Essay über das Abhängigkeitsverhältnis zur digitalen Welt

Beitrag zum Schreibwettbewerb "Total digital" von Felicitas Maria Kahles, 21 Jahre

Sanft erwache ich in meinem wackeligen Wasserbett, die Sonne scheint durch den Schlitz meiner Gardine und in all´ dieser frühmorgendlichen Idylle klingelt laut mein Handywecker. Als Kind wurde ich noch von meiner Mutter geweckt, nun hat diese Rolle schon längst mein Handy übernommen. Es weckt mich mit meinem neuen Lieblingslied, eine Melodie, die ich selbst ausgewählt habe. Ich stehe auf und beginne den Tag mit meinem obligatorischen Blick auf mein Handy. Daraufhin folgt immer ganz selbstverständlich das Checkup der virtuellen Welt. Hier gibt es keine Kontinuität. Ganz im Sinne Heraklits fließt die virtuelle Welt fleißig voran und wir steigen am Morgen in denselben Fluss, tauchen ein in unsere virtuelle Identität, während diese sich bereits verändert hat und nicht mehr die Gleiche ist. Ein stetiger Fortschritt ist stets gewährleistet. Der tägliche, regelmäßige Blick auf mein Smartphone ist genauso wichtig wie der Blick in den Spiegel. Ich muss doch wissen, ob ich mich in der Welt sehen lassen kann und dafür brauche ich das Wissen meines Smartphones. Wir denken nicht, wir googeln, so lautet ein Werbespruch. Das stimmt! Auf meinem Weg zur Arbeit sehe ich überall Menschen, die verkabelt sind. Jeder trägt sein Smartphone in der Hand und ist vollkommen versunken darin. Wie eine Geliebte halten sie es fest in ihrer Hand und streichen sanft den Touchscreen. Egal ob Wetterbericht, Chats oder Nachrichten. Das Handy entführt uns in andere Welten und erinnert uns an jene Zeiten, in denen wir nicht leben konnten ohne einen Teddybären an unserer Hand. Das Handy gibt uns einen Schutz in der Gesellschaft zu überleben und verpflichtet uns nicht dazu mit Menschen unmittelbar zu interagieren. Wir können uns hinter dem Handy eine Mauer des Schweigens errichten. Es ist zumal eine sehr moderne Mauer, diese umhüllt nicht nur einen Menschen, sondern die ganze Menschheit. Während wir chatten, skypen und telefonieren, ist das Leben um uns herum stillgehalten. Es pausiert. Wir vegetieren vor uns hin und sind nur im Internet lebendig. Die Wolken ziehen an uns vorbei, die Jahreszeiten verändern sich und das Klima befindet sich im Wandel – wir nehmen das nur mithilfe unserer Wetterapp wahr und die einzige Wolke die wir sehen ist ein Aufbewahrungsort unserer Dateien. Der Mensch und das Smartphone bilden eine Einheit, die nicht leicht zu durchtrennen ist. Das Smartphone ist ständiger Begleiter unseres Lebens, es spinnt wie Klotho die Fäden unseres Schicksals. Das Smartphone verleiht dem Leben Qualität. Der Mensch unterwirft sich den Diensten des Smartphones, es kennt uns und unsere Termine genauestens. Die Technik hat nicht zu versagen. Sie ist unser Lebensmittelpunkt. Denkt man nur an Kopierer, Drucker, Fax, Computer, Waschmaschine, Spülmaschine und all' diese lieben Heinzelmännchen, die sowohl das Leben als die Arbeit erleichtern. Im Marxschen Sinne entfremden uns diese Geräte von unserem Gattungswesen. Wir sind nicht mehr frei in unserer Natur, alles läuft über Geräte. Die Menschheit ist nicht unplugged, sondern auf Stecker angewiesen. Das Smartphone auszuschalten schmerzt fast so sehr wie ein einzelnes Körperteil zu verlieren. Die Technik baut sich vor uns auf und wir knien nieder und sind stolz im Besitz von ihr zu sein. Doch wer hat hierbei die Macht? Wer kann uns vor der Technik schützen? Die Technik ist schon längst ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Sie formt den Menschen und ist eine Akzidenz, die zu dem Menschen gehört wie seine Haarfarbe. Natürlich kann diese wechseln, aber sie ist dennoch immer präsent. Die Technik ist omnipräsent. Im Omnibus sind wir Passagiere, während dieser von der Technik gesteuert wird. In welche Richtung er fährt? Das weiß nur die Technik. Ich weiß nicht, was soll das bedeuten, dass ich so traurig bin? Ein Märchen aus neuen Zeiten es geht mir nicht aus dem Sinn. Wir schreiben täglich Geschichte. Die Geschichtsschreiber entwickeln sich allerdings zu Dichtern. Sie verdichten diese Wirklichkeit der Technik mit der vermeintlichen Wirklichkeit außerhalb. Gemeinsam schreiben die Dichter, die nun ihre Gedanken in Blogs veröffentlichen, an einer Tragödie der besonderen Art. Sie verdichten eine Tragödie mit einer Komödie. Das zunächst aufkeimende Lustspiel entwickelt sich schon bald zum Trauerspiel. Die Schiffer in ihrem kleinen Schiffe werden vom Klang der schillernden, wunderschönen Technik angezogen. Ihr Ruf lockt die ahnungslosen Schiffer in den technischen Booten direkt ins Verderben. Wir denken nicht mehr richtig, wir verändern unser Denken dahingehend, dass wir auf die Technik zu gehen und ihr das Denken überlassen. Haben wir eine Frage, dann kennt sie die Antwort. Sogar den Sinn des Lebens beantwortet sie uns indirekt, denn sie ist der Sinn unseres Lebens. Wir sinnieren nicht, wir googeln. Genauso könnte der Werbeslogan auch heißen. Wir müssen nicht mehr denken, solange wir das Internet haben, wir lassen uns in den Schiffen vorantreiben. Mit verbundenen Augen wie Justitia versuchen wir uns führen zu lassen, doch unsere Waagschale haben wir durch das Handy ersetzt, das Schwert durch den Computer. Versuchen wir die Augenbinde abzunehmen, so gelingt es uns nicht, weil wir uns nicht lösen können von der Technik. Wir brauchen sie. Sie formt unsere Wahrnehmung und führt uns durch die Welt. Gleichzeitig schottet sie uns von dieser ab. Mit Kopfhörern im Ohr nehmen wir durch die vermeintliche Musik in unserem Ohr die Außenwelt wahr. Sie entscheidet, ob wir schreiten, rennen, die satten Farben stärker wahrnehmen und lässt uns fremd werden mit dem Klang der eigentlichen Natur. Fast alle Sinne werden von der Technik eingenommen. Wir hören, riechen, sehen und fühlen die Technik. Des Weiteren werden wir ihrer hörig und wollen sie nicht verlieren. Aktiv klammert sich ein jeder an sein Handy, um nicht wahrgenommen zu werden von Handylosen. Doch löst man die Fesseln der Technik und befreit sich von dieser, dann kann man erkennen, dass wir ohne die Technik leben können, sie aber nicht ohne uns.

Autorin / Autor: Felicitas Maria Kahles, 21 Jahre