Episode 3 oder "Vorsicht glatt!"

Wie man sich am besten verhält, wenn einem die Putzfrau das Genick brechen will.

Ich kam zur Türe hinein. Mit etwas Arbeit, denn wenn es warm ist und die Sonne eine halbe Stunde auf unsere Tür knallt, verbiegt diese sich so stark, dass man nur mit kleinen Tricks (dagegen treten, die Tür ein bisschen anheben, fluchen, den Schlüssel wütend dagegen werfen, etc.) und erheblichem Kraftaufwand ins Haus kommt. Es ist auch schon vorgekommen, dass wir durch die Garage rein sind.
Also wie gesagt kam ich gerade nach Hause, wollte meine Schuhe im Flur ausziehen, meinen Schlüssel aufs Schlüsselbrett legen und ins Wohnzimmer schlurfen. Ich schaffte es gerade noch, den einen Schnürsenkel auf zu machen, als mein Vater mit seinen rot leuchtenden Crocs in den Flur gestürmt kam und rief: "STOP!!!".

Wie der Vater, so der Sohn

Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen. Ich überlegte. Hatte ich was angestellt. Vergessen die Wäsche aufzuhängen? Oder die Mülltonnen an den Straßenrand zu stellen? Nichts kam mir verdächtig vor. Mein Vater half mir auf die Sprünge: "Du musst aufpassen, die Putzfrau hat das Parkett gebohnert! Es ist total glatt!"
Ah, daher wehte der Wind. Vermutlich hatte er sich heute schon öfters auf's Maul gelegt und machte deshalb so einen panischen Eindruck. Und aufopfernd wie er nun mal ist, wollte er mich vor dieser Schmach - und vor allem den Schmerzen am Popo - bewahren.
"Und wie oft bist du schon hingefallen, heute?", fragte ich schmunzelnd und zog meinen zweiten Schuh auch noch aus. Da wurde er plötzlich leicht grummelig, was mir klar machte, dass ich genau ins schwarze getroffen hatte.

"Ja, ich wusste das ja nicht! Dein Bruder hat sich auch hingelegt. Hier, hier ist 'ne ganz fiese Stelle!", sagte er aufgebracht und zeigte auf den Hauseingang. Wir haben direkt hinter der Türe Steinfliesen. Doch da wo der Eingang in den Flur übergeht, beginnt das Parkett. Eine optimale Stelle, um den Boden zu küssen!
"Und da, da bin ich auch hingefallen!", noch wütender deutete er auf die letzte Treppenstufe, die noch mit Teppich bezogen ist. Nach der letzten Stufe folgt, ja genau, das Parkett. Auch sehr gefährlich.
Ich musste schrecklich anfangen zu lachen. Mein Vater und mein einer Bruder sind sich total ähnlich. In der Art, wie sie sprechen, reagieren, gehen, eben fast identisch. Und das Bild der beiden, wie sie an der gleichen Stelle ausrutschen und hinfallen war einfach zu köstlich! Ich hielt mir den Bauch, so weh tat es, doch ich konnte nicht aufhören zu kichern. Man stelle sich einen ausgewachsenen Mann vor, der nach seinem Mittagsnickerchen total verschlafen die Treppe runter kommt und wegrutscht, weil der Putzfrau das Pronto ausgelaufen ist. Und als ich mir dann auch noch vorstellte, wie mein Bruder praktisch die gleichen Bewegungsabläufe machte und ebenfalls hinfiel, war meine Ernsthaftigkeit vollends verschwunden.

Mein Vater grummelte irgendwas vor sich hin und stapfte wütend wieder ins Wohnzimmer. Ich hängte meine Jacke über die Garderobe und folgte ihm umsichtig. Versteht mich nicht falsch, mein Vater ist eigentlich sehr lieb. Aber er kann eben ein kleiner Grießgram sein.

Super Nektarinenschutz!

Auf der Coach angekommen entspannte ich mich wieder etwas. Denn es war wirklich nicht leicht, den Boden zu betreten, ohne ins Schlittern zu geraten. Ein Gefühl, wie wenn man mit normalen Straßenschuhen auf einer Eisfläche läuft, oder es zumindest versucht.
Ich sah meinen Vater an und musste schon wieder lachen. Das Video in meinem Kopf spielte sich erneut ab. Er sah mich böse an und tapste in die Küche. Mit einer Nektarine bewaffnet kam er zurück und setzte sich stumm wieder in seinen Sessel. Man hörte, wie jemand die paar Stufen zu unserer Haustür hinauf stapfte und den Schlüssel ins Schloss steckte. Mein Vater warf mir die Nektarine zu - zum Glück hab ich eine ganz gute Reaktion - sprang hektisch auf und sprintete in den Flur. Ich musste schon wieder lachen.

Ich hörte, wie er meinem noch nicht hingefallenen Bruder das gleiche erzählte, wie mir zuvor. Auch der konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, hatte sich jedoch schnell wieder im Griff. Ich lauschte, als er die Treppe hoch ging in sein Zimmer. Mein Vater kam zurück und setzte sich wieder. Ich warf ihm sein Obst mit einem lässigen "Hier!" zu. Was ich dabei jedoch nicht bedachte, war seine fehlende Reaktionsfähigkeit. Die weiche Kugel verfehlte nur knapp seinen Kopf und traf auf dem Boden auf. Ich betete, dass sie nicht aufgeplatzt war. Ich hatte Glück, denn durch den spiegelglatten Untergrund rutschte die Nektarine unbeeindruckt weiter, bis sie friedlich zum Stillstand kam. Ein böser Blick von der Seite strafte mich. Ich reagierte einfach nicht, sondern schmunzelte in mich hinein.

Tja, hätte mein Vater auch mal besser ABS-Socken angehabt!

Am nächsten Tag war der Boden immer noch sehr bedrohlich, doch mit seichten Schritten und meinen ultimativen Stoppersocken - für die man übrigens nie zu alt ist! - rettete ich mich den ganzen Tag von Teppich zu Teppich, die Gott sei Dank großflächig vorhanden sind in unserem Haus.

Ich saß vorm Fernseher, als mein Vater die Treppe runter polterte. Erst ging er in die Küche, um wie immer den Kopf in den Kühlschrank zu stecken. Könnte ja was schmackhaftes drin sein. Dann schaute er rüber zu mir. "Hallo, alles klar?" Ich nickte abwesend. "Guck mal, was ich gestern noch geübt habe", erwirkte er meine volle Aufmerksamkeit.

Ich schaute ihn erwartungsvoll an. Er stand auf dem Teppich. Ein paar Schritte entfernt von der Stelle, an der das Parkett begann. Er lief auf die Stelle zu, sprang leicht in die Luft und glitt elegant über den Boden. Ich klatschte Beifall. Doch plötzlich verlor er sein Gleichgewicht (dessen Anwesenheit ich von Anfang an mit Vorsicht hätte genießen müssen), ruderte mit den Armen und landete mit voller Wucht in der Gummipflanze vorm Wohnzimmerfenster.
Na dann: Volle Fahrt voraus!

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Autorin / Autor: rosemary - Stand: 11. September 2009