"Islamisten, Frauenunterdrücker, Kopftuchmädchen"

Universität Duisburg-Essen veröffentlichte Ergebnisse der Interview-Studie „Islamfeindlichkeit im Jugendalter“

Wer muslimischen Glaubens ist oder einen Namen hat, der vermeintlich "muslimisch" klingt, muss in Deutschland seit einigen Jahren verstärkt damit rechnen, als "Islamist" angefeindet, als "Kopftuchmädchen" beschimpft oder sogar auch gewalttätig angegriffen zu werden. Dazu kommt, dass Teile der Bevölkerung ihnen die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft absprechen. Ist das nur ein Phänomen unter Rechten oder der älteren Bevölkerung und in den Teilen der Rebublik verbreitet, in denen wenig multikulturelles Zusammenleben stattfindet, oder gibt es islamfeindliche Tendenzen auch unter Jugendlichen? Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universität Duisburg-Essen analysierte erstmals, wie junge Menschen in Deutschland über den Islam und Muslime denken.

In qualitativen Tiefeninterviews wurden 20 Schüler_innen von Gymnasien, Berufsschulen und Berufskollegs in Groß- und Kleinstädten in NRW zwischen 16 und 26 Jahren nach ihrer Meinung zum Islam, zu Integration und Migration befragt. In den über 800 Aussagen der Jugendlichen zum Islam waren vier Bilder besonders dominierend: Islamismus, Unterdrückung (von Frauen und Mädchen), Bedrohung der eigenen Identität und das Phänomen der Parallelgesellschaft.

Die Studie wurde bewusst in NRW durchgeführt, wo Muslime und das Zusammenleben in Vielfalt für die meisten jungen Menschen eiigentlich zum Alltag dazu gehört. Die Wissenschaftlerinnen Lamya Kaddor und Prof. Nicolle Pfaff versuchten herauszufinden, wieso junge Menschen islamfeindliche Positionen entwickeln, obwohl sie wissen, dass sie in einer Einwanderungsgesellschaft leben und sie Mitschüler_innen, Kommiliton_innen oder Arbeitskolleg_innen unterschiedlicher Herkunft und Glaubenszusammenhänge haben. Bei den Aussagen wurde deutlich, dass es eine große Diskrepanz zwischen Sach- und persönlicher Ebene gibt. Zwar führt der vielfältige, persönliche Kontakt zu Muslim_innen dazu, dass die Befragten keine platten Aussagen machen, sondern differenzieren und reflektieren. Aber auf der Sachebene äußern sich viele junge Menschen abwertend über den Islam, besonders wenn sie selbst kaum Kontakt zu Muslim_innen haben. So finden sich in den Beschreibungen der jungen Männer und Frauen oft vereinheitlichende Deutungen, Abwertungen und Ausgrenzungen von Muslimen, wie sie häufig auch im öffentlichen Raum, von den Medien und in politischen Auseindersetzungen verwendet werden.

Für die Wissenschaftlerinnen ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass selbst in einem von Diversität geprägten Bundesland wie NRW, sich negative Einstellungen zum Islam vor allem auf den öffentlichen Diskurs beziehen. Wenn die Abwertung von Muslimen in der Lebenswelt von Jugendlichen präsent ist oder, wenn es biographisch für sie selbst Sinn macht, andere abzuwerten, dann bedienen und zitieren Jugendliche islamfeindlichen Aussagen, die sich in öffentlichen Diskussionen zunehmend breit machen.

„Für die Bildungsarbeit ergibt sich aus diesen ersten Befunden, dass jungen Menschen Chancen und Möglichkeiten zur Solidarisierung mit Muslimen und zur Reflexion von Rassismus eröffnet werden müssen“, sagt Lamya Kaddor. Auf Basis dieser Ergebnisse werden nun in Kooperation mit der Universität Bielefeld Fragebögen entwickelt und ca. 500 Schüler_innen befragt, um das Phänomen Islamfeindlichkeit unter Jugendlichen auch quantitativ zu beleuchten sowie erste pädagogische Ansätze zu erarbeiten. Prof. Dr. Andreas Zick wird gemeinsam mit Olga Janzen diese quantitative Studie begleiten und sagt: „Wir prüfen nun in einer großen Stichprobe unter Schülerinnen und Schülern, wie tief Vorurteile gegenüber Muslimen und dem Islam verankert sind, aber auch, wie gut die Befragten ihnen widerstehen können. Damit rücken wir der Frage näher, wie gut die junge Generation, die multikulturell aufwächst, geschützt von Vorurteilen ist. Oder sind es doch Kinder einer zunehmend muslimfeindlichen Gesellschaft?“

Die Studie wurde gefördert durch die Stiftung Mercator, die sich gegen Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit einsetzt. "Uns ist es wichtig, Art und Ausmaß von Islamfeindlichkeit bei jungen Menschen besser zu verstehen, für das Thema zu sensibilisieren und Handlungsempfehlungen für die Bildungspraxis zu liefern. Die Studie soll somit dazu beitragen, durch wissenschaftlich fundierte Fakten den Diskurs zu Islam und Muslimen in Deutschland zu versachlichen und Ansatzpunkte für die Bildungsarbeit mit jungen Menschen aufzeigen“, sagt Anna Dieterle, Projektmanagerin der Stiftung Mercator.

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Autorin / Autor: Pressemitteilung/ Redaktion - Stand: 11. Juni 2018