Er lag auf dem Kopfsteinpflaster vor seinem Haus

Zweiter Teil der Geschichte über einen seltsamen Jungen

Nervös pulsierte es in meinem Hals

Er lag auf dem Kopfsteinpflaster vor seinem Haus und hatte Kopfhörer auf. Er starrte einfach so in den Himmel, betrachtete das Spektakel der nahenden Nacht und badete im Sommerwind. Wie immer rief ich ihm einen verhaltenen Gruß zu – er hob die Hand und winkte. Es sollte wohl an meiner Laune liegen, an dem Glück, das mich bis in die Kehle hin anfüllte und mir das Atmen schwer machte, weil es so dickflüssig war wie Ahornsirup und mindestens genauso süß. Jedenfalls fuhr ich nicht weiter. Meine rostigen Bremsen schrieen empört auf, als ich sie mit aller Kraft anzog und schlingernd zum Stehen kam. Mein Atem ging schwer und mein Herz hatte den Rhythmus aufgegeben. Nervös pulsierte es in meinem Hals. Wo waren die Worte hin, die ich mir schon so oft zurechtgelegt hatte. Für den Fall der Fälle, für den geschichtsträchtigen Tag an dem ich, Marie, das ewige Schweigen, das Eis der Unsicherheit mit einem lockeren „Hallo!“ brechen würde. Das lockere Hallo wog auf einmal mehrere Kilo und klebte an meinen Zähnen, ließ sich nicht herauswürgen. Stumm stand ich auf der Straße und musterte Leonard. Zuerst schien er meine Anwesenheit nicht zu bemerken, dann jedoch setzte er sich langsam auf, zog die Knie an und die Kopfhörer von den Ohren.

„Einen schönen guten Nachtanfang.“ Sagte er leise. Ich nickte und lächelte verkrampft. „Was gibt’s?“ Seine Stimme wehte zu mir hinüber. Doch er bewegte sich kein Stückchen, wie eine Statue saß er auf dem Weg, nur sein Blick war wach und die Augen ein Stück zu weit geöffnet. „Nichts.“ Sagte ich wahrheitsgetreu, da ich mich nicht mehr an den Grund erinnern konnte, der mich zum Anhalten gebracht hatte. „Das ist nicht besonders viel, aber genug.“ Entgegnete er milde lächelnd und richtete sich auf, die Bewegungen grazil und fließend. „Es ist der erste Abend, an dem mal etwas anders ist.“ Ich wusste nicht, ob er glücklich darüber war oder nicht. Seine Miene war eine reglose Maske die er schnell übergezogen hatte. „Es ist ein schöner Abend.“ Murmelte ich und zuckte hilflos mit den Schultern als er die Augenbrauen hochzog. „Mir hat bis jetzt jeder besonders gut gefallen. Auch wenn immer alles denselben Lauf genommen hat. Ich bin zufrieden mit dem was ich habe. Aber es macht mir auch nichts, mehr zu kriegen.“ „Das macht keinem was aus.“

Leonard stand mir jetzt gegenüber, zwei Schritte von mir entfernt. Interessiert musterte er mich, als hätte er ein Mädchen wie mich noch nie zuvor gesehen. „Du gehst in meine Klasse?“ Zaghaft nickte ich und wusste nicht, wieso es mir auf einmal so unangenehm war. „Und wieso hältst du an?“ Kein Vorwurf war darin, bloße Neugierde. Versetzte ich mich in Leonard, was mir mehr als schwer viel, musste ich beschämt feststellen, dass ich nicht so gelassen reagiert hätte. Vermutlich wären Spott und Verbitterung meine Hilfsmittel gewesen mich zu wehren. Er war so anders. Beängstigend! Ich spürte wie mein Knie nervös zuckte - mein Rad wartete auf mich, mein Heimweg. Doch die Lust auf Musik und Lachen war vergangen, das Brodeln in meinem Innern erloschen. „Ich weiß es nicht.“ „Also eine spontane Reaktion.“ Grinste er. Ich traute mich nicht ihm zu sagen, dass ich es schon so oft geplant hatte. Womöglich würde er nach dem Grund fragen, warum ich es bis heute nicht getan hatte und ihm zu sagen, dass er zu seltsam war, um sich mit ihm anzufreunden, brachte ich nicht über mich. Vermutlich weil es nicht mal stimmte. Weil es nur eine müde Ausrede war. Der Wind strich mir beruhigend über die Wangen und lies meine Haare in der Sommerluft tanzen wie ein fein gewobenes Spinnennetz. Es roch nach Regen.

Leonard starrte nach oben in den Himmel als hätte er meine Gedanken gelesen. „Es wird Regen geben. Sieh dir die Wolken an.“ Zögernd folgte ich seinem Blick. Die sanften Pastelltöne hatten sich verdunkelt, schwere, unförmige Massen walzten dort oben, schoben sich vorwärts. Alles färbte sich langsam in einem gelblichen Licht. Ich warf einen langen Schatten vor mich auf den Gehweg, der sich mit Leonards schnitt. „Weißt du. Heute kommt alles zusammen.“ Sagte er. „Du hältst an, anstatt an mir vorbeizufahren und seit Wochen regnet es wieder. Ich hab immer darauf gewartet. Immer wenn ich abends auf den Steinen lag.“ „Auf was hast du gewartet?“ „Darauf, dass alles zusammen kommt.“ Er runzelte nachdenklich die Augenbrauen und erwartete keine Antwort von mir. Nur den Ausdruck des Verstehens in meinen Augen. Die ersten Tropfen zersprangen auf den Steinen und unserer Haut. „Du solltest nach Hause gehen, wenn du nicht nass werden willst.“ Er lächelte mir zu. „Bis morgen Abend!“ Sagte ich.

Autorin / Autor: mondkind - Stand: 10. Februar 2009