Was „shared“ mich dein Besitz?

Share Economy ist in aller Munde. Teilen und tauschen verbirgt sich hinter diesem Begriff. In Heidelberg begebe ich mich auf die Suche nach Menschen, die auf Geld als Zahlungsmittel verzichten und lieber ausleihen als besitzen.

Bild: LizzyNet

Warm ist es im Studentenwohnheim, gefühlt dreißig Grad. Und weit und breit nichts zu trinken. Ich will
mich heute in Heidelberg umhören, wie es um die Tauschbereitschaft der Menschen bestellt ist, und mich nach getaner Arbeit mit einer eisgekühlten Cola belohnen. Ob jemand eine besitzt und bereit wäre, sie gegen ein Glas Nutella zu tauschen? „Tausche Schokocreme gegen Kaltgetränk“ schreibe ich auf einen Zettel und positioniere ihn gut sichtbar in der Gemeinschaftsküche. Dann geht es ab in die Altstadt.

Share Economy, wird mir auf dem Fahrrad klar, ist heute ein sehr weit gefasster Begriff. 1984 schrieb der
Ökonom Martin Weitzmann ein Buch mit dem Titel „The Share Economy: Conquering Stagflation“. 2013 ist der Ausdruck wieder in Mode gekommen und beschränkt sich nicht mehr ausschließlich auf die Wirtschaft. Eine Vielzahl von Pseudo-Anglizismen („Foodsharing“, „Carsharing“, „Couchsurfing“) zeigt, dass der Trend zum Teilen auf dem Vormarsch ist. Ob die Menschen in Heidelberg mitmachen?

Auf meinem Weg komme ich an der Gaststätte „Zum Hutzelwald“ vorbei. Seit 17 Jahren ist das urige Restaurant Treffpunkt des Tauschrings Heidelberg e.V. Womit getauscht wird, verrät mir Michael Schön, der seit drei Jahren im Verein und von dem Konzept überzeugt ist. „Im Prinzip“, sagt er, „erfolgt ein Tausch von Zeit gegen Zeit – Zeit, bei der ich mich mit einer Tätigkeit einbringe, vor dem einem anderen graust. Nehmen wir beispielsweise das Bügeln, bei dem sich manchem bereits die Nackenhaare zu Berge stellen, wenn er nur daran denkt, während es andere wie eine Art Meditation empfinden.“

Die Vorteile laut Schön: Man setzt seine Zeit sinnvoll ein und lernt den Menschen kennen, mit dem man das
Geschäft abschließt. Er empfiehlt mir, für weitere Auskünfte Wolfgang Seelig anzurufen – einen Mitbegründer des Rings. Das tu ich. Seelig, ein älterer Herr, gibt sich zunächst wortkarg, wenngleich nicht unfreundlich. „Beim Fernsehen“ ist ihm die Idee für sein Projekt gekommen, da habe er Menschen gesehen, die ohne Geld Waren und Dienstleistungen miteinander getauscht haben. Wie in alten Zeiten, als man noch beim Nachbarn an der Tür klopfte, um sich Mehl auszuleihen.

Als er von seinen Beweggründen erzählt, blüht Wolfgang Seelig auf. „Der Ring ersetzt nicht mehr existente, soziale Netzwerke. Und es liegt ihm eine ökologische Motivation zugrunde.“ Damit meint er, dass weniger Gegenstände in den Müll wandern, wenn sie innerhalb der Gruppe weitergegeben werden. Bestellt man Güter aus einem Katalog oder über das Internet, ist die Ausstellung meist mit langen Anfahrtswegen verbunden. Trifft man sich vor Ort, fallen diese und damit der Schadstoffausstoß deutlich geringer aus. Schön und Seelig sind zufrieden mit ihrer Arbeit. Für die weitere Recherche wünschen sie mir viel Glück.

Nun bin ich noch durstiger. In der Altstadt schließe ich mein Fahrrad an und mache mich auf den Weg in die Innenstadt. In einer Nebengasse fällt mir ein Regal auf, voll gestellt mit Büchern. Reger Andrang herrscht davor. Was die Menschen mit den Romanen machen? „Na tauschen. Das ist ein Büchertauschschrank.“
Nicht der einzige in Heidelberg. Die Idee ist so populär, dass sie auch unter den Studenten der Ruprecht-Karls-Universität bekannt wird. Wer beispielsweise Fremdsprachen studiert, kann Bücher, CDs, DVDs und Zeitschriften, die er nicht mehr braucht, seinen Kommilitonen in der Originalsprache schenken oder hoffen, Nützliches zu finden.

Die Spuren der Share Economy häufen sich allmählich. Trotz ausgedörrter Kehle begebe ich mich in die schwülwarme Hauptbibliothek. Hier hat man Zugriff auf: das Internet. Populäre Arbeitsstätte für Firmengründer wie Philipp Glöckler, den Erfinder der App „WHY own it.“ Sollte es in einer Stadt mit über 30 000 Studenten nicht vergleichbaren Ideenreichtum geben? Wenige Mausklicks später stoße ich auf etwas Interessantes. In Kooperation mit der Stadt Mannheim und der Abfallverwertungsgesellschaft des Rhein-Neckar Kreises bietet Heidelberg einen kostenlosen Tausch- und Verschenkmarkt zur Nutzung für jedermann an. Und wie schon beim Verein und den Bücherschränken gilt das Prinzip: Was der eine nicht mehr braucht, könnte der andere gerade gesucht haben. Die Bandbreite der Angebote reicht vom Couchtisch bis hin zu 40 CD-Hüllen. Kurios erscheint mir ein Inserat, in dem jemand ein paar benutzte Sportschuhe gegen eine Packung Kaffeepads eintauschen möchte.

Tatsächlich pflegen hier viele Studenten eine, wenn vorhanden, lockere Einstellung gegenüber dem Trend. „Wenn ich teilen will, mache ich das, weil es mir Freude bereitet. Gezielt nach etwas suchen kann man immer noch beim Shopping.“ Andere haben nie von der Tausch-Leidenschaft gehört oder sind misstrauisch. Fest steht; wer sich für Share Economy interessiert, sollte Zeit investieren. Nicht immer findet man auf Anhieb das begehrte Stück. Anders als der Name verspricht, geht es weniger um wirtschaften als darum, eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu finden.

Mittlerweile ist es Abend geworden und die untergehende Sonne verschafft mir etwas Abkühlung. Auf der Rückfahrt ins Wohnheim kreisen meine Gedanken um die Ergebnisse des Nachmittags. Gelernt habe ich viel. Heidelberger tauschen, um dadurch den Kontakt zu anderen herzustellen. Sie versuchen, zu helfen und ihre Einstellung zum Besitz neu zu definieren. Auf diese Weise entstehen soziale Netzwerke, die eine Alternative zum Zahlungsmittel Geld bieten. Das alle läuft gänzlich ungezwungen ab, online oder am Stammtisch, und erfordert lediglich ein wenig Kreativität und Selbstständigkeit. Könnte man sogar weiter gehen und die Share Economy als Rückkehr zu guten städtischen Verhältnissen sehen – man kennt und hilft sich, in Zukunft sogar altruistisch?

Dieser Frage sollen andere nachgehen. In Erwartung des kühlen Glücks erlebe ich im Wohnheim eine unangenehme Überraschung. Der Zettel liegt noch da, das Nutella-Glas ist dagegen verschwunden. Und als
Dank steht dort eine Küchenschüssel.

Was würdest du teilen?

Autorin / Autor: Christina M. - Stand: 13. September 2013