Der verstellte Blick der Prüfer

Studie: Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund werden im juristischen Staatsexamen schlechter beurteilt als Männer

Wer erfolgreich ein Jurastudium absolviert hat, kann wirklich stolz auf sich sein und sollte selbstverständlich ein Recht darauf haben, fair benotet zu werden. Dass da möglicherweise etwas schieflaufen könnte, haben jetzt Andreas Glöckner (FernUniversität Hagen), Emanuel Towfigh (EBS Universität Law School), und Christian Traxler (Hertie School of Governance) in einer Studie aufgedeckt, die im Auftrag des NRW-Justizministeriums durchgeführt wurde. Nach ihren Ergebnissen schneiden Frauen im zweiten juristischen Staatsexamen um knapp 2 Prozent schlechter ab als Männer. Im Bereich der Prädikatsnoten ist die Geschlechterdifferenz sogar noch ausgeprägter: Hier überspringen 12 Prozent weniger Frauen die überaus karriererelevante Notenschwelle von 9 Punkten. Ein Prädikatsexamen, mit dem man zum Beispiel zum Staatsdienst zugelassen wird, bekommt nur die- oder derjenige mit mindestens 9 Punkten oder besser. Bezieht man weitere Faktoren wie Abiturnote, Alter und Prüfungszeitpunkt in den statistischen Vergleich ein, sind die Unterschiede noch ausgeprägter.

Auch ein Migrationshintergrund führt zu einer schlechteren Benotung. So schneiden Rechtsreferendar_innen, die im Ausland geboren sind und keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, im zweiten Examen 17 Prozent schlechter ab als deutsche Prüflinge. Die Wahrscheinlichkeit, eine Prädikatsnote zu erreichen, ist für sie sogar um 70 Prozent geringer. Auch in Deutschland Geborene mit deutschen Pass, aber einem Namen, der auf einen Migrationshintergrund hinweist, werden im Durchschnitt schlechter beurteilt. Die Unterschiede bleiben auch bestehen, wenn Vornoten in die Analyse einbezogen werden.

Die Ergebnisse der Studie basieren auf einem umfangreichen Datensatz, der die Ergebnisse von rund 20.000 Prüflingen umfasst, die zwischen 2006 und 2016 ihre ersten und zweiten juristischen Staatsprüfungen in NRW ablegten. Das Justizministerium hat die Studie in Auftrag gegeben, nachdem die Autor_innen in einer ersten Studie 2014 Geschlechts- und Herkunftseffekte bei der Benotung juristischer Staatexamen entdeckt hatten. Die Folgestudie untermauert und differenziert die Ergebnisse.

Einen deutlichen Einfluss auf den Geschlechtereffekt bei mündlichen Prüfungen fanden die Studienautoren, wenn sie sich die Zusammensetzung der dreiköpfigen Prüfungskommissionen anschauten. So haben Rechtsreferendarinnen mit den gleichen schriftlichen Vornoten wie ihre männlichen Kollegen bei einer mit drei Männern besetzten Kommission eine um 2,3 Prozentpunkte geringere Chance, die nächsthöhere Notenschwelle zu überspringen. Ist jedoch zumindest eine Frau in der Kommission, verschwindet dieser Unterschied.
In gemischt besetzten Gremien haben Männer eine marginal schlechtere Chance, Frauen aber eine marginal bessere Chance auf die nächsthöhere Notenstufe. Dieser Effekt verstärkt sich an der Schwelle zum Prädikatsnotenbereich: Während bei rein männlich besetzten Kommissionen der Geschlechterunterschied 6 Prozentpunkte beträgt, steigt die Wahrscheinlichkeit auf die nächste Notenstufe für Frauen bei gemischten Kommissionen um 3 Prozentpunkte, für Männer sinkt sie um den gleichen Wert. Damit kommt es also zu einer vollkommen gleichen Ausgangsbasis.

Glöckner, Towfigh und Traxler sehen in diesen Ergebnissen eine - möglicherweise unbewusste - Diskriminierung als Ursache der Unterschiede. Allerdings ließe sich dieser Zustand auch einfach in den Prüfungsämtern beheben, wenn auf eine gemischtere Zusammensetzung geachtet würde. Denn im Moment sieht es so aus, dass 52 Prozent der Examenskandidat_innen Frauen sind, aber 65 Prozent der Prüfungskommissionen rein männlich besetzt wurden. Erst zum Ende des Beobachtungszeitraums wurden deutlich mehr gemischt besetze Kommissionen eingesetzt. „Die Teilnahme von Prüferinnen ist wichtig für eine geschlechterneutrale Beurteilung und sollte entsprechend forciert werden," so die Autoren.

Schwieriger sind allerdings Handlungsempfehlungen zu finden, um den gemessenen Effekten aufgrund der Herkunft entgegenzuwirken. Denn die Zahl von Prüfer_innen mit Migrationshintergrund ist bislang noch so gering, dass statistische Aussagen nicht möglich sind. Die Studienautor_innen sehen aber durchaus Parallelen zum Geschlechtereffekt, was für den Einsatz von mehr Kommissionsmitgliedern mit Migrationshintergrund sreche. Weitere Analysen insbesondere in diesem Bereich seien deshalb nötig, so die Studie.

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