"Ich bin einfach nicht gut in Mathe"

OECD-Bildungsbericht zeigt, dass Mädchen falsche Selbsteinschätzung haben

Bild: LizzyNet

"Ich bin einfach nicht gut in Mathe". Diesen Satz sagen Mädchen in Deutschland viel häufiger als Jungs, wenn sie gefragt werden, ob sie mathematische Aufgaben schnell begreifen. Dabei stimmt das gar nicht, denn im PISA-Test schneiden sie genauso erfolgreich ab wie ihre männlichen Alterskameraden. Aufgrund dieser folgenreichen Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten gehört Deutschland zu den Ländern mit dem größten Geschlechtergefälle in der OECD bezogen auf die Einstellung von Jungs und Mädchen gegenüber der Mathematik.

Der erste OECD-Bildungsbericht mit Fokus auf den Geschlechtern, The ABC of Gender Equality in Education: Aptitude, Behaviour and Confidence, stellt fest, dass Jungen und Mädchen sich fundamental darin unterscheiden, welche Einstellung sie gegenüber Mathematik und Naturwissenschaften haben. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf das Interesse an einer Karriere in einem naturwissenschaftlichen oder technischen Feld. Im OECD-Schnitt kann sich weniger als eines von 20 Mädchen im Alter von 15 Jahren vorstellen, später in einem sogenannten MINT-Fach (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) zu arbeiten. Bei den Jungen sind es immerhin 4 von 20. Dieses Ergebnis erstaunt, weil Jungen und Mädchen im PISA-Test Naturwissenschaften sich kaum in den Leistungen unterscheiden. Und es ist problematisch, weil es gerade die MINT-Berufe sind, die zu den bestbezahlten Karrieren führen. Gleichzeitig ist der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen in kaum einem OECD-Land so groß wie in Deutschland.

*Unterschiede zwischen den Geschlechtern liegen an der Einstellung gegenüber dem Fach*
In vielen Teilnehmerländern sind Jungs zwar besser im Mathe und Mädchen besser im Lesen, schaut man aber genauer hin, stellt man fest, dass Mädchen in besonders leistungsstarken Volkswirtschaften in Mathematik mit den Jungen gleichauf sind und weit bessere Ergebnisse erbringen als die Jungen der meisten anderen Länder. Ebenso ist das Leseverständnis der Jungen in diesen, zumeist asiatischen, Ländern höher als das der Mädchen in schwächeren Teilnehmerstaaten. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern kommen also nicht aus einem vermeintlich angeborenen Mathe(un)verständnis, sondern liegen offenbar an einer erworbenen Einstellung gegenüber dem Fach, der Schule, beziehungsweise dem Lernen ganz allgemein.

„Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Unterschiede in der Bildung von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen enorm verringert. Aber wir dürfen nicht aufhören, unsere Kinder dazu zu motivieren, ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen”, sagte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bei der Vorstellung des Berichts. Dazu brauche man weder langwierige noch teure Bildungsreformen, es reiche, wenn Eltern, Lehrer und Arbeitgeber an einem Strang zögen, erklärt der Experte.

*Eltern beeinflussen Interesse an Mathe und Naturwissenschaften*
Dabei nimmt er besonders die Eltern ins Visier: Sie würden nach Erkenntnissen des Berichts oft bewusst oder unbewusst dazu beitragen, dass das Interesse für Mathe und Naturwissenschaften bei Jungs und Mädchen so unterschiedlich ausgeprägt ist. Als Beispiel nennt er Länder wie Chile, Ungarn und Portugal, wo sich etwa 50 Prozent der Eltern vorstellen können, dass ihr Sohn später einen MINT-Beruf ergreifen wird, für ihre genauso leistungsstarken Töchter können das nur 20 Prozent. In Korea hätten Eltern hingegen kaum unterschiedliche Berufserwartungen an Töchter und Söhne.

Bei aller Aufregung über die Fehleinschätzungen der Mädchen gegenüber ihren Mathefähigkeiten - wirklich besorgniserregend ist, dass Jungs mit größerer Wahrscheinlichkeit als Mädchen in allen PISA-Bereichen die grundlegenden Kompetenzen fehlen: Von allen besonders leistungsschwachen SchülerInnen in Lesen, Mathe und Naturwissenschaften machen die Jungs 60 Prozent aus. Ihr Risiko, die Schule abzubrechen, ist dementsprechend höher als das von Mädchen. Laut Bericht ist es besonders wichtig, die Lesefähigkeiten der Jungen zu verbessern, zum Beispiel durch passende Methoden und die passende Lektüre. So würden sich Jungen häufiger für Comics begeistern, während Mädchen eher zu Romanen oder Magazinen greifen.

Um die schulischen Leistungen zu verbessern, empfehlen die BildungsexpertInnen außerdem Strategien, die die Schülerinnen dazu bringen, zu erklären, wie sie zum Beispiel eine Matheaufgabe gelöst haben. Bekämen die SchülerInnen darüber hinaus noch Gelegenheit, das Gelernte in einem anderen Kontext oder in der Praxis anzuwenden, verbessere das die Ergebnisse für beide Geschlechter, vor allem aber bei Mädchen, so die Experten.

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Quelle:

Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 6. März 2015