Nachbarn oder Freunde?

Wie lebt es sich in einem Mehrgenerationenhaus? Verstehen sich die Bewohner? Sind alle eine große glückliche Familie, oder gibt es häufig Streit? Zwei erfahrene Bewohnerinnen erzählen über das Zusammenleben mit verschiedenen Generationen

Auf den ersten Blick scheinen es ganz normale Mehrfamilienhäuser zu sein: Helle Neubauten mit vier Stockwerken und etwas Grün vor der Eingangstür. Was sich von außen nicht erkennen lässt: Hier leben junge und alte Menschen zusammen, duzen sich, teilen sich die Gartenarbeit und feiern sogar gemeinsam Geburtstag, obwohl sie nicht miteinander verwandt sind und sich vorher noch nicht einmal kannten. Beide Häuser sind Mehrgenerationenprojekte, die vor einigen Jahren in Köln gegründet wurden.

Ute ist Pensionärin und wohnt seit sieben Jahren im Mehrgenerationenhaus „Wohnen mit Alt und Jung e.V.“ in Ehrenfeld. Nach der Trennung von ihrem Mann hatte sie keine Lust, alleine zu leben. Darum hat sie sich auf die Suche nach einer anderen Wohnmöglichkeit gemacht.

Monika wohnt seit acht Jahren im Ledo-Mehrgenerationenhaus in Köln-Niehl. Sie sitzt im Rollstuhl. Darum hat sie nach einer Wohnung gesucht, die für Rollifahrer geeignet ist.

Beide haben sich Wohnprojekten angeschlossen, bei denen mehrere Generationen gemeinschaftlich unter einem Dach leben sollten. Die passenden Häuser mussten allerdings erst noch gebaut werden: Genug Platz für Familien, barrierefreie Wohnungen für die älteren und behinderten Bewohner, außerdem viele Grünflächen zum Spielen für die Kinder - das alles gab es damals nicht in einem einzigen Haus. Darum mussten die beiden zunächst einmal viel Geduld beweisen.

"Am Anfang herrschte Chaos"

Bis die beiden Häuser dann endlich fertig waren, dauerte es mehrere Jahre. An den allgemeinen Rummel beim Einzug kann sich Ute noch gut erinnern: „In der ersten Zeit herrschte totales Chaos, weil wir fast alle gleichzeitig eingezogen sind. Überall standen Kisten, und jeder suchte immer irgendetwas. Aber schon zu diesem Zeitpunkt haben wir uns gegenseitig unter die Arme gegriffen und zum Beispiel Möbel getauscht“, erzählt Ute.

Auch im Niehler Haus ging es am Anfang eher chaotisch zu: „Am Anfang mussten wir uns alle erst einmal an das gemeinschaftliche Leben hier gewöhnen. Ab und zu gab es auch schon mal Reibereien, das waren aber Kleinigkeiten. Wenn jemand sich zum Beispiel gestört fühlte, weil laute Musik aus einem der Fenster in den Hof schallte, wurde darüber geredet, und dann hat man sich geeinigt. Wenn man über solche Dinge redet, findet man immer eine Lösung. Mittlerweile ist das hier auch kein Thema mehr“, sagt Monika.

"Alles läuft freiwillig"

Obwohl alle Bewohner eigene Wohnungen mit Küche, Bad und Balkon haben, gibt es viele Möglichkeiten, Freizeit zusammen zu verbringen: Beide Häuser besitzen im Erdgeschoss einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche. Hier treffen sich die Bewohner gelegentlich, um ein Schwätzchen zu halten, zusammen zu frühstücken und natürlich zum Fußball gucken. Die Bewohner helfen sich auch gegenseitig, wenn Not am Mann oder an der Frau ist: Die Älteren passen zum Beispiel oft auf die Kinder auf, wenn die Eltern arbeiten oder holen sie vom Kindergarten ab. Dafür übernehmen die etwas jüngeren Bewohner dann auch mal Tätigkeiten, die ihnen körperlich leichter fallen. „Es sind manchmal nur Kleinigkeiten, die aber viel ausmachen. Wenn mir zum Beispiel die Fernbedienung unters Sofa fällt, ist es mit dem Rolli schwierig, sie da wieder hervorzuholen“, lächelt Monika. Wenn sie mal Hilfe braucht, ruft sie jemanden im Haus an oder schreibt einfach eine Rundmail an alle. Dafür recherchiert sie gerne für die anderen im Internet oder brennt Musik-CDs für die jüngeren Bewohner – alles legal, versteht sich. „Es ist aber niemand verpflichtet, zu helfen. Alles läuft freiwillig.“ Es wird viel zusammen gekocht und auch Geburtstage werden oft gemeinsam gefeiert. Und in Ehrenfeld kommt sogar der Nikolaus: Dort gibt es jedes Jahr eine große Nikolausfeier im Gemeinschaftsraum.

"Man muss Kompromisse machen"

Eine richtige Familie ersetzen die Bewohner aber trotzdem nicht: „Die Menschen sind alle sehr unterschiedlich. Das hat natürlich auch mit dem Alter zu tun. Die jüngeren stehen meist mitten im Berufsleben und haben viel um die Ohren. Darum ist oft nur wenig Zeit für Gemeinsamkeit. Trotzdem finden sich immer wieder Gruppen zusammen, die zum Beispiel ins Kino oder ins Museum gehen“, erzählt Ute. Dabei spielt der Altersunterschied überhaupt keine Rolle: „Wenn man ähnliche Interessen hat, versteht man sich einfach - auch über das Alter hinweg“, sagt Monika.

Weihnachten verbringen die meisten der Bewohner nicht gemeinsam. Besonders die Familien feiern im kleinen Kreis. „Wir veranstalten aber jedes Jahr ein Weihnachtsessen für das ganze Haus. Das findet aber meistens erst im Januar statt, wenn alle den Weihnachtstrubel hinter sich gebracht haben“, erzählt Ute. Einige der Ehrenfelder Senioren haben sich das Leben im Mehrgenerationenhaus aber tatsächlich etwas familiärer vorgestellt und sind nach einiger Zeit wieder weggezogen. „Man sollte natürlich keine Wunder erwarten und muss auch Kompromisse eingehen, aber dann funktioniert es auch“, sagt Ute. Dafür feiern viele Leute im Haus Silvester dann wieder zusammen.
Monika und Ute sind beide zufrieden mit dem Leben im Mehrgenerationenhaus: „Das Haus ist schön, und die Bewohner behandeln sich gegenseitig  respektvoll.“ Umziehen kommt für beide nicht mehr in Frage.

Könntet ihr euch vorstellen, in einem Mehrgenerationenhaus zu leben?

Autorin / Autor: Yvonne Börgartz (Text, Bilder) - Stand: 14. Juli 2013