Abitur nach 12 Jahren?

Kann man einfach ein Jahr Schule streichen, ohne dass es größere Verluste gibt?

Die Landesregierung von NRW hat am 9. März 2004 eine Verkürzung der Schulzeit beschlossen und somit den Weg für das Abitur nach 12 Jahren frei gemacht. Im Jahr 2013 wird der erste Jahrgang nach 12 Jahren Schulzeit seinen Abschluss machen können. Für die jungen Frauen und Männer, die bis dahin ihr Abitur machen, bleibt noch alles wie gehabt. Die beschlossene Schulzeitverkürzung wird sowohl von der Opposition als auch von den Gewerkschaften als Schritt in die richtige Richtung angesehen. Zudem könne die Überarbeitung des Lehrplans der Sekundarstufe I eine Chance sein, dem „Reformbedarf“, der durch die IGLU- und PISA-Studie entstanden ist, zu begegnen.

*Ein Jahr weniger ohne Verluste?*
Tolle Sache denkt man sich da! Aber die Sache hat doch einen Haken! Ein Jahr weniger, einfach so? Wie kann man denn plötzlich ein ganzes Jahr wegfallen lassen, ohne Verluste von Bildungsniveau? Einer der wenigen positiven Effekte ist, dass die ohnehin so spät eingeschulten Schüler Deutschlands jetzt ein Jahr früher aus der Schule kommen. Das schafft viele neue Chancen und Möglichkeiten. Zudem war es doch schon immer schrecklich, so hinter dem Rest der Welt hinterher zu hinken, wo dort doch alle viel besser sind als wir, aber höchstens 12 Jahre in die Schule gehen. Denkste! Belgien ist das einzige Industrieland, in dem man nach 12 Jahren eine uneingeschränkte Hochschulreife erreicht! In allen anderen Ländern gibt es nach 12 Jahren nur eine eingeschränkte oder fachgebundene Hochschulreife. Und in wie vielen Schulen gibt es denn jetzt schon extremen Personalmangel?

*Chancen auf ein passables Abi?*
2004-2013 müssten jede Menge neue Lehrkräfte eingestellt werden! Denn schließlich braucht man sogenannte Intensivierungsstunden, also Zusatzstunden vor allem in der Unter- und Mittelstufe, um den gleichen Stoff in der gleichen Zeit zu schaffen. Diese zusätzlichen Stunden benötigen also ab dem nächsten Schuljahr mehr Personal an den Schulen. Alledings müssen ja bis 2013 trotzdem noch 9 statt 8 Jahrgänge Unterrichtet werden. Also braucht man in dieser Zeit besonders viele Lehrer. Wenn dann die letzten nach 13 Jahren Abitur gemacht haben, wird sich das dann zwar wieder reduzieren, aber trotzdem! Wer soll das denn finanzieren, wo es jetzt schon an allen Ecken und Enden fehlt? Das tolle Argument, man solle die überdurchschnittlichen Schüler mehr fördern, erscheint mir nicht berechtigt: Die Förderung von begabten Kindern ist zwar ausbaufähig, aber mit Profilklassen und der Möglichkeit des Überspringens eines Schuljahres ausreichend gewährleistet. Ansonsten gibt es doch genug Schüler, die gut sind, sich aber sehr anstrengen müssen, oder auch sehr schlecht sind, die bei noch höheren Anforderungen oft gar keine Chance auf ein passables Abi hätten.

*Überstürzt und unvollständig*
Apropos passables Abi: Da der Erhalt der Abiturqualität nicht gewährleistet sein wird, wird die mittelfristige Konsequenz wahrscheinlich die Einführung von Hochschuleingangsprüfungen sein. Mit der Schulzeitsverkürzung sinkt der Wert des Abiturs meiner Meinung nach beträchtlich. Das wird zur Folge haben, dass das "Ergebnis unserer ganzen Schulzeit" oft weniger wert ist als ein subjektiver Eindruck bei einem Gespräch oder einer Vorstellung. Das ist doch dann ja auch nicht mehr so toll, oder ?

Allerdings sollen die Lehrpläne so überarbeitet werden, dass vor allem in der Sekundarstufe 1 mehr Unterricht erteilt wird. Damit wird die Forderung erfüllt, die Verkürzung der Schulzeit nicht zu Lasten der Haupt- und Realschüler, die nach ihrer Schulzeit aufs Gymnasium wechseln wollen, zu machen. Diese dürfen allerdings auch weiter Abitur nach 13 Jahren machen, mit einem so genannten Förderjahr.

Also letztendlich kann ich sagen: Gute Idee aber bevor ihr es einführt, sollte man es alles noch ein wenig ausfeilen und ausreifen lassen. Das ist doch alles recht überstürzt und unvollständig. Schulzeit sollte sich nicht an wirtschaftlichen Interessen orientieren, sondern am besten nach der individuellen Begabung des einzelnen Schülers von diesem entschieden werden.

Autorin / Autor: m.o.n.a - Stand: 7. Juni 2004