Traumjob oder Was sich niemals von alleine ändert

Beitrag von islenski.hesturinn, 25 Jahre

Vor langer Zeit traf ich im Wald einen alten Mann. Er brachte mir sehr viel bei, indem er mir eine einzige Geschichte erzählte. Ich erzähle dir jetzt auch eine Geschichte. Sie wurde schon sehr oft erzählt, es ist eine alte Geschichte. Das Besondere ist, sie kann in jeder Zeit spielen. Merk sie dir gut, du kannst sie in neue Gewänder kleiden, du kannst sie ein wenig in die Länge ziehen oder sie stutzen. Aber trotz aller Bemühungen, sie kann überall spielen.

*Szene 1:*
Er ist auf dem Heimweg von seinem Job,
wo er sein Büro mit seinem besten Freund teilt
und mittags alle Kollegen gemeinsam essen gehen.
Sein Chef ist sehr verständnisvoll
und hat ein gutes Verhältnis zu allen.
Im Team eifern alle um seine Gunst,
aber sie bleiben Freunde dabei.

Zu Hause wird er seine Frau treffen
und sie werden gemeinsam die Wohnung aufräumen.
Dann werden sie gemeinsam kochen und essen
und den Abend ruhig ausklingen lassen,
vielleicht mit einem Gläschen Wein
und einem Film, den sie beide mögen.
Er ist zufrieden mit dem was er bisher erreicht hat.

Das ist Realität.

*Szene 2:*
Der Tag war in seiner Erinnerung grau und vernebelt. 
Er hatte nicht hören wollen, was der Arzt sagte,
denn er hatte nur diesen einen Job
und es war schwierig genug gewesen ihn zu bekommen,
er kämpfte täglich dafür ihn zu behalten.
Die anderen sicherten Unterstützung.
Ohne Job ginge etwas unwiederbringlich verloren.

Die Zeit hatte sich an diesem grauen Tag gedehnt,
wie ein endloses Kaugummi um ihn herumgewickelt.
Er hatte nichts realisieren wollen,
denn sie hatten die Pläne für das gemeinsame Haus.
Da war auch der Wunsch nach Kindern,
den sie angehen wollten.
Sie sagte er ist nicht allein, sie sind ja zu zweit.

Das war der letzte Tag der Zukunft.

*Szene 3: *
Jetzt kommt er nicht klar mit der Situation.
Er versucht zu arbeiten und zwischendurch ist Therapie.
Er spricht mit den Kollegen, seinen „Freunden“,
aber er fühlt sich wie ein Schauspieler in der eigenen Rolle.
Er arbeitet und hat nicht den erwünschten Erfolg.
Er sieht wie die anderen vorbeiziehen
und er wartet stumm auf seine Kündigung.

Was hat er verloren, nur den Willen zum Kampf?
Er denkt an die Krankheit und was sie ihm nimmt.
Er ist jetzt nicht mehr autonom.
Der Job ist ausgerichtet auf Konkurrenz.
Und fällt man aus dem Raster, so fällt man sehr tief,
denn für den Chef steht geleistete Arbeit über allem.
Auch über ihm, der nicht mehr weiß wohin er streben soll.

Das gab es immer, und wird es immer geben.

*Szene 4: *
Er träumt er wäre Müllmann
und er sammelt die Säcke vom Straßenrand.
Er sammelt schnell und wirft die Säcke
in den Schlund des riesigen Müllwagens.
Der fährt weiter, so schnell.
Er sammelt und rennt, wirft.
Der Müllwagen ist schnell.

Er träumt und greift Säcke.
Die Säcke stinken, er nimmt alle in den Arm.
Er folgt dem Müllwagen, riecht all den Dreck.
Der Wagen ist schnell,
er rennt.
Er wacht auf und ist schweißgebadet,
aber seine Frau neben ihm schläft.

Das ist der einsamste Kampf um eine verlorene Zukunft.

Ich kannte mal einen Mann, der hat mir so eine Geschichte erzählt, aber das ist lange her. Ich habe es nicht begriffen, erst als ich selbst gefallen bin, von weit oben, erst da habe ich mich erinnert an den Mann und an die Geschichte und es hat mich sehr nachdenklich gemacht, denn mir ist keine Lösung eingefallen. Es gibt immer irgendwo ein Schlupfloch für diese Geschichte. Ich werde jetzt gehen. Ich lasse dir diese Geschichte hier, die überall und immer spielen kann, denn wenn es um Profit geht, geht immer irgendwann die Menschlichkeit verloren.

Autorin / Autor: islenski.hesturinn, 25 Jahre