an Bord; warum sollten die Unternehmen dieses Gewinnpotenzial aufgeben? Und wegen was? Wegen der Umwelt? Wegen einem solch schwammigen Begriff, der im Hier und Jetzt wenig bedeutete. Und was die Zukunft brachte, das würde man dann schon sehen, aber was kümmerte sie das heute? Wo doch so viel Geld auf diesem Wasser schwamm? So viele lachende Gesichter, die nach ihrer Zeit auf dem Schiff glückselig von Bord gingen und noch ein wohlverdientes Trinkgeld an die Crew vergaben.

Für mich war der Kapitalismus schuld. Und es existierte nur einer, der diese verkehrte Welt ändern konnte: der Staat. Er müsste regulieren, eingreifen und diese absurde Situation beenden. Er müsste die Kreuzfahrtschiffe verbieten, auch wenn es einen nicht gerechtfertigten Eingriff gegen die Berufsfreiheit darstellte. Sah denn keiner, dass wir uns selbst im Weg standen? Mit unseren Gesetzen? Mit unserer Vorstellung einer sozialen Marktwirtschaft, die bis jetzt gut funktioniert hatte. Aber die Geschichte brachte immer neue Reformen und Umbrüche hervor. Auch diese Wirtschaftsform wird sich nicht ewig durchsetzen. Denn ein Feind hat die Weltbühne betreten; und zwar schon lange, aber erst jetzt ist er eine tödliche Gefahr für die Menschheit geworden: der Mensch selbst. Mensch gegen Natur. Der Mensch würde zweifellos gewinnen, zuerst. Dann würde er aussterben, denn ohne die Natur ist ein Leben nicht möglich. Das heißt, am Ende können wir nur verlieren.

Wollen wir das wirklich? Einen Kampf gegen die Umwelt, nur um jetzt eine schöne Woche zu erleben? Wollen wir der Natur nicht lieber freundschaftlich auf den Rücken klopfen und zu ihr sagen: „Für dich kann ich darauf verzichten“. So als würden wir einem guten Freund unser leckeres Dessert schenken, damit dieser es essen konnte. Schließlich war die Umwelt doch der beste Freund, den jeder von uns hatte. Kaum vorstellbar, dass wir alle denselben besten Freund hatten. Es schien, als hätten wir alle doch mehr gemeinsam als wir dachten.

Mein Bauch hatte sich wieder beruhigt; meine Gedanken hatten alle Energie auf sich gezogen. Mühsam zog ich mich mit beiden Händen an der Reling hoch. Meine Beine zitterten, als das Schiff weiter schwankte. Ich bog in das Treppenhaus des Kreuzfahrtschiffes ein. Zeit fürs Abendessen.

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Autorin / Autor: Judith Affeldt - Stand: August 2018